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Sidi

© Tsp

"Spielzeit Europa": Tanz mit dem Tiger

Sidi Larbi Cherkaouis tritt mit Shaolin-Mönchen im Haus der Berliner Festspiele auf. Der Choreograf ist bekennender Bruce Lee Fan. Am Ende des Spektakels feiert das Publikum die Tanzhelden enthusiastisch.

Von Sandra Luzina

Die Spielzeit Europa präsentiert sich diesmal weltläufig und lockt mit einem global dancer. Der Choreograf Sidi Larbi Cherkaoui, der mit „Sutra“ schon beim Festival von Avignon gefeiert wurde, riss nun auch die Berliner zu Begeisterungsstürmen hin. „Sutra“ macht schon wegen der ungewöhnlichen Besetzung neugierig: Den Belgier mit marokkanischen Wurzeln hatte es wie andere Choreografen nach China gezogen. Er umgibt sich nun nicht mit Tänzern, sondern nimmt es mit 19 Shaolin-Mönchen auf, allesamt Meister des Shaolin-Kung-Fu. Cherkaoui ist zwar ein Fan von Bruce Lee, aber ein gänzlich unkriegerischer Mann. Und so rückt er die für ihre sagenhaften Kampfkünste berühmten Mönche in ein anderes Licht.

Anfangs sitzen sich Cherkaoui und der elfjährige Dondon mit gekreuzten Beinen gegenüber wie beim Schachspiel. Sobald sie in ausgetüftelten Spielzügen die kleinen Holzschachteln bewegen, erwachen auch die Figuren auf der Bühne zum Leben. Zunächst lässt nur ein Kämpfer sein Schwert durch die Luft sausen, ein zweiter schwingt den Stock. Dann bricht das Podest auseinander, und die Mönche springen aus ihren Kisten. „Sutra“ ist keine billige China-Fantasie: Mit den 21 Holzkisten, die der britische Bildhauer Antony Gormley baute, entwirft der Choreograf eine Fülle von hinreißenden Bildern.

Zunächst muten die Mönche wie eine kleine Armee aus Spielzeugsoldaten an, die von einem Bühnenstrategen und Strippenzieher bewegt wird. Cherkaoui als Meister der Meister? Dieser Fantasie fährt er selbst in die Parade, indem er die Mönche ein Eigenleben gewinnen lässt. Wie sich das Form- und Raumbewusstsein des Bühnenkünstlers mit der kämpferischen Disziplin, der Spiritualität und dem Gemeinschaftsgeist der Mönche verbindet, davon erzählt die Choreografie. Dondon mit seiner unbändigen Spielfreude und kindlichen Neugier pendelt zwischen den Welten und wird zum Boten und Vermittler. Die mannshohen Boxen werden bisweilen wie Legosteine verschoben. Die Akteure bilden daraus eine Mauer, einen Kubus, einen Laufsteg, einen Wald oder Tempel. Manchmal werden die Mönche entrückt und auf einen Sockel gestellt. Und in einer der schönsten Szenen evoziert Cherkaoui mit den sperrigen Boxen das Bild einer Lotusblüte, die sich öffnet.

Der Choreograf konterkariert das martialische Geschehen mit sanfter Komik, Tricks aus der Puppenkiste. Wenn er selbst in die Kiste steigt, scheint sein Körper zu schrumpfen wie bei Alice im Wunderland. Mehr und mehr färben die Szenen sich mit Melancholie – was Szymon Brzóskas Musik für Klavier, Violine, Cello und Schlagzeug noch unterstreicht. Anfangs etwas süßlich, gewinnt die Komposition durch den stärkeren Einsatz des Schlagzeugs an Drive.

Die Mönche springen nacheinander in die Kiste wie in ein rettendes Boot. Wenn sie auf einen langen Marsch begeben, schleppen sie die Gehäuse mit wie eine Erinnerung an die Heimat. Bisweilen liegen sie still in ihren Boxen wie in einem Sarg. Die massiven Holzkisten schützen und sind zugleich Beschränkung. Auch haben beide, Cherkaoui und Gormley, an die Dualität von Körper und Geist gedacht. Wie man Freiheit in der Begrenzung findet, das treibt nicht nur Buddhisten um.

Die Martial-Arts-Szenen werden gegen Ende immer stärker durchchoreografiert. So bleibt es nicht bei blitzschnellen Attacken, plötzlichen Explosionen von Energie. Ob in kollektiven Kampfszenen, in wunderbaren Solos oder in einem vom Tai-Chi inspirierten Tanz: So hat man die Shaolin-Mönche noch nie gesehen. Cherkaoui entlockt ihnen ungewohnte Ausdrucksnuancen. Selbst wenn sie die Hände zum Gebet falten, entwickelt er daraus eine anmutige Choreografie für Arme und Oberkörper. Immer wieder wird der Versuch unternommen, sich in einer gemeinsamen Sprache zu verständigen. Wie der Choreograf und die Kung-Fu-Kämpfer erst ihre Territorien abstecken,sich dann aufeinander zu bewegen, ist großartig.

Am Ende bleibt der Choreograf allein zurück vor einer Mauer, auch sein Spielkamerad Dondon ist zurückgekehrt in sein Reich. Doch der Brückenschlag zwischen Ost und West bleibt. Vom Publikum in Berlin werde die Shaolin-Mönche enthusiastisch gefeiert.

Haus der Berliner Festspiele, bis 6.12., jeweils 20 Uhr

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