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Kultur: Spinnen die Dänen?

Die ausländische Sicht auf Dänemark, besonders aus Deutschland, hat weniger mit der Realität als mit Mythen zu tun. Dänemark ist im Grunde nichts anderes als ein großes Dorf.

Die ausländische Sicht auf Dänemark, besonders aus Deutschland, hat weniger mit der Realität als mit Mythen zu tun. Dänemark ist im Grunde nichts anderes als ein großes Dorf. So geht es da auch zu, auch wenn das die meisten Dänen nicht wahrhaben wollen. Wer zu weit von der Norm abweicht, wird bestraft. Ob er nun ein Kopftuch trägt oder bunte Hosen, ist egal. Und dann gibt es da auch noch unsere ganz eigene Form von Größenwahn. Die meisten Dänen sind der Ansicht, im besten Staat der Welt zu leben. Das hört sich ungefähr so an: Wenn alle wären wie wir, wäre die Welt glücklich. Aber wie es aussieht, weigert sich die Welt, auf dänische Art glücklich zu werden. Und das können wir nicht verstehen. Deshalb rächen wir uns an denen, die aus der Welt zu uns kommen. Wir sagen einfach: Wer nicht bei uns glücklich werden will, der soll doch dahin gehen, woher er gekommen ist.

Das sieht aus wie Rassismus, ist aber keiner. Die Dänen in ihrer großen Mehrheit sind alles andere als Rassisten. Vielleicht sind sie ein bisschen Nationalisten. Vielleicht auch ein bisschen mehr. Aber man sollte die Kirche jetzt in Deutschland oder sonstwo im europäischen Dorf lassen. Es hat zwar unleugbar einen Rechtsrutsch gegeben, aber es war beileibe kein Erdrutschergebnis. Die 12 Prozent, die die Dänische Volkspartei gewählt haben, also die Rechtsaußen, haben schon immer am rechten Rand gestanden und mit irgendwelchen Parolen gestört. Der große Gewinner, die Partei Venstre, die jetzt als rechte ausländerfeindliche Partei gesehen wird, hat sich in den letzten Jahren von weit rechts in die Mitte bewegt und ist so zum Sammelbecken vieler Unzufriedener geworden. Damit hat sie vielleicht fürs Erste die Sozialdemokraten als Partei der Mitte abgelöst, das ist aber auch schon alles.

Wer glaubt, Dänemark werde in seiner Regierungspolitik nach rechts abdriften, den kann ich beruhigen: Es wird nicht passieren. Weil es nicht passieren kann. Das Land hat so viele Verträge und Abkommen unterschrieben, die es brechen müsste, dass so etwas nicht einmal eine Mehrheit in der Dänischen Volkspartei bekommen würde. Wenn tatsächlich etwas Wesentliches passiert ist, dann das Folgende: Zum ersten Mal hat sich eine Stimmung politisch artikuliert, die schon seit Jahren zu spüren war. Unruhe über Politiker, die Ängste nicht zur Kenntnis nehmen wollten. Es geht nicht im Entferntesten darum, Dänemark zur moslemfreien Zone zu erklären, wie es der altersschwachsinnige Mogens Glistrup von der Fortschrittspartei gefordet hat. Es geht um die Angst vieler Dänen, ihr kleines, so schönes Land könnte von dem großen, bewegten Meer der EU verschlungen werden. Deshab haben über 50 Prozent gegen die Einführung des Euro gestimmt.

Sie haben Angst. Und sie träumen. Und zwar von einem Dänemark, das es so tatsächlich nie gegeben hat. Sie träumen wie jemand, der es sich bequem gemacht hat und jetzt bitteschön nicht mehr gestört werden will. Ja, es gibt so etwas wie einen radikalen christlichen Fundamentalismus in Dänemark, dessen Vetreter den Kompromiss als politischen Akt ablehnen. Aber diese Damen und Herren werden sich sehr schnell die Zähne an der politischen Realität ausbeißen - viel schneller als viele im Ausland sich vorstellen können, die sich über diese angeblich immer so gemütlichen Dänen wundern. Die Gemütlichkeit zählt wie die Offenheit ebenfalls zu diesen Mythen, von denen ich nicht einmal ahne, wer sie in die Welt gesetzt hat.

Lassen wir die neuen Herren ruhig erstmal Regierung spielen. Die Partei Venstre wird mit den Konservativen koalieren, und wenn sie nicht auf die Stimmen der Radikalen von links oder rechts angewiesen sein wollen, werden sie sich wohl oder übel auf die Sozialdemokraten stützen müssen.

In einem Jahr wird es diese Regierung nicht mehr geben. Weil Dänemark im ersten Halbjahr 2002 die EU-Präsidentschaft innehat, werden alle bis Mitte 2002 stillhalten, damit kein Schatten auf das Land fällt. Aber dann geht es rund. Im Übrigen dreht sich die ganze Aufregung um den völlig falschen Punkt. Man vergisst, dass zum ersten Mal in der dänischen Geschichte zwei Einwanderer ins Folketing, das dänische Parlamament, gewählt wurden. Nicht irgendwelche Einwanderer, sondern muslimische Einwanderer. Keine Eiferer, aufgeklärte Demokraten, die mit Fundamentalismus so viel zu tun haben wie Dänemark mit der Osterinsel. Das ist für mich viel mehr wert als alles Gerede von Ausländerfeindlichkeit oder sogar Fremdenhass. Ganz klar: Es gibt beides in Dänemark. Aber nicht mehr und nicht weniger als sonst auch in Europa.

Leif Davidsen[hat im Wiener Zsolna], Jahrgang 1950[hat im Wiener Zsolna]

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