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Der Schein trügt. Agentin Sarah (Brit Marling), Doc (Toby Kebbell) und Aktivisten-Gruppenchef Benji (Alexander Skarsgard) bei der Aktion gegen eine Pharma-Konzernspitze.

© epd/Foxfilm

Spionage-Thriller "The East": Eine Heldin wie aus der Welt von Edward Snowden

Sarah Moss, Agentin eines Privat-Geheimdiensts im Auftrag der Konzerne, steigt aus. Und wechselt - wie Edward Snowden - die Seiten. Pat Batmanglijs Independent-Thriller "The East" könnte aktueller kaum sein.

Als „The East“ im Januar auf dem Festival von Sundance gezeigt wurde und Ende Mai mit schlichten vier Kopien in die amerikanischen Kinos kam, da war das Echo für diesen bemerkenswerten Independentfilm so beachtlich wie gespalten. Man staunte, mit welch sympathisierender Verve sich da ein junger Filmemacher in die Heldenstory einer Öko-Aktivistengruppe stürzte, der immerhin kleine, böse Anschläge gegen Konzerne vorgeworfen werden. Andererseits fand man die Romantik junger Aussteiger mit Oberschichtvergangenheit und Vaterkomplexen, der laut Drehbuch eine spionierende Geheimdienstagentin verfiel, ein bisschen naiv. Und nebenbei: Schon verblüffend, dass der Studioableger Fox Searchlight aus dem Imperium des oberkapitalistischen Medienzaren Rupert Murdoch sogar mit derlei ideologischer Unterwandererware Geld zu verdienen trachtete.

Dann, Anfang Juni, enthüllte Edward Snowden die kontiniuierliche globale Rasterfahndung durch den US-Militärnachrichtendienst NSA sowie durch befreundete Geheimdienste, und die Welt war plötzlich eine andere. Sie hatte einen real existierenden Helden, der diese Praktiken mutig enttarnt, einen Aussteiger aus der US-Geheimdienstzuträger- und Datenverwerterfirma Booz Allen Hamilton. Und sie hatte jemanden, der um eines moralisch übergeordneten Informationszieles willen die Seiten wechselt. Genauso wie der Filmheldin Sarah Moss in „The East“ der knallharte Auftrag langsam suspekt wird, medial als „Terroristen“ gebrandmarkte Widerständler zu infiltrieren und auffliegen zu lassen.

Der Idealismus ist zurück in der Wirklichkeit und im Kino. Und die Macher von Fox Searchlight können sich, nach Aufstockung auf fast 200 Kopien, über inzwischen zwei Millionen Dollar US-Einnahmen freuen. Doch dürften sie sich eher die Augen als die Hände reiben.

Tatsächlich trifft „The East“, der zweite Film des 32-jährigen iranischstämmigen Amerikaners Zal Batmanglij, unvermittelt ins Schwarze. Zu Zeiten, in denen das Ohnmachtsgefühl gegenüber den zu NSA-Komplizen avancierten, weltweit genutzten Kommunikationsinstrumenten Facebook, Google oder Skype überhand nimmt, erzählt er von einer verschworenen Gruppe von Davids, die etwas gegen die ökonomischen Goliaths unternehmen.

Im Film sind es zwar noch die Öl-, Chemie- und Pharmakonzerne, die vor ökologischen Verbrechen nicht zurückschrecken, also die geläufigen Feindbilder der Analogwirtschaft. Aber in der Person der zu den Guten – oder zumindest Besseren – überlaufenden Sarah Moss, gespielt von Ko-Autorin Brit Marling, findet sich eine auch aktuell wirksame Identifikationsfigur. Zudem muss sie, anders als Whistleblower Edward Snowden, nicht in einer Flughafen-Sackgasse mit dem gefährlich schillernden Namen „Transitbereich“ ausharren, sondern sucht zwischen Gewalt und Gegengewalt nach einem dritten Weg, die Welt zumindest ein bisschen besser zu machen.

Naiv, so der anfängliche Hauptvorwurf gegen das gesamte filmische Unternehmen, ist das keineswegs; so wie auch der eben 30-jährige Edward Snowden die möglichen Konsequenzen seiner Enthüllung illusionslos bedacht hat. Denn schon das Wissen um Zusammenhänge, so schmerzhaft sie sein mögen, macht die Verhältnisse zumindest klarer, klarer auch für Gegenwehr. Exakt diesen Erkenntnisprozess durchläuft die ehemalige FBI-Agentin Sarah, die sich bei dem als Sicherheitsfirma getarnten privaten Geheimdienst Hiller Brood äußerst tough einen Topjob erkämpft. Die obercoole Chefin Sharon (Patricia Clarkson) schickt Sarah los, um The East lahmzulegen, eine Gruppe, die über das ausspähungsresistente Deep Web kommuniziert und ihre empfindlichen Attacken gegen Konzerne offenbar im sozialen Schutz-Humus von Spätesthippies plant. Natürlich ist die nach außen stets beherrschte Sarah zunächst Feuer und Flamme.

Die Denkzettel, die The East verteilt, sind weitaus aggressiver als etwa jene spontihaften Verwüstungen von Banker-Privatvillen, wie sie einst Hans Weingartner für „Die fetten Jahre sind vorbei“ erfand. Auch erschöpfen sie sich, so massiv sie wirken mögen, nicht in der zeitweiligen Eroberung des medialen Zeichensystems wie im Fall der Occupy-Bewegung – oder auch der Greenpeace-Veteranen, die soeben wieder mit einer Aktion am südfranzösischen Atomkraftwerk Tricastin auf sich aufmerksam machten. Nein, die spektakulären Interventionen von The East nehmen schwere Gesundheitsgefährdungen konkreter mächtiger Gegner in Kauf. Aber was, so fragt der Film, sind sie gegen die planmäßige massenhafte Vergiftung der Umwelt, wie sie die Multis betreiben?

Wie zynisch auch der konzerngesteuerte Geheimdienst Hiller Brood vorgeht, zeigt sich bei der ersten Aktion, die Sarah korrekt an ihren Auftraggeber verrät. Die East-Gruppenmitglieder, allen voran Vordenker Benji (gefährlich sanft: Alexander Skarsgard), Izzy (wunderbar wild: Ellen Page) und Doc (umsichtige Mittellage: Toby Kebbell), vergiften beim Empfang des Pharmakonzerns McCabe Grey den Champagner der Spitzenmanager mit dem Extrakt eines Konzernmedikaments, dessen Nebenwirkungen auf lange Sicht lebensgefährlich sind. Nur: Hiller-Brood-Chefin Sharon interveniert nicht, schließlich gehört McCabe Grey, sagt sie, „nicht zu unseren Kunden“. Nach dem Anschlag allerdings schon.

Zu diesem Zeitpunkt hat Sarahs Loslösungsprozess längst begonnen. Nicht dass sie bereits ihre anfängliche Tarnung als Güterzug-Tramp à la Jack London besonders aufregend fände. Die Maskerade verschafft ihr – durch eine gezielte Selbstverletzung nach einem Polizeieinsatz – nur Zugang zu The East, dessen Mitglieder gemeinsam in einer verfallenen Waldvilla leben. Es ist eher das mal pfadfindermäßige, mal etwas sektenartig wirkende, vor allem aber ökonomisch bedürfnislose Zusammenleben, das Sarah trotz tapfer durchgehaltener Doppelrolle immer tiefer mit der Gruppe verbindet. Wie etwa, so das Initiationsritual, führt man sich Suppe zu, in eine Zwangsjacke gepresst und nur mit einer Holzkelle im Mund? Die Antwort muss man im Kino sehen. Auch, wie es sich anfühlt, von anderen im See gewaschen zu werden.

Derlei Rituale ließen sich denunziatorisch lesen, wäre nicht bekannt, dass der Regisseur und seine Hauptdarstellerin selber 2009 monatelang als Tramps ohne Geld unterwegs waren. Eine Erfahrung, die bei der Erarbeitung dieses ungewöhnlichen Spionagethriller-Stoffs half. Auch das Genreklischee, Sarah werde aus lauter Schwärmerei für Anarchochef Benji bloß zu einer Art Groupie, führt nicht weit. Die Nähe zwischen den beiden bleibt im Ungefähren; zudem spielen Brit Marling und Alexander Skarsgard ihre Figuren so zurückhaltend, dass stets Raum für Fremdheit und plötzliche, emotional plausible Wendungen bleibt. Ja, die Story ist erfunden, aber sie insinuiert auch, beruhigend beunruhigend: So könnte es in Wirklichkeit gehen. Immerhin, zumindest die „Office Drone“ namens Sarah funktioniert schon mal nicht mehr.

Auch Edward Snowden war solch ein Elementarteilchen der gigantischen unsichtbaren Drohne, die so lange über unseren Köpfen schwebt, wie die Welt den digitalen Krieg von Staaten gegen ihre Bewohner hinnimmt. In einem bei www.buzzfeed.com veröffentlichten Interview sagt Regisseur Zal Batmanglij: „Edward Snowden und Sarah sind beide Nomaden, Exilierte in ihrer eigenen Gesellschaft, weil sie den Horror nicht mehr aushalten.“ Und, zur Kritik am „naiven“ Ende seines Films: „Es erzählt genau Snowdens Schicksal, das Schicksal von jemandem auf der Flucht. Von jemandem, der so sehr für das lebt, woran er glaubt, dass er alles aufgibt, was er kennt und liebt.“

Ab Donnerstag in Berlin im Cinemaxx und Colosseum, OmU im Moviemento und Rollberg

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