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Kultur: Spitzenplatz für „Straßenszene“

Kirchner, Klimt & Co.: Vorschau auf die New Yorker Auktionen der Klassischen Moderne

Am Abend des kommenden Mittwochs wird der neue Eigentümer von Ernst Ludwig Kirchners „Berliner Straßenszene“ von 1913 bekannt sein. Mag auch Diskretion eines der höchsten Güter im Auktionsgeschäft sein – eine derartige Aufmerksamkeit, wie sie Kirchners Gemälde gefunden hat, führt schon im Vorfeld zu ausufernden Spekulationen. Das liegt an der Herkunft: Das Bild kommt direkt aus dem Brücke-Museum, wo es seit 1980 als ein, wenn nicht das Meisterwerk des Hauses schlechthin gehangen hatte. Allein, seine Provenienz erwies sich als weniger makellos. Einst gehörte das Bild einem jüdischen Sammlerpaar. Dessen Erben forderten die Rückgabe, die die Berliner Kulturverwaltung schnell gewährte.

Vorschnell – wie der Vorwurf lautet, der in den vergangenen Monaten vielstimmig erhoben worden ist. Beide Seiten, die Kulturbehörde wie ihre Kritiker, wähnen sich im Recht. Damit stehen sie nicht allein. Die – noch spektakulärere – Rückgabe von fünf Gemälden Gustav Klimts aus österreichischem Museumsbesitz verlief in ähnlicher Missstimmung. Die Praxis der Rückgabe von „NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut“, wie hierzulande der Fachbegriff lautet, ist ins Zwielicht geraten.

Nun zählt das Kirchner-Bild zu dem atemberaubenden Angebot, das Christie’s für seine New Yorker Abendauktion des 8. November zusammengetragen hat. Als Restitution eines NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes steht es an diesem Abend nicht allein. Zugleich kommen vier der fünf Gemälde Gustav Klimts zum Aufruf, die die Republik Österreich nach langem Rechtsstreit aus ihrem Museumsbesitz an die Erben der Alteigner zurückgegeben hat. Zudem sind Werke dabei, die aus nordamerikanischem Besitz restituiert wurden – Belege dafür, dass die Regelung entsprechender Ansprüche mitnichten auf Deutschland oder auch nur Europa beschränkt ist.

Kirchners Gemälde ist mit einer Taxe von 18 bis 24 Millionen (alle Preisangaben in Dollar) versehen – was den enormen Ansehensgewinn unterstreicht, den die deutsche Klassische Moderne zuletzt erfahren hat. Nicht viel trennt sie mehr von den Franzosen, die mit Picassos Porträt des Angel Fernandez de Soto von 1903 (40/60 Millionen) und Paul Gauguins „Mann mit Hacke“, entstanden in Tahiti 1891 (35/45 Millionen), die Spitzenplätze einnehmen.

Ins Museum of Modern Art, das bereits eine der raren Straßenszenen Kirchners bewahrt, würde das schmerzlich verlorene Berliner Bild vorzüglich passen. Nun trifft es sich, dass MoMAs Stiftungsratschef Ronald Lauder zugleich sein eigenes Privatmuseum „Neue Galerie“ betreibt, für dessen intime Räume er bereits das gewichtigste Werk aus dem Klimt-Paket erworben hat, das Porträt „Adele Bloch-Bauer I“ zum Weltrekordpreis von 135 Millionen Dollar. Das zweite Porträt der Mäzenin ist nun für 40 bis 60 Millionen bei Christie’s im Angebot, gefolgt von drei Landschaften (ab 15 Millionen). Erstaunlich genug, dass (vermutlich) Lauder zugleich unter die Einlieferer gegangen ist. Egon Schieles „Einzelne Häuser“ von 1915 (20/30 Millionen) zählten jedenfalls 2001 zum Eröffnungsbestand der „Neuen Galerie“. Jetzt wird gemunkelt, dass Lauder stattdessen mit dem rekordpreisverdächtigen Kirchner seinen Bestand an deutschem Expressionismus schlagartig aufwerten wolle.

Etliche Kunstwerke zirkulieren in immer kürzeren Abständen, wie die Herkunftsnachweise der Auktionskataloge verdeutlichen. Das gilt auch für das Konkurrenzhaus Sotheby’s, das am Abend zuvor seinen großen Auftritt hat. Bei 225 Millionen Dollar liegt die Summe der unteren Schätzpreise der 85 Lose. Spitzenwerk ist ein Melonenstillleben von Paul Cézanne (1895, 28/35 Millionen), gefolgt von Amedeo Modiglianis „Sohn der Hauswartsfrau“ von 1918 (14/18 Millionen) und Henri Matisses Bronze einer „Dekorativen Figur“ von 1908, die in immerhin zehn Güssen existiert (12/18 Millionen). Vincent van Gogh kommt mit dem letzten in Privatbesitz verbliebenen Schuh-Stillleben zum Aufruf – 8 bis 12 Millionen werden erwartet für ein Paar rustikaler Halbstiefel, erworben 1886 auf dem Flohmarkt. Doch neben den stets bevorzugten Franzosen werden mehr und mehr andere Künstler ins obere Preissegment gehoben. So etwa Max Beckmann, dessen „Mädchen mit Hunden spielend“ durchaus keine beschauliche Genreszene darstellt. 1933 nach des Künstlers Abtauchen in Berlin entstanden, gehörte es dessen bedeutendstem Nachkriegssammler, dem Kaufhausmagnaten Morton D. May aus St.Louis. Jetzt kommt es aus ungenannter (Erben-)Hand für 2,5/3,5 Millionen zum Aufruf.

Aus dem Kreis des späteren „Blauen Reiters“ sticht Wassily Kandinskys früher „Starnberger See“ von 1908 hervor (6/8 Millionen), der seit dreißig Jahren nicht mehr öffentlich zu sehen war. Damals hatte Kandinsky in der „Neuen Künstlervereinigung München“ engen Kontakt zu seinem Landsmann Alexej von Jawlensky, dessen monumental angelegter Kopf einer „Spanierin“ von 1911 datiert (3,5/4,5 Millionen). Die Dresdner „Brücke“ ist durch Erich Heckels „Akt“ von 1910 vertreten (2,4/3,2 Millionen). 1999 war das Bild mit zwei Millionen Mark das Spitzenlos bei der Sommerauktion der Villa Grisebach Berlin – so viel zur gezielten Wertsteigerung, die sich an vielen der New Yorker Einlieferungen verfolgen lässt.

340 Millionen Dollar beträgt die Summe der unteren Schätzpreise bei den – gleichfalls 85 – Losen von Christie’s. Gut möglich also, dass am 8. November die Halbe-Milliarden-Marke durchstoßen wird. Die gegenwärtige Hausse des Kunstmarktes, in den enorm viel „neues Geld“ aus Finanzmarkt-Gewinnen fließt, hat ihren Zenit wohl noch nicht erreicht.

Dazu tragen die frisch auf den Markt kommenden Werke aus Restitutionsfällen bei. Deutsche Museumsvertreter klagen, dass die hiesige Regelung mit ihrer vollständigen Umkehrung der Beweislast jedweder Rückforderung Tür und Tor öffne. Verbunden mit deren Unverjährbarkeit müssten Museen damit rechnen, noch in Jahrzehnten mit Herausgabeforderungen konfrontiert zu werden. In anderen Ländern, etwa den Niederlanden, wird darum mittlerweile eine neuerliche Befristung erwogen.

Die Restitutionspraxis hat eine eigene Dynamik entfaltet. Anwälte und Auktionshäuser durchforsten systematisch die Bestände von Museen, um mögliche Zweifelsfälle ausfindig zu machen. Da haben die Museen freilich allzu lange geschlafen. Erst seit der Washingtoner Erklärung von Ende 1998 wird nennenswerte Provenienzforschung betrieben.

Der Groll, der sich im Falle des Kirchner-Bildes massiv gegen die Anwälte und das frohlockende Auktionshaus erhoben hat, ist zwar verständlich, geht jedoch an der Sache vorbei. Gewiss kassieren amerikanische Anwälte, die keine gesetzlichen Honorarordnungen kennen, bis zu 50 Prozent des Erlöses beim Wiederverkauf restituierter Kunstwerke. Die glücklichen Erben der fünf Klimt-Bilder haben 40 Prozent Erfolgshonorar genannt, was in ihrem Fall bis zu 80 Millionen Dollar ausmachen wird. Und Auktionshäuser verdienen ohnehin an jedem Zuschlag.

Die Selbstverpflichtung der auf der Washingtoner Konferenz vertretenen Staaten, begangenes Unrecht auszugleichen, bleibt von dieser Praxis jedoch unberührt. Es ist schließlich der Rechtsbruch der Nazis, den es zu heilen gilt. Gleichzeitig muss nüchtern festgehalten werden, dass das Idealbild des alt gewordenen Eigentümers, der sein geliebtes Kunstwerk zurückerhält, überholt ist. Heute sind es in der Regel Erbengemeinschaften, die unter dem Druck von Anwaltshonoraren und Steuerforderungen gar nicht anders können, als ihr frisch erworbenes Eigentum umgehend zu veräußern.

Beide Seiten fahren finanziell ohnehin besser, wenn weder Anwälte noch Händler mitverdienen. In Österreich hat eine schlecht beratene Kulturministerin einen fairen Ausgleich mit der Klimt-Erbin über Jahre hinweg ausgeschlagen. In Berlin hingegen, so Senator Flierl, habe man sich „lange und intensiv bemüht“. Doch bleibt nur das bittere Fazit: „Leider ohne Erfolg.“ Jetzt muss es darum gehen, daraus Konsequenzen zu ziehen und die Restitutionspraxis international neu zu justieren – ehe ihr moralisches Fundament vom Kunstmarkt zerrieben wird.

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