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Kultur: Sport als Welterkenntnis: Blut, Schweiß und Grätsche - Ein Heft der Zeitschrift "Kulturaustausch"

Warum ist ein deutscher Fußballtrainer in Namibia der zweitwichtigste Mann des Staates? Und warum war Atlanta für Coca-Cola fast ein Imageverlust?

Warum ist ein deutscher Fußballtrainer in Namibia der zweitwichtigste Mann des Staates? Und warum war Atlanta für Coca-Cola fast ein Imageverlust? Weil Sport mehr ist als der Wettkampf der Körper. Zum Beginn eines Sommers voller sportlicher Großereignisse - die Fußball-EM läuft schon und die Olympischen Spiele in Sydney stehen bevor - versammelt nun die Zeitschrift "Kulturaustausch" des Instituts für Auslandsbeziehungen Autoren aus aller Welt, die dem Sport mehr als Schweiß und Tränen abgewinnen.

Ohnehin war Sport nicht immer so ernst wie heute, wo ein verlorenes Fußballspiel einer ganzen Nation auf die Stimmung drückt. So zeigt Henning Eichberg, dass das Laufen ursprünglich Volksbelustigung und Volkslauf in einem war. Nicht auf die Geschwindigkeit kam es an, sondern auf eine "Lachkultur, die den grotesken Körper inszenierte, die verkehrte Welt, die krumme Linie des Stolperns". Ein Verständnis vom Sport, das auch nach der Wiederbelebung der olympischen Idee vor etwas mehr als 100 Jahren noch lange parallel neben dem "höher, schneller, weiter" existierte. Spaß sollte es machen, nicht nur den Zuschauern, sondern auch den Teilnehmern.

Doch Sport ist mehr als lustgetriebene Selbstinszenierung. Er ist ein Mittel der Welterkenntnis. Denn Sport ist Politik, ist Kultur, ist kollektives Selbstverständnis und dient der Abgrenzung des Eigenen vom Fremden. Oder der Missionierung der Welt. Nicht umsonst trat die wettbewerbsgestützte Leibesertüchtigung von England aus ihren Siegeszug um die Welt an. Wurde das, was dort an den Colleges der Elitebildung diente, zur Integrationsmaschine des Commonwealth. So zeigt der FAZ-Autor Jürgen Kaube, der auch für die montägliche Sportglosse der "Berliner Seiten" verantwortlich zeichnet, wie es dazu kommen konnte, dass die Pakistani und Inder den Kolonialherren plötzlich im Kricket überlegen waren und das Selbstverständnis der Briten als Kulturbringer erschütterten.

Längst hat aber auch Deutschland den Sport als Botschafter entdeckt. So macht sich das Goethe-Institut die Popularität des Fußballs zu Nutze, um Jugendliche auch für andere Aspekte der deutschen Kultur zu interessieren. Als man in Dakar den aus Deutschland kommenden Nationaltrainer Senegals, Peter Schnittger, einlud, kamen nicht nur mehr Menschen als je zuvor in die Räume des Goethe-Instituts, sondern auch eine große Zahl von Analphabeten, die man sonst nie erreicht hätte. "Sport vermittelt, was Deklinationstabellen, aber auch Goethe- und Hölderlin-Texte oft nicht erreichen: die Aufmerksamkeit und Neugier einer jungen Generation zu wecken", schreibt Hilmar Hoffmann, der Präsident des Goethe-Instituts. Fußballtrainer und Sportpädagogen sind somit längst Bestandteil einer "Sympathiewerbungskampagne" des Auswärtigen Amtes.

Der Popularität des Fußballs bedienten sich afrikanische Politiker schon zum Beginn der Entkolonialisierung. Legendär sind die algerischen Ballkünstler, die sich während des Unabhängigkeitskrieges weigerten, für Frankreich bei der WM 1958 zu spielen und stattdessen eine algerische Auswahl bildeten. Was als Teil einer Befreiungsbewegung begann, endete jedoch oft als Stein im Fundament einer Diktatur. "Die Diktatoren und Autokraten brauchten den Fußball als Kitt für ihre sozial und ethnisch fragmentierten Gesellschaften", schreibt Kurt Wachter über Afrika. Ein Sieg der Nationalmannschaft stützt das Regime, während eine Niederlage zu Aufruhr führen kann. Aber auch in Südamerika ist Fußball Politik. So meint der brasilianische Schriftsteller João Ubaldo Ribeiro, die wahre Unabhängigkeit von den Kolonialherren habe Brasilien erst mit dem 5:2 gegen Schweden errungen, das ihnen 1958 den WM-Titel einbrachte.

Dennoch geht die Zeit der allgegenwärtigen Politisierung des Sportes ihrem Ende entgegen. Seit dem Zerfall des Ostblocks können Olympische Spiele kaum noch als Kampf des Guten gegen das Böse verkauft werden. Zwar bleibt das Nationale vorherrschend - manche olympische Sportarten werden ja gar nicht mehr im Fernsehen gezeigt, wenn nicht ein Deutscher auf aussichtsreicher Position mitkämpft. Doch Atlanta demonstrierte das neue Paradigma: den Markt. Der Sportler wird zum bloßen Einzelkämpfer, der jede Gelegenheit ausnutzen muss, sich und seinen Körper zu präsentieren und zu Geld zu machen. Logisch, dass sich da ein Effenberg der lauen Loosertruppe Nationalmannschaft entzieht. Kann er doch nur an Ansehen verlieren, wenn er mit unseren Kickern in Verbindung gebracht wird.

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