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Sportarenen: Schüsseln für große Gefühle

Warschau und Kiew haben neue EM-Stadien errichtet und alte umgebaut. Mit Architektur und Fankultur beschäftigt sich die Ausstellung „Choreographie der Massen - Im Sport. Im Stadion. Im Rausch“ in der Berliner Akademie der Künste.

Er sieht nicht aus wie ein Dirigent. Dennoch schwenkt der Mann mit der weißen Schirmmütze über dem runden Gesicht die Arme, gibt den Takt vor und hält dank seiner stummen Regieanweisungen ein halbes Fußballstadion in Schach. Das war 1969 in Deutschland sicher leichter als heute. Ein starkes Bild über die „Choreographie der Massen“ liefert die kleine Sequenz einer Film-Dokumentation in der gleichnamigen Schau der Akademie der Künste aber auch jetzt noch.

An ihrer Konzeption war Akademie- Mitglied Volkwin Marg vom global agierenden Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner (gmp) maßgeblich beteiligt. Es lässt sich auch kaum leugnen: gmp steht im Zentrum dieser Ausstellung, die Wechselwirkungen zwischen Massenveranstaltung und Architektur aufzeigen will und „Stadien als bauliche Reflexion sozialer Organisation“ begreift. Es verwundert aber auch nicht, weil das Büro mit dem Nationalstadion Warschau und dem Olympiastadion Kiew jüngst jene Stadien neu gebaut beziehungsweise umgebaut hat, in denen die zentralen Spiele der Europameisterschaft stattfinden.

Rechtzeitig zum Eröffnungsspiel wurden die Materialien und Stadionmodelle am Pariser Platz installiert. Übergroß sind die Farbfotos der beiden gmp-Highlights. Die architektonische Historie – und damit die Bauten anderer Akademie-Mitglieder wie Günter Behnisch, Renzo Piano oder Norman Foster – wandert man an kleinen Schwarz-Weiß-Fotografien und Zeichnungen ab. Ein Ungleichgewicht, der Aktualität geschuldet. So kann, wer nicht nach Warschau oder Kiew reist, wenigstens die wunderbaren Bauten begutachten. Das Haus nimmt ausnahmsweise keinen Eintritt, damit möglichst viele vor oder nach den Spielen den Weg von der nahe gelegenen Fanmeile in die Ausstellung finden. Belohnt werden Neugierige, die mehr über das Verhältnis von Sport, Architektur und Fankultur erfahren möchte, mit einer Flut an Informationen.

Die EM-Stadien bei Google-Street-View:

Hier wird nicht einfach weitergefeiert, das macht schon ein Blick auf die sechs Ordner im ersten Ausstellungsraum klar, in denen man stundenlang blättern und lesen kann. Sie vermitteln Wissenswertes über „Sport und Kommerz“ oder erinnern pointiert noch einmal an jüngere Skandale wie den Versuch von Fifa-Mitglied Jack Warner, im vergangenen Jahr Boss Joseph Blatter vom Thron zu stoßen – was bekanntermaßen damit endete, dass Warner selbst suspendiert wurde.

Mit der „Choreographie der Massen“ haben solche Ereignisse wenig zu tun. Wie man die Menge mobilisiert, wann und weshalb sie die ihr zugewiesene Rolle verlässt und eine Situation eskaliert – darüber sagen die Dokumente nichts. Man hilft sich mit Zitaten von Goethe oder Elias Canetti. Und mit einer spektakulären Montage der jungen Filmemacherin Hannah Leonie Prinzler, die tosende Stadien und sportliche Gleichschaltung der Olympischen Spiele von 1936 in Berlin mit Vogelschwärmen kontrastiert. Ein bisschen wirkt das so, als hätten Marg und der Architekturhistoriker Gert Kähler der Überzeugungskraft ihrer gesammelten Dokumente nicht getraut. So wird man nach der strengen Kost der ersten beiden Räume geradezu überwältigt von den Bildern, die zeigen, was man mit Menschenmengen alles anstellen kann.

Die Gastgeber-Städte der EM 2012:

Die Kuratoren halten sich lieber zurück. Es mag eine Altersfrage sein. Der 1942 geborene Kähler sagt, dass ihm Massen und Gleichschritt allein schon aus der Geschichte heraus suspekt sind – eine Ansicht, der sich übrigens auch Marg anschließt. Beide schärfen lieber den Blick für ein Phänomen, das eigentlich bekannt und dennoch immer wieder erwähnenswert ist: Die Menschenmasse im Stadion kann vielen dienen – dem Diktator ebenso wie dem Fußballgott. Wer die Menge beschwört, trägt eine ungeheure Verantwortung.

Das betrifft nicht zuletzt die Architekten, die in ihren Plänen vom intelligenten Leitsystem bis zur Fluchtmöglichkeit berücksichtigen müssen, dass eine entfesselte Menge kopflos agiert. Und die mit ihren Bauten zugleich in der Geschichte bis zurück in die Antike verankert sind, wo man Tiere auf Menschen hetzte und Gladiatoren gegeneinander antreten ließ.

„Choreographie der Massen“ versucht allen diesen Aspekten gerecht zu werden. Auf engem Raum, denn die ebenerdige Ausstellungsfläche in der Akademie der Künste bietet nicht viel Platz für szenografische Experimente. Doch wäre gerade dies reizvoll für eine Ausstellung, die Bauten für Menschenmassen thematisiert. Ein Spiel mit den verführerischen Kräften ihrer Anonymität, wie sie im Katalog breiten Raum findet. Die Tatsache etwa, dass in der Fußball-Szene nicht selten Angehörige bürgerlicher Schichten im Rausch zu Hooligans mutieren. Dass es zu Exzessen kommt – in der letzten Saison immer häufiger.

Solche Phänomene handelt die Schau so distanziert ab, als seien sie lediglich unangenehme Begleiterscheinungen. Dabei macht Kähler gleich auf den ersten Seiten des Katalogs auf die Herkunft der Olympischen Spiele aufmerksam, die in der Antike „paramilitärische Kampfdisziplinen“ kanalisierten. Der Sport wurzelt im Krieg, auch diese These hätte programmatischen Charakter annehmen und in der Ausstellung facettenreich beleuchtet werden können. Stattdessen verzettelt sich das Projekt in kleinteiligen Aspekten. Dass sie den fußballtrunkenen Public Viewer von der Straße zieht und er sich konzentriert den Dokumenten widmet, ist am Ende wohl ein frommer Wunsch. Viel mehr wird es jene anziehen, die sich vor den Massen in die Stille der Akademie zurückziehen und hier kapitelweise ihre Vorbehalte bestätigt sehen.

Akademie der Künste, Pariser Platz, bis 12. August, Di-So 11-20 Uhr

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