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Sprache und Integration: Warum Mario Gomez kein Spanier ist

"Migrationshintergrund" – Deutschland braucht zur Integration und zur eigenen Identität eine neue, klarere Sprache.

Einmal zeigte auch der Sheriff, dessen schärfste Waffe sein schnell feuerndes Mundwerk ist, kurz Nerven. Das war gar nicht die Stelle, als der Fernsehmoderator Frank Plasberg in der ARD-Talkshow „Hart aber fair“ den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch am Mittwochabend damit konfrontierte, dass Hessens Justiz bei der zeitnahen Rechtsfindung in Jugendstrafverfahren bundesweit das Schlusslicht darstellt. Nein, es ging um Kochs bisher wenig beachtete Forderung aus dem Sommer, das Tragen von Burkas in Hessen zu untersagen. Plasbergs Redaktion hatte recherchiert, dass in Hessen noch kein einziger Burka-Fall bekannt sei.

Okay, meinte Koch, er denke eben schon an die Zukunft, das müssten Politiker dürfen; flugs lenkte er dann zum Kopftuch über und redete von „den Beamtinnen und Beamten“, die auch künftig unverhüllt zum Dienst zu erscheinen hätten. Das Phantom eines verschleierten „Beamten“ hat der scharfzüngige MP natürlich gleich wieder weggenuschelt. Doch für eine Sekunde enthüllte sich zumindest der Aberwitz jenes im Politspeak längst üblichen „Quotendeutschs“ („Magedeburgerinnen und Magdeburger“), dem jetzt das Januar-Heft der Zeitschrift „Merkur“ seinen Aufmacher widmet. Unter dem Titel „Bescheuertheit“.

Ein ganz anderes Quoten-Deutsch beherrscht freilich auch die jüngste Debatte um Jugendkriminalität und Ausländer in Deutschland. Geradezu inflationär wird dabei das Wort „Migrationshintergrund“ verwendet, in dem sich auch die vordergründigste Rumrederei noch einrichtet wie in einer begrifflichen Abstellkammer: für alles, was zwischen beflissener politischer Korrektheit und ressentimentgesteuerter Verdächtigung so Platz hat. Tatsächlich benutzen die Landesämter für Statistik und das Statistische Bundesamt die Formel „Migrationshintergrund“ seit gut zwei Jahren, und 2007 hat sich das M-Wort ausgebreitet wie ein Bazillus.

Für die Statistik sind „Menschen mit Migrationshintergrund“ ausländische Einwanderer, deutschstämmige Spätaussiedler (etwa aus Russland), in Deutschland geborene und /oder eingebürgerte (frühere) Ausländer sowie alle überwiegend in Deutschland lebende Personen, bei denen mindestens ein Elternteil eines dieser Kriterien erfüllt. Das sind rund 20 Prozent der Bevölkerung, also 16 Millionen „Mitbürger“, wie sie aus der Perspektive der übrigen 80 Prozent meist etwas gönnerhaft genannt werden. Über die Hälfte von ihnen, also etwa neun Millionen haben einen deutschen Pass, sind also – auch wenn sie noch eine zweite Staatsangehörigkeit besitzen – mit allen Rechten und Pflichten deutsche Staatsbürger.

Für den „Hintergrund“ ist es offiziell nicht entscheidend, ob ein Betroffener eine eigene Migrationserfahrung hat, ja: ob er oder sie das Land ihrer ausländischen Vorfahren überhaupt selber kennt. Es geht daher um eine kulturelle und gar ethnische Zuordnung, wobei die Klassifizierung im Sprachgebrauch von Polizei, Politik und Medien den „Hintergrund“ durchaus auf in Deutschland geborene deutsche Staatsangehörige auch in der vierten oder gar fünften Generation fortschreibt. Anders als bei eingebürgerten ehemaligen Franzosen, Engländern oder Amerikanern gilt bei entsprechend klingenden Familiennamen im Zweifelsfall: einmal Türke, immer (noch) Türke.

Man merkt das schon an unserer offiziösen, durch Gesetze, Kommentare, allgemeine Übung verbreiteten Sprachlosigkeit. Oder Sprachwidrigkeit. Da ist zum Beispiel Deutschlands Fußballer des Jahres 2007, Mario Gomez. Der 1985 in Riedlingen geborene Schwabe hat immer in Deutschland gelebt, ist deutscher Nationalspieler und hat eine schwäbische Mutter und einen spanischen Vater. Weil das unter EU-Bürgern ziemlich problemlos geht, besitzt Gomez neben dem deutschen zwar auch einen spanischen Pass. Aber ein „Deutsch-Spanier“ wäre angesichts seines Migrationshintergrunds heute wohl eher der Augsburger Bernd Schuster bei Real Madrid.

Trotzdem wird Gomez bei uns weiterhin ausgebürgert, indem man den Stuttgarter in den Medien regelmäßig als „deutsch-spanischen“ Nationalspieler bezeichnet. Indes ist der DFB-Stürmer allenfalls ein „spanisch-deutscher“ Spieler. So, wie der in Hamburg geborene und dort lebende deutsche Filmemacher Fatih Akin, mit seinem türkischen Vater und seinem keineswegs im Hintergrund bleibenden Filmthema Migration, auch als „türkisch-deutscher“ Erfolgsregisseur bezeichnet werden kann. Und nicht andersherum, wie es laufend geschieht.

Ein „Migrationshintergrund“, dieses epidemisch verbreitete Nebelwort, träfe ja auch auf Deutsche im Ausland zu. Boris Becker oder Michael Schumacher, Klinsmann noch, Gottschalk oder die Brüder Flick. In Europas und der Weltkulturgeschichte wären es unendlich viele, von Joseph Conrad bis Picasso, von Greta Garbo bis Romy Schneider. Und noch zur Nazizeit spielte der legendäre Schalker Meister-Kreisel vor dem Hintergrund polnischer Einwanderer im Ruhrgebiet. Aber das waren selbst damals akzeptierte Einwanderersöhne – während es heute das Unwort „Zuwanderung“ aus politisch-terminologischer Verdruckstheit bis zur Gesetzeskraft geschafft hat.

Gemäß den aktuellen deutschen Begriffen wird Frankreich jetzt von einem ungarischen Migrantenspross (plus griechischem Hintergrund) regiert und ist Barack Obama ein amerikanischer Kenianer (mit muslimischem Hintergrund). Um solchen Blödsinn auszuschließen, spricht man freilich: von einem Afro-Amerikaner, spricht ebenso von Italo-Amerikanern und nicht etwa von US-Italienern, sei’s ein Sinatra oder Giuliani. Die Betonung liegt immer auf dem zweiten Hauptwort. Dem Amerikaner.

Auch in Deutschland ist ähnlich viel Klarheit und Wahrheit längst überfällig. Das gerade erschienene Buch „10 für Deutschland“ liefert ein Beispiel. Die Berliner Journalistin Mely Kiyak hat darin zehn lesenswerte Politikerinterviews gesammelt: „Gespräche mit türkischstämmigen Abgeordneten“, so der Untertitel (in der Edition Koerber-Stiftung, Hamburg). Doch selbst Prominente wie der im Europaparlament sitzende Grüne Cem Özdemir, der sich ausdrücklich als Deutscher fühlt und auf das amerikanische Integrationsbeispiel beruft, macht sich sprachlich unfreiwillig immer wieder ganz oder halb zum „Türken“, mindestens wieder zum „Deutsch-Türken“.

Aus Deutschen, sogar Polizisten aus Berlin-Kreuzberg (mit „Migrationshintergrund“), wurden auch am Mittwoch bei „Hart aber fair“ ständig wieder unwidersprochen Ausländer, und nur eine hat kürzlich einen Gegenvorschlag gemacht. Die Berliner Juristin und Frauenrechtlerin Seyran Ates hat in ihrem neuen Buch „Der Multikulti-Irrtum“ (Ullstein Verlag) die Idee, alle Eingewanderten und Eingebürgerten „Deutschländer“ zu nennen. Ates: „So werden die in Deutschland lebenden Türken in der Türkei genannt.“ Allerdings sei dieses Wort dort auch negativ besetzt. Das Buch der couragierten Anwältin ist zu empfehlen, der verkrampfte Begriff „Deutschländer“ aber sicher nicht.

Die nach der Wende hunderttausendfach eingewanderten, oft nur noch russisch sprechenden ehemaligen Wolga- Deutschen oder die aus Rumänien stammenden Banat-Schwaben, nennt hier niemand „deutsch-russisch“ oder „deutsch- rumänisch“. Sie sind, wenn es einer solchen Zuordnung überhaupt noch bedarf, Russlanddeutsche oder Rumäniendeutsche. Aus Ceausescus Diktatur einst exilierte Autoren wie Herta Müller oder Richard Wagner sind deutsche Schriftsteller, basta. Soweit nötig mag man Mario Gomez also einen Spanien-Deutschen und Fatih Akin noch einen Türkei-Deutschen nennen oder einen Türkisch-Deutschen. Nur nicht umgekehrt.

In unserem Sprachgebrauch, der ja nichts anderes als ein Spiegel des Denkens – von Urteilen oder Vorurteilen, von Erkenntnis oder Verdrängung – ist, drücken sich Politspeak, Beamtendeutsch und Medienjargon weiterhin um die Konsequenzen der Einwanderung: um die Folgerung, deutsche Staatsangehörigkeit nicht mehr als altes Blutrecht zu definieren, sondern auch als neu gewähltes, neu begründetes Staatsbürgerrecht – ohne ständigen, aussondernden Verweis auf ethnische oder kulturelle, religiöse „Hintergründe“. Dieses Land ist ja jeden Tag hunderttausend Mal um Integration bemüht, in Kindergärten, Schulen, sozialen Institutionen, auf zig Ämtern. Trotz aller Unvollkommenheit und Verspätung. Aber mit der falschen Sprache, die selbst Vorbilder gelungener Integration noch ausgrenzt, stinkt der Fisch vom Kopf.

Bei der Diskussion um straffällige Jugendliche ist es durchaus sinnvoll, auf soziokulturelle Hintergründe zu schauen. Jugendliche Gewaltkriminalität wurzelt im Zusammenhang von Unterschicht, Parallelgesellschaft und jener Sprachlosigkeit, die sich bei Frust oder Lust nur durch Aggression ausdrückt. 2008 suchen die Goethe-Institute nun weltweit nach unseren „schönsten Worten mit Migrationshintergrund“. In der Jury sitzen Anne Will und Loriot. Sprache lebt durch neue, „fremdwörtliche“ Einflüsse. Wenn sie dabei aber keine das Selbstwertgefühl stärkende, keine identitätsstiftende Klarheit findet, verbaut sie die eigene Zukunft. Nur mit Abwehrbegriffen wird kein Einwanderungsland so attraktiv und selbstbewusst, dass es Aus- und Inländer mit seinen Gesetzen und seiner Kultur auch im Konfliktfall überzeugt.

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