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Kultur: Sprache und Krieg

Die Inszenierung der Irakfrage: Wie die Vereinten Nationen zur Weltbühne werden

Von Caroline Fetscher

Wenn Colin Powell sich sammelt, , sieht man ihn oft einen Augenblick lang die Schultern zurechtruckeln. Es ist eine kleine, typische Bewegung, mit der er sich in seine Rolle hineinzuschütteln scheint. In solchen Augenblicken wechselt er von der Person zur Persona, wird von Colin Powell zum Secretary of State. Auch mitten in der Rede macht er manchmal diese sparsame Bewegung, in der sich die winzige Distanz zu seiner Rolle ebenso ausdrückt wie in seinem Lächeln. Der Mann, sagen sie in Amerika, hat Charisma. Denn im Inneren des Politikers, das verraten solche Momente, bleibt stets das Individuum wach.

Am 5. Februar, als Powell im Saal des Sicherheitsrates in New York auf den Halbkreis der versammelten distinguished delegates zugeht, sind das Powell-Lächeln und sein Ruckeln zu sehen, sogar als er den Franzosen de Villepin begrüßt – nicht eben ein Freund an diesem Tag. Off stage, sozusagen. Dann nimmt Powell Platz, im Zentrum der Aufmerksamkeit der Welt, auf der größten Bühne der Gegenwart.

Das Stück hat begonnen, Powell, der Privatmann ist verschwunden. Jetzt ist da nur noch die Rolle. Es ist wie damals bei der Kubakrise: Mehr als alles andere kommt es darauf an, wie da einer sein Anliegen präsentiert. Eine Generalprobe gab es nicht. „My colleagues“ nennt der amerkanische Außenminister die anderen im Saal, blickt geradeaus, faltet die Hände, spricht. Ein Chefankläger, dessen Jury das globale Publikum ist. Sein Tenor ist ernst, die Stirnlandschaft düster, die Brauen zusammengezogen: Der Irak führt uns hinters Licht, ich führe das Ihnen allen vor. Das sagt er nicht nur mit Worten, mit einer Hightech-Multimedia-Show. Tonbänder werden gehört, Transkripte auf die Riesenleinwand projiziert, Satellitenbilder gezeigt.

Wenn der Waffengang gegen den Irak beginnen sollte, den die Amerikaner glaubhaft vorbereiten, handelt es sich nicht um den „Ausbruch eines Krieges“. Das Sprachbild, das an Vulkane, Seuchen und andere Naturkatastrophen erinnert, ist hier obsolet. Am 5. Februar verwandeln sich die Vereinten Nationen in eine Weltbühne, auf der so detailfreudig wie vehement die Legitimation für einen militärischen Angriff in Szene gesetzt wird. Vorbereitung, Begründung und Notwendigkeit der Maßnahme Krieg zur Durchsetzung der Demokratie sollen für jeden einsichtig werden: Das ist das Ziel von Powells Präsentation.

Selbst wenn, was viele Kritiker glauben, die USA sich durch ihre Auftritte im Sicherheits nur absichern wollen, um so oder so ihre eigenen Wege zu gehen: Der Auftritt Powells wird weltweit als Aufwertung der UN erlebt. Mit der Wahl dieser Bühne bewegt er sich im Raum der Sprache, und die ist seit jeher die wichtigste Alternative, wenn nicht das Gegenmittel zum Krieg.

Auf Millionen von Bildschirmen wird dasselbe Stück gegeben, jedenfalls im ersten Akt, bei der Direktübertragung aus dem Saal an der First Avenue Ecke 42. Straße. Im zweiten Akt vervielfältigt sich das Stück in Einzelversionen: mit den Kommentaren von BBC oder CNN, Al Jazeera oder TV5, dem internationalen Sender Frankreichs, bis hin zu Tausenden von Lokalsendern. Doch die USA geben das Thema vor. Der dritte Akt, wenn er folgt, wird nicht mehr hier spielen, wo gesprochen wird, sondern in den Straßen Bagdads, im Luftraum über dem Irak.

Chor der Gegenreden

Ihr Dauerabonnement für die Auftritte auf der Weltbühne der Vereinten Nationen hatten die Amerikaner bis zur Katastrophe vor anderthalb Jahren nie gern gezahlt. Seit John D. Rockefeller der Organisation1946 das Grundstück für den Prachtbau aus Glas und Marmor schenkte, hatten sich die USA von der UN entfernt, statt sich in die Kette der Staaten einzureihen. Doch diskret und rasch überwiesen sie einen Monat nach dem 11.September ihre Schulden: 582 Millionen Dollar für das UN-Konto. Wir brauchen den Rest der Welt, suggerierte diese Geste.

Powell wollte nun deutlich machen, dass er die Uno ernst nimmt. Deshalb nimmt es der Chefankläger hin, dass der irakische UN-Vertreter Aldouri mit am Tisch des Sicherheitsrates sitzt: Februar-Präsident Joschka Fischer gestattete ihm dies ohne weitere Gegenrede. Powell muss auch damit leben, dass sich auf sein Plädoyer für „Schuldig“ ein Chorus der Gegenreden erhebt.

Syriens Mikhail Wehbe findet Probleme mit Waffeninspektoren nicht ungewöhnlich, sondern ganz normal. Der Vertreter Iraks bezeichnet alle Indizien als alte Hüte oder pure Erfindungen. Russlands Igor Ivanov und Chinas Tang Jiaxuan wollen mehr Zeit für die Inspektoren, ja ein ganzer Chor singt: Zeit geben, Frieden wahren! Powell hört mit demselben Ernst zu, mit dem er sprach. Dabei kann als besonderes Kuriosum gelten, dass Joschka Fischer, der in den Vorsitz rotierte Präsident der Verhandlung, in den Chor der Gegenredner einfällt. Kurios ist nicht die politische Haltung, vielmehr die doppelte Rolle, die Fischer in der Inszenierung übernimmt: die des neutralen Chairman, der alle zu Wort kommen lässt, und die des deutschen Außenministers, der in peaceful isolation den USA widerspricht. Ein Rollensplitting, das er gelassen bewältigt.

Was ist der Ertrag dieses Tages? Sicher, dies war weder ein Prozess – die Verteidigung hatte kaum Gelegenheit für stichhaltige Gegenbeweise, das Überprüfen der Indizien war unmöglich – noch ein reines Theaterstück. Denn die Konsequenz aus diesem Stück könnte ein realer Krieg sein. Gleichwohl hat sich die bittere Wirklichkeit verändert: mit der neuen Bedeutung und Anerkennung der Vereinten Nationen als Weltforum. Mit Powells Auftritt als Chefankläger, nicht als Orator, Rhetoriker, Prediger, haben sich die USA der UN und ihrer Zukunft mehr verpflichtet, als sie es selbst vielleicht ahnen.

Bald, wenn seine Worte geprüft sind, wird Powell wieder mit den Schultern ruckeln und neue Argumente suchen. Der Krieg wird nicht „ausbrechen“, sondern Schritt für Schritt vor aller Welt besprochen sein. Und man wird in ihm das kalkulierte, womöglich einvernehmlich beschlossene Unterfangen erkennen, das auch der „ausbrechende“ Krieg schon immer war. Sprache und Krieg: zwei einander ausschließende Faktoren. Das war noch nie so deutlich.

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