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Sprachkolumne: Das Wort als abgenutztes Bild (2)

Matthies ringt um Worte, hier noch einmal mit den nervigsten Sprachklischees, zweiter Teil. Diesmal geht es um Selbsttreue, glühende Drähte und die sprachlichen Folgen der Finanzmisere.

Sich selbst treu bleiben
Bedeutet erst mal gar nichts, soll aber was Gutes sein. Wer sich nicht selbst betrügt, der bleibt sich treu. Aber wie betrügt man sich selbst? Im allgemeinen Sprachgebrauch bleibt sich einer treu, wenn er starrsinnig Jahrzehnte lang das Gleiche denkt und tut, ganz gleich, wie sich die Welt ändert. Also ließe sich relativ überzeugend die Behauptung aufstellen, Stalin, Hitler und Pol Pot seien sich selbst treu geblieben. Das tut aber niemand, weil es für eine Charakterisierung dieser Jahrhundertschurken viel zu positiv klänge. Am Ende müssen dann doch immer wieder Peter Maffay und Heiner Geissler als Beispiel herhalten. "Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann" – auch schon ein Klischee, aber für jene, die sich selbst gern mal untreu werden, und damit ein bedeutend sympathischeres.

Die Telefondrähte glühen
Pssst: Es gibt eigentlich kaum noch Telefondrähte. Und dort, wo sie weiter existieren, glühen sie nur, wenn das Haus drum herum brennt. Trotzdem ist das Bild, das in den ersten drei Tagen nach seiner Erfindung 1895 noch hübsch und anschaulich klang, einfach nicht auszurotten, nicht einmal in Publikationen, deren Sprachregularien so etwas streng verbieten. "Es ist davon auszugehen, dass zwischen Paris, der Ferrari-Zentrale Maranello und dem Renault-Basislager Enstone zur Zeit die Telefondrähte glühen", lesen wir bei faz.net. Und nein, davon ist nicht auszugehen. Denn wenn in dieser Rennaffäre überhaupt irgendetwas glüht, dann sind es möglicherweise die Ohrmuscheln der beteiligten Wichtigtuer, die sich ihre Blackberries zu fest an den Kopf drücken. Die anglizistische Entsprechung zum Drähteglühen ist übrigens die "Hotline", zu deutsch: Heißlinie. An ihrem außen liegenden Ende glühen nämlich die Anrufer, und zwar aus Wut über endlose Warteschleifen mit ätzender Musik.

Die Farbe Rot
Oh, Leute, das werden harte Zeiten. Die Finanzminister greifen durch, denn sie schreiben allesamt rote Zahlen. Und setzen den Rotstift an, vermutlich in den meisten Fällen, ohne rot zu werden. Aber der letzte Minister, der Kürzungen mit einem Rotstift exekutiert hat, ist vermutlich Jahrzehnte tot, und auch die roten Zahlen stammen aus der Zeit eselsohriger Hauptbücher. Wer will kann sich seine Excel-Tabellen in rot ausdrucken lassen, dann schreibt wenigstens der Computerdrucker rote Zahlen.

Den Gürtel enger schnallen
Die roten Zahlen der Finanzminister haben es an sich, dass sie vom Bürger finanziert werden. Der klischeefreudige Schreiber hat an dieser Stelle mehrere Möglichkeiten, alle gleich abgedroschen. Wir müssen den Gürtel enger schnallen, teilt er uns mit, tiefer in die Tasche greifen und den Cent ein weiteres Mal umdrehen. Die Griechen, die Hedge-Fonds-Manager, die Hertha-BSC-Manager, sie alle mussten in den vergangenen Wochen ihre Gürtel so oft enger schnallen, dass sie vermutlich längst auf dem letzten Loch pfeifen. Und wer versucht, tiefer in die Tasche zu greifen, der wird meist feststellen, dass da unten schon die Hand des Staates steckt. Der DDR-Witz ließ Walter Ulbricht verkünden, man müsse zum richtigen Aufbau des Sozialismus den Gürtel enger schnallen. Und ein zaghafter Kritiker fragte: "Und wo gibt es Gürtel?"

Kostenexplosion
Bumm. Wir können uns in der gegenwärtigen Krise nichts sehnlicher wünschen als eine Kostenexplosion. Denn dann wären die Kosten anschließend kaputt und würden keinen Ärger mehr machen. Gleiches gilt für explodierende Schulden, Rentenbeiträge, Kita-Gebühren… Praktisch alles, was um mehr als zwei Prozent teurer wird, vollführt angeblich eine Kostenexplosion, das ist eine Zwangshandlung der schreibenden Zunft, ähnlich jener, alles, was schief geht, zum GAU zu erklären, dem größten anzunehmenden Unfall.

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