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Kultur: Spur der Steine

Nuria Quevedo kam aus Spanien in die DDR – eine Retrospektive

In der DDR hat sie Bücher illustriert, auch Franz Fühmanns „Die Titanenschlacht“. Seitdem stellten wir uns Griechenland und seine (Halb-)Göttergeschlechter vor wie auf Nuria Quevedos Bildern. Vor allem graubraun. Und Prometheus hätte auch Rübezahl sein können. Wenn Nuria Quevedo Mecklenburg malte, wurde es anthrazitgrau. Franz Fühmann hat das mal versucht, zu erklären. „In Nurias Schwarz sind alle Farben“, hat er gesagt. Andererseits, Nuria Quevedo kommt aus Spanien, und wenn man aus Spanien ist und in der DDR lebte, wird Mecklenburg nun mal hellschwarz. Aber dann malte sie in den neunziger Jahren die Kanarischen Inseln, und das irritierte: die Kanaren waren rotschwarz. Und die Sonne stand wie ein verlorener restroter Ball am Untergeher-Himmel überm Ozean. „Vulkanische Landschaft mit Figur“, heißt das Bild. Überhaupt hat die Malerin einen Hang zu puristischen Landschaften. Steine. Steine. Steine. Da steht nicht so viel Ablenkendes in der Gegend rum. Und genau darum geht es beim Malen. Dass nicht so viel Ablenkendes im Bild rumsteht.

Farben sind zuletzt auch Ablenkung. Quevedo hat eine Frau am Meer gemalt mit Seestern in der Hand. Und das Meer ist bleigrau, die Frau ist bleigrau, der Stern ist bleigrau. Es ist ein sehr optimistisches Bild. Das hätte man bei helleren Farben bestimmt übersehen. Zwar hält die Frau den Stern gar nicht, sie berührt ihn höchstens mit ungelenken, viel zu großen Fingern. So wie Kinder Hände zeichnen. Aber das ist Realismus: Sterne kann man nicht halten. Und natürlich ist die sehnsuchtsvolle Hand viel größer als der Stern. Denn Hände sind wichtig. Schon wegen der Frage, was man am Ende darin hält. Wer im Exil lebt, hat einen starken Instinkt dafür. Also wurde Nuria Quevedo aus Barcelona vermutlich zur größten Malerin der DDR. Die kleine Ausstellung im Deutschen Dom zeigt jetzt eine kluge Auswahl ihrer Bilder und Buchillustrationen (zu Christa Wolfs „Kassandra“).

Mag sein, das neue Deutschland kann Nuria Quevedo nicht verstehen. Denn es lässt sich ja nicht leugnen: altgriechische Titanen und Seestern-Frauen – diese Frau malt figürlich. Es ist sehr schwer für einen Künstler, den Menschen und Gegenstände interessieren, Menschen und Gegenstände wegzulassen. Und beides interessierte Nuria Quevedo schon sehr früh, seit sie in der Kathedrale von Barcelona den Jesus mit Tüchlein sah, an dem sie plötzlich das Tüchlein störte.

Dass die Malerin in den „sozialistischen Realismus“ genau so wenig passte wie in alle anderen -Ismen, erkennt man schon daran, dass sie eine Gruppe spanischer Kommunisten („Dreißig Jahre Exil“ 1972) in ein überwältigend fahles Vergeblichkeitsgrau taucht. Seit wann sind Kommunisten grau? Biermann hat Quevedos Bild als „Wartesaal der Weltrevolution“ bedichtet. „Und eine sture Hoffnung hält/ die Köpfe hoch.“

Und doch. Was bedeutet die Abwesenheit der Farben für einen Maler? Bestimmt nur eine Negative Theologie des Lichts. Vorbereitung auf die Farbe. Und dann gibt es sie doch immer wieder auf einer spanischen Sonnenstraße. Nuria Quevedos Gelb ist dem van Goghs ebenbürtig.

Deutscher Dom, bis 29. April.

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