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Regisseurin Jasmina Hadžiahmetović.

© Doris Spiekermann-Klaas

Srebrenica: Ein ewiger Tag des Wartens

Als Kind musste die Berliner Regisseurin Jasmina Hadžiahmetović aus dem belagerten Sarajevo fliehen. Mit dem multimedialen Musiktheaterstück „Erwartung – Nada“ erinnert sie im Radialsystem an Srebrenica. Ein Treffen auf der Probenbühne

Mehr als ein Dutzend länglicher, weißer Plastiksäcke liegt auf dem Boden. Manche scheinen gefüllt zu sein, andere sind leer. Das Arrangement in parallelen Reihen erinnert nicht zufällig an einen Friedhof: Die Säcke werden normalerweise für den Transport menschlicher Überreste benutzt, die bei Exhumierungen in Bosnien und Herzegowina ausgegraben werden. Hier auf der Probebühne der Komischen Oper dienen sie als Requisiten des multimedialen Musiktheaterstücks „Erwartung – Nada“, das sich um das Massaker von Srebrenica dreht. Es hat am Donnerstag im Radialsystem Premiere – genau an dem Tag, an dem sich die Ermordung von über 8000 muslimischen Männern und Jungen durch serbische Einheiten zum 18. Mal jährt.

„Srebrenica ist noch immer sehr präsent, weil die Suche nicht beendet ist. Das ist eine Wunde, die nicht geschlossen ist,“ sagt Jasmina Hadžiahmetović, die Regisseurin von „Erwartung – Nada“. So rollt jeden Sommer wieder eine lange Lastwagenkolonne durch das kleine Land. Sie transportiert die mit grünem Stoff überspannten Holzsärge der erst jetzt identifizierten Opfer zum Friedhof von Potočari etwas außerhalb von Srebrenica. Dieses Mal sind es etwas mehr als 400. Rund um den Jahrestag ist die Erinnerung an das größte Nachkriegsmassaker auf europäischem Boden in Bosnien sehr präsent, es gibt viele Gedenkveranstaltungen, Zeitungen und Fernsehsender berichten ausführlich.

Auch in deutschen Nachrichtensendungen wird Srebrenica am 11. Juli wieder kurz erwähnt werden. Doch abgesehen davon hat es im hiesigen kollektiven Gedächtnis nur einen relativ kleinen Platz. Das musste die 35-jährige Jasmina Hadžiahmetović, die 2008 mit der szenischen Einrichtung der Choroper „Angst“ ihr Regiedebüt an der Komischen Oper gab und dort auch „Die rote Zora“ inszenierte, beim Einstudieren von „Erwartung – Nada“ feststellen. Ihre Teammitglieder stammen aus Deutschland, England, Bulgarien, der Schweiz und den USA. Nur sie selbst sowie der Schauspieler Adi Hrustemović kommen aus Bosnien und Herzegowina. „Mir ist erst bei den Diskussionen während der Proben klar geworden, wie wenig man von uns weiß. Ich hätte nie gedacht, dass man noch so viel erklären muss“, sagt sie beim Gespräch auf der Probebühne, umgeben von Requisiten für das Stück – einem alten Anzug, Gummistiefeln, einem Kopftuch, den weißen Säcken.

An der Wand lehnt zudem eine grüne Landkarte Jugoslawiens, auf der die damaligen Teilrepubliken und heutigen Nachfolgestaaten eingezeichnet sind. Sie ist für eine kleine bosnische Geschichtsstunde gedacht, die im 15. Jahrhundert mit der Eroberung durch den türkischen Sultan Mehmed II. beginnt und über die K.-u.-k.-Zeit und Tito zum Bosnienkrieg (1992 -1995) führt.

Arnold Schönbergs einaktige Oper „Erwartung“ von 1909 beschließt das Stück

Ein Teil der Handlung von „Erwartung – Nada“ spielt im belagerten Sarajevo, der Heimatstadt von Jasmina Hadžiahmetović. Als der Konflikt begann, drängte ihre Mutter umgehend zur Flucht. Denn sie stammt aus dem Osten Bosniens und musste sofort an die Gräueltaten denken, die dort während des Zweiten Weltkriegs stattgefunden hatten. Mit einem Buskonvoi kamen Jasmina, ihr jüngerer Bruder und die Mutter zunächst nach Zagreb. Als klar wurde, dass sie nicht wie gedacht in zwei, drei Wochen würden zurückkehren können, ging es über Ljubljana und Göppingen schließlich nach Kassel, wo sich Jasmina Hadžiahmetović mit 14 Jahren plötzlich in einer völlig fremden Umgebung und einer neuen Sprache zurechtfinden musste.

Gleichzeitig bangte die Familie um den Vater, der in der Wohnung in Sarajevo geblieben war. „Wenn ich an diese Zeit denke, sehe ich meine Mutter am Radio vor mir. Sie hörte immer die Nachrichtensendung, in der die Namen der Verletzten und Getöteten genannt wurden,“ erinnert sich Jasmina Hadžiahmetović. Ihr Vater überlebte, anders als der Großvater, der im ostbosnischen Rogatica gewohnt hatte und nie gefunden wurde.

Die Motive des Hoffens, Ausharrens und Suchens sind auch in „Erwartung – Nada“ sehr stark. „Wieder ein ewiger Tag des Wartens. Oh, du erwachst ja nicht mehr. Tausend Menschen zieh’n vorüber. Ich erkenne dich nicht“, heißt es in Arnold Schönbergs 1909 komponierter einaktiger Oper „Erwartung“, die das Stück beschließen wird. Darin irrt eine Frau nächtens durch einen Wald, verzweifelt auf der Suche nach ihrem Geliebten. Die Stuttgarter Sopranistin Christiane Iven wird dieses vom Kammerensemble der Komischen Oper begleitete Monodrama singen und auch in den anderen Szenen bereits mit auf der Bühne sein.

Zeitzeugenberichte, Videodokumente und traditionelle bosnische Sevdah-Musik fließen in der collagenhaft angelegten Inszenierung ineinander. Hadžiahmetović verwendet dabei Texte von Emir Suljagić, der das Massaker von Srebrenica überlebte, weil er als Dolmetscher für die UN- Truppe arbeitete, Aussagen von Zeugen vor dem Kriegsverbrechertribunal von Den Haag sowie Zitate aus dem Buch „Apartment 102“, in dem die Rechtsanwältin und Politikerin Jadranka Cigelj ihre Erinnerungen an ihre Haftzeit im serbischen Konzentrationslager von Omarska niedergeschrieben hat. Angesichts der Schwere des Themas war es der Regisseurin ein Anliegen, mit ihrem Stück nicht völlig in einen Betroffenheitston hineinzugeraten. „Wir haben versucht, eine gewisse Leichtigkeit zu finden, um nicht die ganze Zeit in dieser gedrückten Stimmung zu sein.“ Eine dunkle Grundfärbung wird „Nada“ dennoch zu Eigen sein – woran auch die verstörende, expressionistische Musik von Schönberg großen Anteil hat.

Fragt man Jasmina Hadžiahmetović, die seit 2004 in Berlin wohnt und einmal im Jahr nach Sarajevo fährt, ob sie glaubt, dass sich etwas wie Srebrenica wiederholen könnte, ist sie vorsichtig mit ihrer Einschätzung. Wie mit allem, was das heutige Bosnien betrifft – ihr Leben ist jetzt zu sehr hier. Doch sie sagt: „Ich halte es nicht für ausgeschlossen. Oft höre ich, dass leichtfertig gesagt wird: ,Wenn es so weitergeht, gibt es wieder Krieg'.“ Werde die wirtschaftliche Lage noch schlechter, könne die Stimmung leicht kippen. So vieles sei noch nicht aufgearbeitet. "Erwartung - Nada" könnte ein Beitrag dafür sein – vielleicht lädt ja ein mutiges Theater aus dem serbischen Teil Bosniens sie einmal ein.

Radialsystem, Do, 11. 7., 19 Uhr (Premiere), Fr/Sa, 12./13. 7., 19 Uhr, anschließend jeweils Publikumsgespräche

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