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SS-Vergangenheit: Blinde Flecken

Als Volksschriftsteller in der DDR war er auch im Westen berühmt geworden. Jetzt stellte sich heraus, dass Erwin Strittmatter Mitglieder der SS gewesen war.

Jetzt also Erwin Strittmatter. Einer der Großen der DDR-Literatur: Volksschriftsteller, Arbeiterschriftsteller, auch im Westen berühmt geworden mit der zwischen 1983 und 1992 entstandenen und später sehr erfolgreich verfilmten Trilogie "Der Laden", der Entwicklungsgeschichte eines jungen Mannes aus der Niederlausitz. Mit Hilfe von Dokumenten aus dem Bundesarchiv und Materialien des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes Potsdam hat jetzt der Literaturwissenschaftler und Hans-Fallada-Biograf Werner Liersch in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" ausführlich dargelegt, dass Strittmatter dunkle Flecken seiner Biografie nicht kenntlich gemacht oder bewusst verfälscht hat.

Erwin Strittmatter, 1912 in Spremberg in der Niederlausitz geboren, war nicht bloß Soldat der Wehrmacht, wie allgemein bekannt. Er gehörte vielmehr zum "SS-Polizei Gebirgsjäger Regiment 18" unter dem Kommando des SS-Sturmbannführers Hermann Franz, wo er für die Film- und Bildstelle tätig war und Kriegstagebuch führte. Das Regiment war ab 1942 zunächst in Jugoslawien, dann in Griechenland für die Partisanenbekämpfung und die Entwaffnung der elften italienischen Armee zuständig.

Strittmatter muss von Geiselerschießungen und anderen Massakern gewusst, diese vermutlich mitangesehen und in seine am Kriegsende vernichteten Kriegstagebücher darüber Eintragungen gemacht haben, schlussfolgert Liersch. Er gesteht dem Schriftsteller aber zu: "Es ist nicht bekannt, dass Strittmatter in ein Verbrechen der schrecklichen Polizisten verstrickt war, die Daniel Goldhagen ,Handlanger des Völkermords' nannte. Aber er besaß Kenntnisse dieses Krieges von einem ungewöhnlichen Radius".

Fall nicht viel anders als der Von Grass

Diesen verkleinerte Erwin Strittmatter nach dem Krieg jedoch bewusst. Den SED-Oberen teilte er mit, "aus politischer Unklarheit" den Nazis "Handlangerdienste" geleistet zu haben. Und: 1941 sei er zur "Schutzpolizei" einberufen worden und nicht, wie es Werner Liersch recherchiert hat, zur "Ordnungspolizei", die dann in dem besagten SS-Regiment aufging. Für Liersch ist klar: "In seinen wirklichen Krieg hatte er die SED einen gewissen Einblick nehmen lassen. Seine Leser nie. Ein Autor, der sich der Verantwortung seiner Erfahrungen nicht stellte, der seine Militärbiografie verschwieg."

Im Grunde ist dieser Fall nicht viel anders als der von Günter Grass - nur dass Grass es noch zu Lebzeiten geschafft hat, sich zu seiner SS-Vergangenheit zu bekennen. Man glaubt Strittmatter die "politische Unklarheit", auch wenn er schon weit über zwanzig Jahre alt war. Und wer will ihm im Nachhinein das Frisieren seiner Biografie wirklich nachtragen? Erst dadurch, dass er in der DDR als moralische Instanz gegolten hatte (so wie Günter Grass in der Bundesrepublik), dass er als Deserteur der Hitlerwehrmacht, Pazifist und antifaschistischer Vorzeigeschriftsteller gefeiert worden war, bekommt das Ganze sein Gewicht. Da darf dann ein Satz von ihm wie "Allerdings weiß ich auch, dass dauernde Scham lähmt" anders bewertet werden.

Erwin Strittmatter scheint sich nicht dauernd geschämt zu haben, dazu war er viel zu produktiv. Vielmehr hat er sich in einer sehr erfolgreichen, zunächst bewussten und später sicher auch unbewussten Verdrängung geübt. Da ist er einer von vielen. Zu Recht erklärt jetzt der von Liersch attackierte Strittmatter-Biograf Günther Drommer, dass es Strittmatter freigestellt gewesen sei, was er literarisch verarbeite und was nicht. Ob hier aber "endlich einer aus dem Osten" diskreditiert werden soll, wie Drommer in der "FAZ" mutmaßte, dazu ein Vorzeigeautor aus dem aktuell ins Schlingern geratenen Aufbau-Verlag, ist schwer zu bezweifeln. Die DDR-Literaturgeschichte wird durch diese Enthüllung nicht gleich umgeschrieben - und die zeitgenössische deutschsprachige Literatur hat ohnehin andere Probleme.

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