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Kultur: Staat oder Markt, Verarmung oder Wohlstand - Viele misstrauen der globalen Verheißung

Die Kapitalismus-Formel klingt verführerisch: Globalisierung plus Privatisierung plus Deregulierung gleich Wohlstand. Allein, ein großer Teil der Menschen glaubt den Weissagungen der Marktoptimisten nicht.

Von Antje Sirleschtov

Die Kapitalismus-Formel klingt verführerisch: Globalisierung plus Privatisierung plus Deregulierung gleich Wohlstand. Allein, ein großer Teil der Menschen glaubt den Weissagungen der Marktoptimisten nicht. Mit Schrecken sehen die Menschen, wie aus traditionsreichen nationalen Arbeitgebern multinationale Konzerne werden, wie ein Sharehoulder-Value-Denken der Vorstände solcher Unternehmen der vermeintlichen Verantwortung der Unternehmer für das gesellschaftliche Wohl zu weichen scheint. Kapitalismus ohne Staat, ohne öffentliche demokratische Kontrolle, das befürchten viele Menschen, wird im kommenden Jahrtausend nicht zu breitem Wohlstand, sondern zu massenhafter Verarmung führen.

Wissenschaftler und Publizisten in aller Welt haben sich in diesem Jahr mit der Frage beschäftigt, welches Wirtschaftssystem in den kommenden Jahrzehnten weltweit Platz greifen wird und wie die Menscheit damit umgehen kann. Fünf Autoren, die hier herausgegriffen werden sollen, haben sich insbesondere dem Thema Markt oder Staat angenommen. Was ihnen allen gemeinsam ist, ist die Allgemeinverständlichkeit der Sprache. Sie alle erläutern ihre Ansätze für ein breites und volkswirtschaftlich wenig vorgebildetes Publikum.

"Die falsche Verheissung" nennt der britische Ökonom John Gray seinen Report über die Folgen des globalen Kapitalismus. Gray selbst nannte man den Chefökonomen von Margaret Thatcher, und man sollte meinen, dass er sich der Markt-oder-Staat-Frage eher von der liberalen Seite nähern wird. Doch weit gefehlt. Bereits nach den ersten Kapiteln der "falschen Verheißung" hinterläßt Gray ein geradezu kämpferisches Bild des Liberalismus-Kritikers. Vehement geißelt Gray die modernen Anhänger des Marktes und Neoliberalismus.

Dabei kommt der Autor doch zu der klaren Überzeugung, dass "der Weltmarkt von heute Gesellschaften zerrüttet und die nationalen Staaten schwächt". Die Unternehmen, erkennt Gray, "finden sich zu einem globalisierten Markt zusammen, der unbeständig und launisch ist. Er (der Markt) ist ein Spielball spekulativer Aufschwünge und Einbrüche", die scheinbar unmoralisch und skrupellos persönliche Gier befriedigen. Wie auch anders, fragt sich der Brite Gray, kann man sich das zügellose Verletzen von Urheberrechten erklären, mit dem beispielsweise China so manches Traditionsunternehmen um seine Marktanteile betrügt. "Eine Weltwirtschaft, in der die von transnationalen Organisationen anerkannten Eigentumsrechte nicht durchgesetzt werden können, ist kein freier Markt", folgert Gray, "hier herrscht Anarchie".

Auch der Historiker und Ökonom Daniel Yergin stellt sich den Verwerfungen der Marktwirtschaft, die in den zurückliegenden Jahren immer wieder ganze Wirtschaftssysteme erschüttert und viele Tausende Menschen um den Lohn ihrer Arbeit gebracht haben. In seinem Buch "Staat oder Markt - die Schlüsselfrage unseres Jahrhunderts" beschreibt er ausführlich die Ursachen und Wirklungen von Finanzkrisen und dem Zusammenbruch des Wirtschaftsgefüges ganzer Erdteile.

Historisch detailliert setzt er jedoch in allen Fällen auch die Rolle von nationaler Politik und internationaler Kontrollsysteme dagegen. "Staat oder Markt" zeigt in diesen Wechselwirkung immer wieder deutlich, dass es Populisten sind, die die zurück liegenden Finanz- und Wirtschaftskrisen auf das anarchische Wesen des Kapitalismus zurück führen. Denn Yergin versucht seinem Leser zu zeigen, dass nicht selten die Schuld bei nicht funktionierenden Kontrollsystemen des Staates und auch der beteiligten Unternehmen liegt. Der Ökonom fordert im Verhältnis von Staat und Markt eine "Balance des Vertrauens", damit das Gemeinwohl nicht in den Hintergrund gerät. Die Politiker der Neuzeit fordert er auf, nicht mit den sozialdemokratischen Modellen der achtziger Jahre Antworten auf die Globalisierung zu suchen, sondern Ausschau nach neuen Wegen zu halten, wie das Verhältnis von Markt und Staat künftig geregelt werden kann.

Zumindest in dieser Hinsicht hat der Autor Edward Luttwak bereits resigniert. Einem gewaltigen Wirbelsturm gleich beschreibt Luttwak den "Turbokapitalismus" und erkennt in seinem gleichnamigen Buch, dass einige Wenige die Gewinner des postsozialistischen Zeitalters sein werden, die Masse der Menschen allerdings rettungslos zu Verlierern seines Turbo-Kapitalismus wird. Staatliche Lenkung und Regulierung, weiss Luttwak, einst Berater des US-Außenministeriums und des japanischen Finanzminsters, wird immer seltener möglich sein. Fassungslos und ohne jede Lösungsidee, stellt der Autor fest, stehen nationale Regierungen der Globalisierung gegenüber und können ihre (negativen) Auswirkungen auf den Wohlstand breiter Bevölkerungsschichten und die Umwelt nicht bekämpfen: "Das ist das große Dilemma unserer Zeit."

Aus einer sehr nationalen Sicht nähert sich der Publizist Günter Heismann dem Globalisierungsthema. In seinem Buch "Die entfesselte Ökonomie" beschreibt Heismann ausführlich die Auswirkungen der sich weltweit immer stärker verschränkenden Wirtschaft und empfiehlt einen stärker regulierenden Staat. Auf sechs Gebieten sei der Staat gefordert: Er muss moderne Formen der Lohnsubvention finden, um der zunehmenden Verarmung breiter Bevölkerungsschichten zu begegnen, die Opfer von immer näher rückenden Billiglohnländern werden. Der Staat muss in strukturschwachen Regionen selbst zum Unternehmer werden und "Industrielle Kerne" schaffen. Er muss sich viel stärker als noch heute mit der wissenschaftlichen Grundlagenforschung beschäftigen, weil "moderne Unternehmen nur noch kurzfristigen Profit im Auge haben".

Der deutsche Staat muss danach trachten, seine hohen Umweltstandards international einzuführen, um die Umwelt zu schützen und gleichzeitig Absatzmärkte zu schaffen. Er muss dem internationalen Wettbewerbsrecht mehr Bedeutung beimessen und den internationalen Kapitalverkehr strenger kontrollieren. Kurzum: Günter Heismann fordert einen starken und regulierenden Staat, der sich einem starken globalen Markt entgegensetzt.John Gray: Die falsche Verheißung. 334 Seiten. Alexander Fest Verlag 1999. 39,80 Mark.

Daniel Yergin, Joseph Stanislaw: Staat oder Markt. 609 Seiten. Campus 1999. 68 Mark.

Edward Luttwak: Turbo-Kapitalismus. 448 Seiten. Europa 1999. 49,80 Mark.

Günter Heismann: Die entfesselte Ökonomie. 347 Seiten. Rowohlt 1999. 39,80 Mark.

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