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Alle wollen nur den einen. Rainer Krenstetter in Alexei Ratmanskys „Namouna“.

© DAVIDS

Staatsballett Berlin: Invasion der Nymphen

Witz und Verve: Das Staatsballett Berlin mit Stanton Welchs Choreografie "Clear" und Alexei Ratmanskys "Namouna".

Von Sandra Luzina

Die Ära Vladimir Malakhov neigt sich langsam ihrem Ende zu. Der Startänzer und Intendant des Staatsballett Berlin hat sich schon gebührend feiern lassen. Der aktuelle Ballettabend gibt nun seinen Tänzern die Gelegenheit, ihr Können zu demonstrieren. Und die begeistern mit Witz, Verve und einer Prise Exzentrik.

Das Staatsballett blickt nach Amerika. Über 30 Jahre nach dem Tod von Georges Balanchine ist dort eine vitale Klassikszene erblüht – mit Choreografen, die das klassische und neoklassische Idiom weiterentwickeln zu einem Ballett des 21. Jahrhunderts. Die Arbeiten von zwei renommierten Vertretern des Contemporary Ballet sind nun erstmals in Deutschland zu erleben: „Clear“ von Stanton Welch, das 2001 beim American Ballet Theatre in New York uraufgeführt wurde, sowie „Namouna“ von Alexei Ratmansky, das der gebürtige St. Petersburger 2010 für das New York City Ballet kreierte.

„Clear“ basiert auf zwei Bach-Kompositionen: dem Konzert für Violine und Oboe c-moll und dem Konzert für Violine g-moll. Stanton Welch hat sein abstraktes Werk für sieben männliche Tänzer und eine Ballerina choreografiert. Die Männer des Staatsballetts, die hautfarbene Hosen von Michael Kors tragen, sind umwerfend. Allerdings stehlen die Jüngeren ihrem Chef Vladimir Malakhov die Schau. Der Tanz ist von wunderbarer Klarheit. Stanton Welch vermeidet jede Übertreibung, seine Bewegungssprache ist so plastisch wie prägnant.

Stanton Welchs Werk als Reaktion auf 9/11

Die Duos, Trios und Gruppenszenen sind so auf die Musik abgestimmt, dass es nie schematisch wirkt. Zu Beginn schimmert der Hintergrund in einem warmen Sandton, der sich dann immer mehr verdunkelt und schließlich tiefschwarz färbt. Die anfängliche Munterkeit wird von einer zarten Melancholie durchtränkt. Der Australier Stanton Welch will das Werk als eine Reaktion auf die Ereignisse von 9/11 verstanden wissen. Das erschließt sich aber nicht unbedingt.

Was sich herauslesen lässt, sind Gesten der Trauer – aber auch die sind sehr dezent. Da halten sich die Tänzer immer wieder die Augen zu. Oder heben die Arme wie bei einem Klagegesang zum Himmel, um dann kraftlos in sich zusammenzusinken. Elisa Carrillo Cabrero soll das verkörpern, worauf es letztlich ankommt: Liebe und Familie. Sie durchpflügt die Männerschar, wird von einem zum anderen gereicht, um zum Schluss in einem innigen Pas de deux mit Marian Walter die Fackel der Hoffnung hochzuhalten. „Clear“ versprüht trotz aller Verfinsterung einen ungebrochenen Optimismus. Man könnte es als eine wertkonservative Arbeit bezeichnen – die in tänzerischer Hinsicht aber durchaus sehenswert ist.

Ratmanskys Spiel mit Konventionen und Klischees

Alexei Ratmansky ist derzeit wohl der gefragteste Choreograf in der Welt des klassischen Balletts. Fünf Jahre leitete er das Moskauer Bolschoi-Ballett. Wer diesen Job unbeschadet überlebt, der kann überall Karriere machen. Ratmansky setzte seinen Aufstieg in New York fort – 2009 wurde er Artist in Residence beim American Ballet Theatre. „Namouna“ zur kaum bekannten Partitur von Edouard Lalo aus dem Jahr 1882 will er nicht als Parodie verstanden wissen, sondern eher als Pastiche. Doch er spielt so lustvoll mit den Konventionen und Klischees des Balletts des 19. Jahrhunderts, was den Zuschauern immer wieder ein Kichern entlockt.

Rainer Krenstetter leiht dem naiven Helden im Matrosenanzug ein jungenhaftes Staunen. Der sucht nach seiner Liebsten und trifft dabei auf mehr Frauen, als ein Mann verkraften kann. Da umschwirren ihn 16 verführerische Nymphen in Tellerröckchen und Badekappen und wiegen ihn sanft wie ein Baby, so dass jeder mit ihm tauschen möchte. Die Damen des Corps de ballet verzücken auch schon mal als Vamps mit schwarzer Louise-Brooks- Perücke. Darüber hinaus verdrehen drei durchtriebene Ballerinen dem Leichtmatrosen den Kopf. Herrlich kapriziös Elena Pris als paffende Diva, die gierig an der Zigarette zieht und aus den Rauchergesten einen nikotinbefeuerten Tanz formt.

Die schräge Personage ist in einer Suite von fulminanten Tänzen zu erleben, in denen Ratmansky seine Klasse und seine überschäumende Bewegungsfantasie zeigt. Die Tänzer des Staatsballetts machen sich einen Spaß daraus, die Rollenbilder des Balletts durch den Kakao zu ziehen. Aber natürlich ist diese Extravaganza auch eine wunderbare Liebeserklärung an den klassischen Tanz.

Staatsoper im Schillertheater, Mi 26.3., 19.30 Uhr und So 30.3., 18 Uhr

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