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Verschmelzen im Kollektiv. Im Techno-Ballett „Half Life“ von Sharon Eyal und Gai Behar bewegen sich die Tänzer im Gleichtakt.

© Jubal Battisti

Staatsballett Berlin: Lust der Unterwerfung

Gelungener Neustart nach Protesten: Johannes Öhmans Auftakt beim Staatsballett Berlin – mit Stijn Celis und Sharon Eyal.

Von Sandra Luzina

Einen leichten Start hatte Johannes Öhman nicht gerade in Berlin. Nachdem publik wurde, dass die Choreografin Sasha Waltz gemeinsam mit Öhman die Nachfolge des glücklosen Staatsballett-Intendanten Nacho Duato antreten wird, gingen die Tänzer auf die Barrikaden. Der Protest kulminierte in der Online-Petition „Rettet das Staatsballett!“, für die fast 20 000 Unterschriften gesammelt wurden. Die Querelen scheinen vergessen an diesem Doppel-Premierenabend in der Komischen Oper.

Mit „Celis/Eyal“ gibt der Ex-Direktor des Königlich Schwedischen Balletts seine Visitenkarte ab. Da Duato Berlin auf eigenen Wunsch schon früher verlassen hat, übernimmt Öhman schon in dieser Spielzeit die Leitung. Sasha Waltz, die gerade das 25-jährige Jubiläum von Sasha Waltz & Guests feiert, wird am 1. August 2019 nachfolgen. Eine Mischung von klassischen und modernen Balletten hat die Doppelspitze angekündigt. Dass für den Neustart zwei zeitgenössische Werke ausgewählt wurden, ist durchaus programmatisch. Denn das Staatsballett Berlin soll sich künftig öffnen für avanciertere choreografische Handschriften.

„Your Passion is Pure Joy to Me“ von Stijn Celis entstand 2009 für das Göteborgs Operans Danskompani. Sharon Eyal entwickelte „Half Life“ 2017 für das Königlich Schwedische Ballett Stockholm. Der Belgier und die Israelin sind international gefragte Choreografen, sie gilt sogar als Shooting Star. Neukreationen werden nicht präsentiert, dafür stehen überwiegend neue Compagnie-Mitglieder auf der Bühne. Öhman will erst mal für frischen Wind sorgen.

Druckvoller Sound vom Techno-DJ Ori Lichtik

Stijn Celis, seit 2014 Ballettchef in Saarbrücken, hat sich von den düsteren Balladen von Nick Cave zu seinem Stück „Your Passion Is Pure Joy to Me“ inspirieren lassen. Den vier Songs aus dem Album „No More Shall We Part“ stellt er Auszüge aus Werken von Pierre Boulez und Krysztof Penderecki gegenüber. Die sieben Tänzer betreten die leere Bühne in Jeans und T-Shirts, nur Jenna Fakhoury trägt einen eleganten Rock. Die betonte Lässigkeit geht rasch über in sehnsüchtiges Verlangen. Celis zeigt einen gut tanzbaren Mix aus zeitgenössischen Stilen: Schwünge, Bögen und Drehungen werden kontrastiert von eruptiven Bewegungen. Auch Partnerarbeit auf dem Boden ist zu sehen. Johnny McMillan und Lucio Vidal bespiegeln sich in ihrem schönen Duett. Doch die Begegnungen sind flüchtig. Jenna Fakhoury bespringt ihren Partner, vereint sich mit ihm für kurzen Taumel, am Ende driften beide wieder auseinander. Die Tänzer scheinen den Cave-Songs zu lauschen, doch deren emotionale Intensität und obsessive Wucht erreichen sie nicht. Celis Choreografie ist ein Leichtgewicht, zu unspektakulär für einen Neubeginn.

Doch Öhman hat noch ein Ass im Ärmel. „Half Life“ von Sharon Eyal und ihrem Partner Gai Behar ist eine Extravaganza, wie gemacht für Berlin. Die dekadenten Kreaturen auf der Bühne bewegen sich monoton im Puls des Techno. Der druckvolle Sound stammt von dem Techno-DJ Ori Lichtik. Eyal, die zunächst Tänzerin und später Hauschoreografin bei der Batsheva Dance Company war, hat einen unverwechselbaren, betont manierierten Tanzstil entwickelt. Ihre Stücke kreisen um das Verhältnis von Kollektiv und Individuum. Oft schweißt sie die Körper zu einer gut geölten Menschen- maschine zusammen. Danielle Muir und Johnny McMillan sind die Vortänzer, die den Takt vorgeben. Er ist ein breitbeiniger Faun, stößt provokant das Becken vor. Sie presst die Schenkel zusammen und marschiert auf der Stelle – auf halber Spitze. Ein fast schon militärischer Drill wird sichtbar bei der Kohorte der dicht aneinandergedrängten Tänzer, die sich hinter dem Vorzeige-Paar aufstellt. Eyal zeigt die Lust an der Unterwerfung. Wie die kühne Stilistin die Körper verformt und die repetitiven Muster variiert, ist verblüffend. Ein gelungener Einstand für Öhman. Die Tänzer und die Choreografin wurden vom Publikum lautstark bejubelt.

Weitere Aufführungen: 14.9., 20 Uhr, 16.9., 19 Uhr, 22. und 29.9., jeweils 19.30 Uhr in der Komischen Oper

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