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Am laufenden Band. Leonard Jakovina als Don Juan, Ilenia Montagnoli als Donna Isabella.

© Joachim Fieguth

Staatsballett Berlin tanzt "Don Juan" von Giorgio Madia: Der Frustmolch

Raus mit Applaus: Bei der letzten Premiere der Ära Malakhov zeigt das Staatsballett Berlin in der Komischen Oper einen fetischfreudigen „Don Juan“ von Giorgio Madia.

Von Sandra Luzina

Eine weiße Halskrause und ein Tattoo, mehr trägt Leonard Jakovina nicht. Jedenfalls nicht auf den Plakaten, die überall in der Stadt zu sehen sind. Vor der letzten Premiere der Ära Malakhov ging das Staatsballett Berlin in die Komische Oper und in die erotische Offensive. In dem Ballett „Don Juan“ von Giorgio Madia tanzt Leonard Jakovina die Titelpartie und macht eine gute Figur als Verführer.

Doch die schärfste Waffe des italienischen Choreografen ist er beileibe nicht. Denn da ist noch Michael Banzhaf als Diavolo, der aussieht, als komme er geradewegs von einer CSD-Party. Der Kostümbildner Bruno Schwengl zitiert Elemente des schwulen Dresscodes. Der bocksbeinige Banzhaf in seinem schwarzen Lack-Outfit darf seinen nackten Po zeigen. Während der ebenfalls schwarz gekleidete Libertin die Insignien des spanischen Edelmanns trägt, dann aber mit einem tiefen Rückendekolleté betört. Seine verführerische Wirkung soll sich wohl nicht nur auf die Frauenwelt beschränken. Wir sind schließlich in Berlin.

Der Mythos von Don Juan ist immer wieder neu gedeutet worden. An die 3000 Bearbeitungen des Stoffes zählt der „Dictionnaire de Don Juan“ des französischen Literaturwissenschaftlers Pierre Brunel. Giorgio Madia hat sich von verschiedenen Libretti anregen lassen, seine Personage fand er bei Tirso de Molina, Molière, Goldoni und der Commedia dell’Arte. Sein Ballett-Spektakel bringt er passend zum Gluck-Jubiläumsjahr 2014 heraus; der Opernreformer wurde vor 300 Jahren geboren.

Madias Spektakel zelebriert die Schaulust

Madias Kreation für das Staatsballett Berlin basiert auf Glucks Ballett „Don Juan“ aus dem Jahr 1761, das der Komponist zusammen mit dem Choreografen Gasparo Angiolini realisierte. Eine Aufführung, die Ballettgeschichte geschrieben hat. Da die Komposition nur 20 Minuten umfasst, hat Madia sie mit anderen Gluck-Kompositionen ergänzt, etwa aus „Orphée und Eurydice“. Zwar kommt die Musik vom Tonband, doch Madias Trumpf ist die Star-Geigerin Lidia Baich, die am Spiel beteiligt ist und wie ein Geschöpf des Teufels anmutet.

Die Lust an der Verführung, das Spiel mit der Illusion, die Feier des Scheins, das interessiert Giorgio Madia in erster Linie. Sein Spektakel zelebriert die Schaulust – und die Tänzer in den fantastischen Kostümen von Bruno Schwengl sind wirklich ein Blickfang. Eine neue Deutung des Libertins liefert er freilich nicht. Auch hier taumelt der libidinöse Serientäter von Frau zu Frau. Kaum ist der Akt vollzogen, macht er sich aus dem Staub.

Dem Don Juan stellt Madia den Diener Zanni, eine Figur aus der Commedia dell’Arte, zur Seite. Vladislav Marinov kann sein komödiantisches Talent unter Beweis stellten. Er führt dem Lüstling die Frauen zu und hilft ihm, sich ihrer wieder zu entledigen. Meist erntet er dafür nur einen Fußtritt. Die Duette des steif-gravitätischen Don Juan und des quirlig-devoten Zanni sind die gelungensten des Abends.

Die weiblichen Opfer schmelzen dahin

Die Frauen verführt Don Juan mit der kalten Präzision eines Jägers. Elena Pris als Donna Anna wird als Erste beglückt – und stößt einen schrillen Lustschrei aus. Ilenia Montagnoli als Donna Isabella ziert sich anfangs noch ein wenig. Nadja Saidakova als Donna Elvira verkörpert eine scharfe Nonne, und auch Iana Salenko als Elisa erliegt der Anziehungskraft des Lüstlings und lässt ihren Bräutigam einfach stehen. Choreografisch können die Duette nicht überraschen, die weiblichen Opfer leisten erst Widerstand und schmelzen dann dahin. Sexuelle Ambivalenzen entstehen nur durch die Kostüme von Schwengl, der auch zahlreiche Prengel einsetzt. Die Männer und Frauen des Ensembles tragen Gummi-Phalli in Anspielung auf die sexuelle Drastik des italienischen Volkstheaters.

Überhaupt lebt der Abend nicht von choreografischen Finessen, sondern vom pompösen, karnevalesken Auftritt. Und so richtig faustisch ist der Don Juan hier nicht, Diavolo ist der gewieftere Verführer und Showman. Michael Banzhaf verkörpert ihn als durchtriebenen Strippenzieher in dieser satanischen Revue. Aber natürlich bekommt der Wüstling auch bei Madia seine Strafe. Am Ende senkt sich ein Spiegel herab, Don Juan muss sich mit sich selbst konfrontieren, das ist seine Hölle. Zuvor wagt der Choreograf noch eine weitere psychologische Deutung: Don Juan schlüpft wie ein Kind unter ein riesiges Frauenkleid, das dann davonschwebt. Stilistisch schwankt das Ballett nicht sehr überzeugend zwischen dem Tragischen und Komischen. Optisch hat der Abend viel zu bieten. Er passt zur Stadt, indem er barockes Spektakel und den Fetisch-Club verschmilzt.

Aufführungen in der Komischen Oper am 24., 26. und 30.6., jeweils 19. 30 Uhr.

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