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Der indische Dirigent Zubin Mehta.

© AFP/Dieter Nagl

Staatskapelle Berlin: Die Glocke am Ende der Nacht

Diese Musik spricht ihre ganz eigenen Sprache: Die Staatskapelle Berlin unter Zubin Mehta mit einem reinen Strauss-Abend.

Kaum hat das Konzert begonnen, ist auch schon von Abschied die Rede: Richard Strauss’ „Vier letzte Lieder“ an den Anfang dieses Abends in der Philharmonie zu stellen, ist eine schwierige Wahl, fühlt sich dramaturgisch nicht gut an. Allzu plötzlich und unvorbereitet werfen die Staatskapelle und Zubin Mehta damit den Saal ins große Abendschimmern eines Komponisten, der hier noch mal seine ganze Instrumentationskunst auffährt – und sie zugleich zu höchster Ökonomie und Wirkung führt.

Auch Lise Davidsen hätte offenbar mehr Zeit zum Präparieren gebraucht. Unbestritten verdienstvoll, dass die norwegische Sopranistin kurzfristig für Krassimira Stoyanova eingesprungen ist – aber was hilft es, wenn sie leise und unhörbar in der Tiefe singt, explosionsartig in der Höhe, und kaum zwischen den Extremen vermittelt? Einzig das Wort „Schlafenszeit“ aus dem letzten Lied ist klar und deutlich zu vernehmen, obwohl die Staatskapelle gar nicht mal besonders laut spielt. Klar, mit diesem einen Begriff ist im Prinzip alles gesagt, trotzdem würde dem Zyklus ein bisschen mehr Textverständlichkeit guttun. Vielleicht ist es aber auch Davidsens Ideal, nicht hervorzustechen, vollständig in den Orchesterklang einzutauchen.

Das viel früher entstandene Stück steht an diesem reinen Strauss-Abend am Ende: Die „Sinfonia Domestica“ ist die vorletzte der Sinfonischen Dichtungen und soll den trubeligen Alltag in Strauss’ Charlottenburger Haushalt charakterisieren. Mehta dirigiert, sitzend, mit minimalistischer Gestik, emaniert dabei aber eine fast Blomstedt’sche Ruhe, die positiv auf das Orchester abstrahlt. Immer wenn man glaubt, dass er die Zügel arg lose lässt, wird klar: Er weiß genau, was er tut. Nämlich organische, lange, zum Teil über Minuten vorbereitete Phrasierungen zu ihrem dynamischen Höhepunkt zu führen. Und plötzlich versteht man auch, dass diese Musik ihre ganz eigene Sprache spricht, dass sie, trotz der sieben Glockenschläge zu Beginn und Ende der Nacht, nur vordergründig auf ein „Programm“ verweist und eigentlich ganz „tönend bewegte Form“ ist, wie Eduard Hanslick die von ihm favorisierte absolute Musik definierte.

Bei Mehta schnurrt diese Form ab wie eine Spieluhr. Streicherblitzen, Perkussionsgewitter, goldsämige Bläser vermählen sich im fugierten Finale aufs Schönste und steuern auf einen Schlusston zu, der fast wie bei Beethoven gefühlt schon 50 Mal erreicht ist, bevor die Musik schließlich doch zum Stehen kommt. Eine versöhnliche zweite Konzerthälfte, von Jubel quittiert.

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