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phaedra staatsoper

© Ruth Walz

Staatsoper: Doppelte Haushaltsführung

Exodus an der Staatsoper? Der Vertrag des Intendanten Peter Mussbach wird nicht verlängert.

Gestern Vormittag war’s, über Berlin rieselte leise der Schnee, da trat Peter Mussbach, der Intendant der Staatsoper Unter den Linden, vor die Belegschaft des Hauses, um eine ebenso unfrohe wie wenig überraschende Botschaft zu verkünden: Der Stiftungsrat der Stiftung Oper in Berlin werde beschließen, seinen Intendantenvertrag über den Sommer 2010 hinaus nicht zu verlängern. Er selbst sei vor einer Woche durch Daniel Barenboim davon in Kenntnis gesetzt worden. Die offizielle Bekanntgabe der Personalie erfolge im Mai, wenn der Stiftungsrat erneut zusammentrete. Und seine Sorge um die Zukunft sei natürlich die allergrößte. 2010 beginnt die bauliche Sanierung der Staatsoper, der Betrieb zieht für mindestens drei Jahre ins Schillertheater an die Bismarckstraße, eine künstlerisch wie organisatorisch extrem heikle Zeit: Wer soll den Tanker nun durch derart unbekannte, unruhige Gewässer lenken?

Damit freilich nicht genug. Dem Vernehmen nach verliert neben Mussbach auch Georg Vierthaler, der geschäftsführende Direktor der Staatsoper, seinen Posten. Der Grund für diese konzertierte Aktion mutet auf den ersten Blick grandios lächerlich an: Nachdem der Berliner Senat für alle drei Opernhäuser der Stadt im Dezember die Subventionen ab 2010 kräftig angehoben hatte (zehn Millionen Euro für die Lindenoper, zehn weitere für die beiden anderen Institute nebst Staatsballett), waren, logisch, neue Wirtschaftspläne gefordert. Während die Deutsche und die Komische Oper ihre Hausaufgaben artig erledigten, erhielt der Stiftungsrat aus der Staatsoper gleich zweimal Post: Eine von Peter Mussbach ausgearbeitete, in ästhetischen Visionen gipfelnde Aufstellung – und eine mit Absender Georg Vierthaler, mehr dem Sparen und der wenig spaßigen Bildung von Rücklagen verpflichtet. Das reinste Kasperletheater.

Nun ist es kein Geheimnis, dass Mussbach und Vierthaler sich schon lange in den Haaren liegen. Dass sie sich allerdings nicht mehr in der Lage sehen, ihre schmutzige Wäsche wie bisher hinter den Knobelsdorff-Mauern zu waschen, sondern ihren Konflikt offen in den Stiftungsrat weitertragen, stellt zweifellos eine neue Qualität dar. Klaus Wowereit als Regierendem Bürgermeister und Kultursenator in Personalunion und seinem Staatssekretär André Schmitz jedenfalls müssen an dieser Stelle gleich mehrere Hutschnüre geplatzt sein. Noch während der laufenden Sitzung am 12. März beschlossen sie, so heißt es, sich beider Streithähne zu entledigen.

Eine Kurzschlussreaktion? Für Vierthaler scheint gesorgt: Er soll offenbar so rasch wie möglich Frank Schneider beerben, den zum Ende dieser Saison aus Altersgründen ausscheidenden Intendanten des benachbarten Konzerthauses – eine attraktive Position. Vierthaler und Lothar Zagrosek, der Chef des Konzerthausorchesters, zwei Bayern unter sich, das mag man sich sogar gerne vorstellen.

Aber die Staatsoper. Was sich Wowereit und Schmitz samt der übrigen hochmögenden Stiftungsratsmitglieder bei dieser Spontanreaktion gedacht haben mögen, war gestern nicht zu erfahren. Vielleicht wollte man sich einfach nicht von Peter Mussbach erpressen lassen, der wohl darauf spekulierte, wenigstens bis zur festlichen Wiedereröffnung der Lindenoper 2013 in Amt und Würden zu verharren. Nur: Was denkt sich Daniel Barenboim, mit dem beide Personalien besprochen worden sind? Dass fähige Intendanten mit freien Kapazitäten heutzutage vom Himmel fallen? Dass ein gütiger Deus ex machina ihn mit einer verlässlichen Interimslösung vom Format eines Peter Jonas beglücken werde? Für eine Stellungnahme war der Maestro gestern ebenfalls nicht zu erreichen, er saß nach dem österlichen Festtags-Stress schon wieder im Flieger nach Jerusalem.

Weder Stadt noch Publikum noch die Kritik hat Mussbach in den letzten Jahren von seinem künstlerischen Konzept überzeugen können: viel Kraut, viel Rüben. Hier eine altmeisterliche Uraufführung, da mit mächtigem Bohei (und dürren Erträgen) ein Promi-Quereinsteiger in der Regie, dort Anna Netrebko auf dem Bebelplatz. Da die Bude gleichwohl nahezu immer voll ist, schon aus touristischen Gründen, hat sich die Politik an diesem Kunstgemüsegarten bislang nicht gestört.

Für 2010 einen Nachfolger zu finden, der sich a) vor dem System Barenboim nicht fürchtet und b) eine unbändige dramaturgische Gestaltungslust mitbringt, grenzte an ein Wunder. Man arbeite „mit Hochdruck“ daran, so die Berliner Kulturverwaltung. Und die Gerüchteküche weiß, dass zum wiederholten Mal bei Pamela Rosenberg angeklopft wurde, der amtierenden Philharmoniker-Intendantin. Sie kann es sich jetzt möglicherweise aussuchen: 2010 an die Lindenoper – oder doch lieber 2011 an die Deutsche Oper. Auch Kirsten Harms‘ Vertrag nämlich wird angeblich nicht verlängert. Die nächste Personalie kommt bestimmt.

Christine Lemke-Matwey

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