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Waldmeister. Dorothea Roeschmann (Elvira), Christopher Maltman (Don Giovanni, re.), Erwin Schrott (Leporello). Foto: Drama

© Braun/drama-berlin.de

Staatsoper: Todgeweihte leben länger

Über Stock und Stein: Klaus Guths „Don Giovanni“-Inszenierung an der Staatsoper, mit Maria Bengtsson als Donna Anna.

Es gibt sie tatsächlich: Kartenbesitzer, die nicht zur „Don Giovanni“-Premiere der Staatsoper ins Schillertheater gekommen sind, weil Anna nicht Anna ist, sprich, Netrebko nicht die Donna Anna singt. Die Lücken im eigentlich ausverkauften Parkett sind unübersehbar. Nachvollziehbar ist das nicht. Sicher, es war nicht charmant, dass die Russin Jürgen Flimm abgesagt hat und das Kind als Begründung angab, gleichzeitig aber Auftritte in Mailand zusagte. Aber deshalb Karten zurückgeben? Oper – Stichwort „Gesamtkunstwerk“ – ist mehr als die Summe ihrer Teile. Zum Glück geht es nie nur um den einen Star, sondern um die vereinte Leistung von vielen. Wer nicht gekommen ist, hat eine tolle Aufführung verpasst. Mit Maria Bengtsson als Donna Anna.

Auf der Bühne: ein Wald. Extrem realistisch, aber nicht kitschig (Bühnenbild Christian Schmidt). Hoch ragen die Tannen in die Nacht, am Boden wuchern Moos und Farne, lauern Wurzeln und Felsen, alles im fahlem Mondschein ausgeleuchtet (Lichtdesign Olaf Winter). Die Drehbühne sorgt für ständige Perspektivwechsel und die Anmutung, dass die Protagonisten durch den Wald rennen. Regisseur Claus Guth hat die Produktion 2008 – im Rahmen eines Mozart/Da Ponte-Zyklus – in Salzburg gezeigt, als Flimm dort noch Intendant war. Jetzt ist er Chef der Staatsoper, die Inszenierung ist noch einmal in Berlin zu sehen – ein Glücksfall. Denn warum geht Giovanni in den Wald? Weil er alles schon gesehen und erlebt hat und trotzdem immer noch den Kick braucht, die Bedrohung, die Gefahr. Als last frontier erscheint ihm der Wald, der Urgrund des Seins. Begann die Zivilisation nicht in dem Moment, als wir von den Bäumen kamen? Man muss Guth bei diesem Ansatz nicht folgen, der Wald als Sehnsuchtsort der Romantik hat in Spanien – Don Giovanni lebt in Sevilla – nie eine große Rolle gespielt. Aber wie das inszeniert ist, mit welcher Liebe zum Detail, mit welch zwingender Personenführung!

Don Giovanni und Leporello, Herr und Diener, Christopher Maltman und Erwin Schrott: große Jungs, der eine mit Jackett, der andere mit Ghettokid-Mütze, die in den Wald gehen und Spaß haben wollen. Vor allem Netrebkos Gatte Schrott wird zum Matchmaker: fit, volles Haar, Blend-a-med-Lächeln, ein Sänger mit dunkel leuchtendem Bass und Spielfreude, einer, der sich zum Fest den Rock überzieht, die Pappbecher auspackt und Sekt eingießt, als sei’s eine Party im Mauerpark.

Don Giovanni hingegen ist bereits ein Wrack. Laut Registerarie hatte er exakt 2065 Frauen – man sieht es ihm an. Christoph Maltman fügt sich gut in diese Rollenvorgabe, bleich ist die Haut, gebrochen der Blick, und als ihm der Komtur gleich zu Beginn einen Bauchschuss verpasst, sieht man zweieinhalb Stunden einem Sterbenden in Echtzeit zu. Und doch kennt dieser Giovanni nur einen Gegner, die Langeweile. Maltmans Bariton bleibt bis zum Schluss kräftig, markant, dämonisch. Der Mensch ist das einzige Wesen, das weiß, dass es sterben muss, und Giovannis Konsequenz daraus ist im Kern antireligiös. Nicht im Jenseits liegt das Heil, sondern im Hier und Jetzt. Die Zeit verrinnt erbarmungslos in Guths sehr filmisch gedachter Inszenierung.

Niemand geht in dieser feinen Gesellschaft ehrlich mit dem anderen um, vor allem nicht Donna Anna. Wer hat behauptet, Giovanni würde ihr nachstellen? Sie will ihn, sie braucht ihn, denn an ihrer Seite hat sie nur den Langweiler Ottavio. Also verführt sie Giovanni gleich zu Beginn, und als ihr Vater erscheint, ist es eh schon egal, wer angefangen hat. Maria Bengtssons Anna tritt als abgebrühte Millionenerbin auf, als Heuchlerin, die Ottavio den Schock beim Wiedererkennen des Vatermörders nur vorspielt. Ihr Sopran: weniger füllig als der von Netrebko, dünner, diskreter, aber gleichfalls strahlend – kein Grund, Karten zurückzugeben.

Giuseppe Filianoti, rein äußerlich ein Wiedergänger des italienischen Schlagersängers Al Bano, singt den Ottavio mit schönem schlanken Tenor, aber er ist ein Einfaltspinsel, der buchstäblich den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht. Während der „Dalla sua pace“-Arie sitzt Anna im Auto und zündet sich gelangweilt eine Zigarette an, dann kommt Giovanni und malt ihr ein Herz auf die Windschutzscheibe, so dass auch der Letzte merkt, was hier eigentlich läuft.

Zerlina wiederum wird von Anna Prohaska als ziemlich zickige Göre mit einer Körpersprache ausgestattet, die Wiener Verschlagenheit verrät, aber keine wahren Gefühle für Masetto (Stefan Kocan). Dorothea Röschmann als Elvira hat ihren ersten Auftritt in einem schäbigen Bushäuschen, die Strumpfhosen ihres spießigen Businessanzuges sind bald verschlissen, gleichwohl triumphiert sie als lodernder, bissiger zweiter Sopran.

Daniel Barenboim und die Staatskapelle präsentieren ihrerseits einen feurigen, lebendig ausgestalteten Mozart, auch wenn der erste Akt von eigenwilligen Temporücknahmen geprägt ist. Fast alle Darsteller singen mindestens einmal neben dem Takt, manches wackelt gehörig. Zum Ausbügeln fehlte dem Maestro offenbar die Zeit. Die fehlt Don Giovanni sowieso, der Komtur (Alexander Tsymbalyk) schleudert es ihm entgegen: „Ah, tempo più non v’è!“ Eine Höllenfahrt erübrigt sich, Giovanni ist ja von Anfang an dem Tod geweiht. Klaus Guth, der Ottavio – eine Reaktion auf Kritik nach der Salzburger Premiere? – nun doch die zweite Arie „Il mio tesoro“ gönnt, verzichtet wie in der Wiener Fassung von 1788 auf das versöhnliche Schlusssextett. Das Ende leuchtet umso dunkler.

Wieder am 27. und 30. Juni, 3. und 6. Juli. Alle Vorstellungen sind ausverkauft.

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