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Hier stehe ich – aber ich kann auch anders. Jürgen Flimm.

© Hermann und Clärchen Baus

Staatsopern-Intendant Jürgen Flimm im Gespräch über Berlins Kulturszene: „Intendanten müssen verzeihen können“

Vor der „Figaro“-Premiere: Jürgen Flimm über Kollegen, die an ihren Sesseln kleben, den Architekten Frank Gehry als Bühnenbildner und Perspektiven für die künftige Nutzung des Schillertheaters.

Herr Flimm, Sie werden Ihr Amt als Intendant der Berliner Staatsoper nach einem Drei-Phasen-Modell abgeben: Im März 2016 kommt Ihr Nachfolger Matthias Schulz als „Designatus“ ans Haus, im Mai 2017 wird er Ko-Intendant und im April 2018 übernimmt er dann ganz die Leitung der Staatsoper. Wo gibt’s denn so was?!
In der Tat kenne ich keinen vergleichbaren Fall. Aber dieses Vorgehen scheint mir sehr sinnvoll, zumal Matthias Schulz noch keinen großen Opernapparat geführt hat. Ich kenne ihn seit zehn Jahren und habe seinen Werdegang beobachtet. Wenn er vom Salzburger Mozarteum zu uns wechselt, zieht er hier ins Nebenzimmer. Ich werde ihn dann überall mit hinnehmen, bei allen Akteuren einführen, und er wird schnell lernen.

Jürgen Flimm als väterlicher Mentor?
Die Rolle liegt mir. Ich habe ja viele Studenten an der Hamburger Uni gehabt, und einige fragen mich heute noch um Rat. Matthias Schulz ist nicht nur ein guter Pianist, sondern auch noch studierter Volkswirt. Ich glaube, er wird ein guter Intendant. Daniel Barenboim ist übrigens auch sehr zufrieden mit der Wahl.

In 2018 werden Sie 76 Jahre alt sein …
… aber ich wollte den Rückumzug ins Stammhaus Unter den Linden unbedingt noch mitmachen. Wenn man mir sagt, das dauert drei Jahre, und es werden sieben, dann ist aufseiten der Politik das Verständnis da, dass ich die Wiedereröffnung mitmachen möchte. Aber der Generationswechsel muss gleichzeitig vorangetrieben werden.

Fällt es Ihnen schwer, dem angekündigten Abschied ins Auge zu blicken?
Eigentlich wollte ich ja sowieso nie Intendant werden. Lieber als Regisseur von Haus zu Haus ziehen. Mitten in einer Ehekrise mit meiner erster Frau Inge kam dann 1979 das Angebot aus Köln. Da habe ich mir gesagt: Okay, dann setze ich eine Zäsur und probiere das. Ich habe es dann sehr gerne gemacht, als ich merkte, was man da alles verwirklichen kann. Aber ich muss es nicht haben. Inszenieren ist mir wichtiger. Und ich muss zugeben: Während meiner Intendantenjahre bin ich nicht besser geworden als Regisseur. Vorher habe ich freier gedacht.

An anderen Berliner Häusern laufen Intendanzwechsel weniger entspannt ab …
Es gibt in der Tat Fälle, da lässt der scheidende Intendant den Nachfolger bis zu seinem letzten Arbeitstag nicht ins Theater rein. So ein Quatsch! Diese Leute glauben, ihnen gehöre der Laden. Der ist ihnen nur geliehen! Wenn du als Intendant merkst, für dich hat die Glocke geschlagen, dann solltest du dich kümmern, damit jemand kommt, der auch dir in den Kram passt. Daniel Barenboim und ich jedenfalls haben von uns aus einen Vorschlag gemacht – und Kultursenator Michael Müller wie auch Staatssekretär Tim Renner haben sich astrein verhalten, sehr gewissenhaft und kooperativ.

Die Politik ist es nicht gewohnt, dass scheidende Intendanten kooperieren.
Bei der Volksbühne lief das anders, denen wurde darum einfach jemand von außen aufgedrückt. Andererseits lief es unglücklich, was die Informationspolitik betraf, so ganz ohne flankierende Diskussion. Ich habe Hochachtung vor dem, was Frank Castorf gemacht hat. Wenn mir jemand die Leitung der Nationalgalerie anträgt, würde ich sagen: Nein danke, ich kann zwar Bilder angucken, mehr aber auch nicht. Theater ist so kompliziert, dass, wenn du nicht von Innen kommst, du keine Ahnung hast, wie du es leiten sollst. Einmal Marina Abramovic ins Museum eingeladen zu haben, qualifiziert niemanden zum Theaterintendanten. Den Job kann man nur in der Praxis lernen. Es gibt kein Schema, kein Organigramm, das funktioniert. Da drinnen ist alles völlig anders. Weil es hier nicht um Objekte geht, sondern um Menschen. Jeden Tag muss der Intendant 30 Entscheidungen treffen und dann dafür geradestehen. Und er hat auch den weißen Kittel an, ist Psychologe, Kummerkasten.

Auch die Rhetorik von Claus Peymann lässt nicht darauf schließen, dass er gegenüber seinem Nachfolger am Berliner Ensemble eine ausgeprägte Willkommenskultur pflegen wird.
Der Claus ist er im Kern ein ganz entzückender Mann, mit großen Verdiensten. Er hat mir mal einen guten Rat gegeben, als ich Intendant in Köln wurde. Dir wird viel Unrecht geschehen – das ahnst du jetzt noch gar nicht, hat er gesagt. Darum musst du als Intendant vor allem verzeihen können. Wenn du dazu keine Kraft mehr hast, ist es Zeit aufzuhören.

In dieser nächsten Saison geben Sie sich noch einmal richtig die Kante und inszenieren drei Produktionen im Schillertheater.
Da ist reiner Zufall! Die Geschichte dazu geht so: Als mir Daniel vorschlug, mit ihm Glucks „Orfeo“ zu machen, war ich sofort begeistert. Denn wir haben uns ja kasteit in den vergangenen Jahren, was gemeinsame Arbeiten betraf. Mozarts „Figaro“ sollte ursprünglich ein anderer Regisseur machen. Der hat mich ein halbes Jahr hingehalten und schließlich gesagt: Ich kann mit dem Stück nichts anfangen. Wir haben uns nach einer Alternative umgesehen und festgestellt: Alle, die uns interessieren, waren schon verplant. Irgendwann haben mein künstlerischer Betriebsdirektor Tobias Hasan und die Dramaturgen zu mir gesagt: Dann machst du es eben. Du kennst das Stück und liebst es. Daniels Reaktion war zunächst: Tu dir das nicht an! Und dann: Wer bin ich denn, dass ich dir was vorschreibe? Da hatte ich den „Figaro“ an der Backe.

Die dritte Produktion wird ein zeitgenössisches Werk von Salvatore Sciarrino sein.

Sciarrino treffe ich im Sommer regelmäßig, denn er wohnt gleich um die Ecke von dem Bauernhäuschen, das ich in Italien habe. Ihm hatte unsere Produktion seines „Macbeth“ auf der Lindenopern- Baustelle so gut gefallen und darum bat er mich, die italienische Erstaufführung von „Luci miei traditrici“ in Bologna zu inszenieren. Und dann wurde der Etat dort zusammengestrichen. Also habe ich gesagt: Wir machen eine Koproduktion – und puff, da war meine dritte Berliner Inszenierung der Saison geboren!
Wie wollen Sie das alles neben dem Intendantenjob schaffen?
Ach, wissen Sie, das Anstrengende ist nur die Vorbereitung, wenn unendlich viel entschieden werden muss. Wie wird das Bühnenbild, wie die Kostüme, wollen wir etwas von der Musik streichen, weil der Abend sonst zu lang ist und so weiter. Die Proben hingegen sind dann etwas Wunderbares. Vor der leeren Bühne zu sitzen und sie mit Leben zu füllen – das kann ein sehr lustvoller Vorgang sein. Wir Regisseure haben ja nur die Proben. Schon zur Premiere sind wir raus. Darum müssen wir die Zeit davor genießen, wenn wir geistig auf Wanderschaft gehen können und die tollsten Sachen entdecken.

Am Samstag kommt nun „Figaros Hochzeit“ heraus. Zwei Mal haben Sie das Stück schon gemacht, in Amsterdam und in Zürich. War die Berliner Inszenierung jetzt Routinearbeit?
Gott bewahre! Das Werk ist doch unerschöpflich! Dieses Geflecht emotionaler Konstellationen – das reinste Spinnennetz! Vor allem muss es dem Regisseur gelingen, dass der Zuschauer die Hitze spürt, die in diesem Opern-Sevilla herrscht. Das ist so wie früher, wenn man als junger Mensch in die Ferien fuhr. Man war am Meer, es war heiß, da hat die Atmosphäre sich dann aufgeladen – plötzlich ging es nur noch um Anfassen, Knutschen und so weiter. Das will ich zeigen. Und gleichzeitig gibt es da die Enttäuschung, weil es nicht klappt mit dem Sex.

Bei der Gluck-Produktion wird der Architekt Frank Gehry als Bühnenbild machen.
Ich bin zwei Mal in Los Angeles gewesen und habe mich mit dem 85-jährigen Grandseigneur getroffen – eine großartige Erfahrung.

Nimmt sich so ein global agierender Star wirklich Zeit für eine Theaterproduktion?
Ja, absolut. Er hat ja schon früher in Amerika Bühnenbilder gemacht. Ich allerdings war bereits mit konkreten Vorstellungen angereist: In einem Bildband hatte ich ein Projekt gesehen, das er in Venezuela realisiert hat. Das wollte ich in verkleinertem Maßstab als Szenerie. Es geht ja ums Elysium in „Orfeo“ – und genau so sieht dieses skulpturale Häusergewirr aus. Erst war Gehry einverstanden, dann erschien es ihm wieder zu konventionell. Na ja, zum guten Schluss ist es mir gelungen, ihn zu überzeugen.

Noch ein Wort zur Dauerbaustelle Unter den Linden. Warum machen Sie dort keine Veranstaltungen mehr?
Wir hatten es vor – aber dann kam der Untersuchungsschuss, und wir durften nicht mehr rein. Damit keine Spuren verwischt werden …

Bekommen Sie wenigstens noch regelmäßig Führungen über die Baustelle?
Will ich gar nicht! Nachher sehe ich noch etwas, das falsch gelaufen ist, und provoziere eine weitere Verzögerung! Aber im Ernst: Wir gehen davon aus, dass wir am 3. Oktober 2017 loslegen können. Einen Plan B haben wir nicht.

Und dann steht das Schillertheater leer …
Ja, denn Barrie Kosky will auf keinen Fall, dass die Komische Oper während der dortigen Sanierung ausziehen muss. Er will das im laufenden Betrieb schaffen. Ihm geht es um die Identität des Ortes. Der Geist der Komischen Oper kann eben nur in der Behrenstraße richtig wesen. Was das Schillertheater betrifft, so bin ich dafür, hier ein Tanzzentrum zu etablieren. Die Größe ist ideal, die Bühne bietet beste Voraussetzungen für das Genre, weil man vom ansteigenden Zuschauerraum eine gute Aufsicht auf die Spielfläche hat. Und das Haus ist voll ausgestattet. Hier könnte das Staatsballett seine Basis haben, zudem ließen sich Sasha Waltz sowie weitere Freie Gruppen beherbergen, große Gastspiele und Festivals veranstalten. So was haben wir in Berlin nicht. Brauchen wir aber. Wenn ich Michael Müller hieße, ich würde das machen!

Das Gespräch führte Frederik Hanssen.

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