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Kultur: Stabile Saitenlage

So lebendig können tote Partituren sein: der Akademie für Alte Musik zum 25. Geburtstag

Das so genannte Dienstschieben ist der Tod der Orchesterkultur. Ob die Akademie für Alte Musik deswegen so lebendig ist? Jedenfalls hat sie den Gedanken schon bei ihrer Gründung vor 25 Jahren gründlich aus dem Ensemble verbannt: Wenn die Berliner Musiker proben oder auftreten, dann sehen sie das nicht als Dienst an – und schon gar nicht als Dienst nach Vorschrift –, sondern als kreativen Arbeitsprozess.

Das Rezept für die Vitalität ist im Ensemblenamen verborgen und so alt wie die Musik, der man sich verschrieben hat. Im 18. Jahrhundert fanden sich Mitglieder der königlichen preußischen Kapelle mit weiteren Musikern der Haupstadt in informellen Zirkeln zusammen, um sich dem Aufführen selbst gewählter, oft experimenteller Musik zu widmen. Eine von ihnen war die „Musikalische Akademie“, die der königliche Kammermusicus Johann Gottlieb Janitsch 1738 gegründet hatte. Initiativen wie die Janitschs sorgten für eine halböffentlichen Gegenkultur in dem vom Geschmack Friedrich des Großen dominierten Musikleben.

Als regelmäßige Konzerte beeinflussten die „musikalischen Akademien“ nicht nur die Entwicklung eines bürgerlichen Konzertwesens. In ihrer zweiten Bedeutung und Funktion wurden sie zu Orten des gedanklichen Austauschs unter Künstlern und nahmen damit zugleich die Schaffung einer Sektion für Musik in der „Akademie der Künste und mechanischen Wissenschaften“ voraus – die nämlich erst 1833 erfolgte.

Vor 25 Jahren wurde der musikalische Akademiegedanke dann abermals zum Vorbild, für einige junge Musiker um den Geiger Stephan Mai, die 1982 als Ergänzung zum Dienst in verschiedenen Orchestern Ostberlins ihr eigenes Ensemble gründeten. Jenseits der staatlich geförderten Institutionen experimentierte man in zwei Bereichen, die Zukunft haben sollten: Zum einen ging es ums Musikmachen in einem demokratisch organisierten Ensemble ohne Dirigent. Zum anderen wollte man sich mit der – in der DDR damals noch keineswegs etablierten – historischen Aufführungspraxis nach dem Vorbild von Nikolaus Harnoncourt und Co. auseinandersetzen. Obwohl die Akademie für Alte Musik staatlicherseits durchaus misstrauisch beäugt wurde, konnte man bereits 1984 eine eigene Reihe im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt starten. Pünktlich zur Wende wurde „Akamus“ dann auch international zum Begriff.

Ein 1994 geschlossener Exklusivvertrag mit der innovativen, in Fachkreisen hoch geschäztzten Plattenfirma „Harmonia Mundi France“ ermunterte viele Mitglieder des Ensembles, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen. Über 1,5 Millionen Akamus-CDs wurden inzwischen verkauft, das Ensemble ist ein gern gesehener Gast in allen wichtigen Konzertstätten der Welt.

Die Faszination der Akademie für Alte Musik basiert zum guten Teil auf der starken Individualität der auch als Solisten aktiven Mitglieder, die bei allen Auftritten stets spürbar ist. Außerdem hat sich das Musikerkollektiv auch als flexibler und charakterstarker Partner unterschiedlichster Künstler und Institutionen bewährt. Besonders glücklich beispielsweise ist die langjährige Zusammenarbeit mit dem ebenfalls sehr eigenständig organisierten RIAS Kammerchor. Bei der Barockopernserie des Dirigenten René Jacobs an der Staatsoper Unter den Linden erwies sich die Akademie für Alte Musik sofort als eines der innovativsten und besten Berliner Opernorchester: Von Telemanns „Orpheus“ bis zu Reinhard Keisers „Croesus“ war sie dabei mitverantwortlich für regelmäßige Publikumserfolge mit unbekannten Werken: Ein Lichtblick im Doublettenalltag der hauptstädtischen Opernlandschaft.

Der jüngste Coup gelang „Akamus“ zusammen mit der Tanzcompagnie von Sasha Waltz. Nach einer ersten Zusammenarbeit bei Purcells „Dido & Aeneas“ an der Staatsoper, bezog man gemeinsam das Radialsystem V an der Holzmarktstraße zwischen Ostbahnhof und Spree. Der restaurierte Industriebau hat sich innerhalb eines Jahres als wichtige Konzertstätte Berlins etabliert. In dem unverbraucht coolen Ambiente kann man sich so experimentell präsentieren, wie man wirklich ist. Denn Alte Musik, wie sie „Akamus“ betreibt, ist ein stets Hinterfragen der Gewohnheiten des Musikbetriebs: Wer darauf reagiert, dass sich Räume, Besetzungen, Instrumente und regionale Musiksprachen der Vergangenheit von den Normen des im 20. Jahrhundert entstandenen Konzertbetriebs unterscheiden, hat auch wenig Scheu vor ungewohnten Präsentationsformen.

Programmatisch für das, was in der Zukunft möglich ist, steht die Wiederaufnahme der erfolgreichen Produktion „4 Elemente – 4 Jahreszeiten“ im Rahmen des Jubiläumsprogramms zum 25-jährigen Bestehen: Gemeinsam mit dem Tänzer und Choreografen Kruz Diaz de Garaio Esnaola wagte man hier das Experiment eines Konzerts, in dem die Musiker selbst Teil der Choreografie werden. Eine Erfahrung, die von den Musikern ganz nebenbei auch als Übung in Bühnenpräsenz geschätzt wird. Für das sonst gänzlich ohne Subventionen agierende Ensemble sind solche Projekte allerdings nur durch zusätzliche Förderung möglich, wie sie in diesem Fall die Kulturstiftung des Bundes gewährte.

Ob es dem Ensemble gelingen wird, seinen Traum einer „musikalischen Akademie“ im Doppelsinn von Konzert und impulsgebender Stätte des Austauschs zu verwirklichen, bleibt eine spannende Frage. Ein Zeichen für eine lebendige Orchesterkultur wäre es allemal.

4 Elemente – 4 Jahreszeiten, Choreografisches Konzert: Radialsystem V; 4. und 5. Januar, 20 Uhr, 6. Januar 16 Uhr und 20Uhr. Kartentelefon: 030/288 788 588

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