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Anhänger des Bündnisses #unteilbar gehen August 2019 über die Carolabrücke vor der historischen Altstadtkulisse.

© Robert Michael/dpa

Stadt in der Kulturoffensive: Wie Dresden gegen sein Pegida-Image kämpft

Dresden bewirbt sich als Europäische Kulturhauptstadt. 50 Millionen Euro und ein Kurator sollen die Stadt aus den negativen Schlagzeilen holen. Ein Besuch.

Auch wenn die jüngste Nachricht aus Dresden – der Juwelendiebstahl im Grünen Gewölbe – mit Kunst zu tun hatte: In den Schlagzeilen ist die Stadt seit den letzten fünf Jahren ja eher als Pegida- denn als Kulturhochburg.

An einem Sonntagmorgen im Advent will sie ein anderes Bild vermitteln. Der Ort des Geschehens ist das Dresdner Hygiene-Museum, das sich auf gesellschaftspolitisch relevante Ausstellungen etwa über Klima, Migration, Arbeit oder Rassismus spezialisiert hat.

Besucher tragen englisch beschriftete Kisten, hingebungsvoll dekorierte Weinflaschen oder mutmaßlich im Hobbykeller entstandene Plastiken ins Haus und machen es sich auf Sitzsäcken vor einem riesigen Gemälde gemütlich. Beziehungsweise vor den wenigen Ausschnitten, die davon noch übrig sind. Das Bild wird live in Einzelteile zerschnitten und verteilt – unter fröhlicher Mitwirkung seines Urhebers, des jungen indonesischen Künstlers Uji „Hahan“ Handoko Eko Saputro.

Geld möchte er dafür nicht. Die Besucherinnen und Besucher sollen ihm etwas mitbringen, was er, als Künstler, ihrer Meinung nach zum Leben braucht. Eine Mittdreißigerin überreicht ein farbenfrohes Kreuzstickkissen zum Selbstvollenden.

Das Kissen sei ein Symbol für ihre Herkunft; ihre Mutter sei gestorben, bevor sie es fertigstellen konnte, erzählt sie. Ihre Familie stamme aus Griechenland und habe erst in Süddeutschland und jetzt in Dresden „eine neue Heimat gefunden“.

Mitten im Auktionsgewusel: der Kulturmanager, Autor und Filmemacher Michael Schindhelm. Er moderiert die originelle Aktion nicht nur, sondern hat sie sich auch ausgedacht. „The Curious Deal“ – der neugierige Tauschhandel – gehört zu den Veranstaltungen, mit denen sich Dresden als Bewerberin um den Titel Europäische Kulturhauptstadt 2025 präsentiert.

Schindhelm ist von der Stadt als Kurator für diese Bewerbung ausgewählt worden und organisiert in dem temporären Kulturhauptstadt-Showroom im Hygiene-Museum schon seit Wochen ein umfangreiches Programm.

Das Auswahl-Procedere: Deutschland darf für das Jahr 2025 – zeitgleich mit Slowenien – eine Europäische Kulturhauptstadt stellen. Neben Dresden haben sieben Kandidaten ihre Bewerbungsbücher eingereicht: Chemnitz, Gera, Hannover, Hildesheim, Magdeburg, Nürnberg und Zittau.

Am 12. Dezember gibt eine europäische Jury zunächst bekannt, wer es auf die Shortlist und damit in die zweite Runde geschafft hat. Die endgültige Entscheidung fällt im Herbst 2020.

Mit welchem Impetus sich gerade Dresden um den Titel bewirbt, demonstriert der „neugierige Tauschhandel“ quasi idealtypisch. Schindhelm und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter denken Kultur weniger in Termini der bereits vorhandenen „Hardware“, wie es der studierte Naturwissenschaftler ausdrückt.

Dass an ruhmreichen Kultureinrichtungen in Dresden kein Mangel herrsche und Institutionen wie die Staatlichen Kunstsammlungen „in der obersten Liga mitspielen“, stehe ja außer Frage. Es geht um die Software, die Anwendungspraxis.

„Wir entwickeln nicht Gebäude oder Infrastrukturen, sondern die Ressource Mensch, die mit den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts – Globalisierung, Digitalisierung, Migration – umgehen muss und in vergleichbaren Konzepten bislang vernachlässigt wurde“, sagt Schindhelm.

Ungefähr so, nur etwas anders formuliert, steht es im Dresdner Bewerbungsbuch: „Wir verstehen Kultur als eine wunderbare Technik, um uns von anderen zu unterscheiden, aber auch, um diese Unterschiede im Austausch tolerant zu leben.“ Kurzum: Dresden macht sein Pegida-Image in der Bewerbung offensiv zum Thema.

Nicht, um es mit einem attraktiven Titel aufzupolieren, wie Schindhelm betont. Die Stadt beschreibt sich vielmehr als europäischen Polarisierungsmodellfall – und setzt auf die Kreativkraft der Kultur.

Viel Kritik am Motto

„Neue Heimat“ lautet das Motto der Dresdner Bewerbung, die den Heimat-Begriff neu – pluralistisch – besetzen will und „Menschen in Dresden und aller Welt“ zur aktiven Mitgestaltung einlädt.

Die Sprengkraft, die in dem Motto „Neue Heimat“ intendiertermaßen steckt, hat Schindhelm vor Ort zu spüren bekommen. Linke und kosmopolitische Milieus stören sich am Heimat-Begriff als solchem, konservative und rechte am Adjektiv „neu“. Und dazwischen die Kultur, die die Polarisierung überwinden und ausgerechnet Dresden zum Prototyp einer weltoffenen europäischen Zukunftsmetropole machen soll?!

„Pegida ist natürlich eine Katastrophe“, erklärt Schindhelm. „Aber die Zuschreibung des Einzigartigen bei diesem Problem teile ich nicht.“ Er habe während der Brexit-Debatte in London gelebt, die letzten Berlusconi-Jahre in Rom und den Aufstieg Marine Le Pens in Paris miterlebt, sagt der Kurator, der weltweit an renommierten Kulturprojekten arbeitet. Dort seien die Auseinandersetzungen oft härter geführt worden als in Dresden.

Schindhelm, der 1960 in Eisenach geboren wurde, kennt die Stadt gut. Sein Vater studierte dort an der Technischen Universität, und für ihn selbst war Dresden später der Durchgangsort für die (ost-)europäischen Urlaubsziele, die man als DDR-Bürger bereisen durfte.

Als während des Elbehochwassers 2002 ganze Innenstadtteile unter Wasser standen, sammelte er – damals Intendant des Theaters Basel – in der Schweiz über 300 000 Franken für den Wiederaufbau der weggespülten Kinderspielplätze an den Elbwiesen.

Wie nimmt jemand wie Schindhelm – ein kluger Kopf, der erstmals seit 13 Jahren wieder in Deutschland arbeitet – das gegenwärtige Dresdner Klima wahr? Der Kurator steigt mit zwei Anekdoten auf die Frage ein. Die erste spielt bei einem öffentlichen Forum zur Kulturhauptstadtbewerbung.

Dort habe eine ungefähr achtzigjährige Dresdnerin gefragt, was die Stadt überhaupt veranlasse, sich an einem Wettbewerb mit so „mittelmäßigen“ Konkurrenten wie Chemnitz, Gera und Co. zu beteiligen.

Einem Zuhörer, der die Bewerbung verteidigte – und dabei eine Dialektfärbung mit rollendem „r“ erkennen ließ – habe die Frau entgegnet, dass er sich mit dieser Aussprache ja schwerlich als Dresdner bezeichnen und mitdebattieren könne.

Die zweite Anekdote handelt von einer Fernsehredakteurin, die kurz nach der Wende aus der alten Bundesrepublik nach Dresden gezogen ist und Schindhelm stolz erklärte, dass sie „die Zivilisation in den Osten gebracht“ habe – wo es bei ihrer Ankunft noch nicht einmal Kontaktlinsen gab.

Inzwischen kämen ihre Freunde aus dem Westen aber gern nach Dresden, weil da „die Welt noch in Ordnung“ sei.

Kultur als pluralisierende Brückenbauerin

Zwischen diesen mittlerweile ja schon zu Stereotypen geronnenen Extremen, lacht Schindhelm, gäbe es aber „viele kluge, offene und weltoffene Menschen“ in der Stadt.

„Es entspricht nicht meiner Praxis, Klischees zu bestätigen“, ergänzt er. Seine Frau, eine Künstlerin und Schriftstellerin aus Singapur, fühle sich in Dresden wohler als in Melbourne. Und er selbst beobachte oft, dass Menschen anderer Nationalitäten – Dresden zählt aktuell 560 000 Einwohner aus 155 Ländern – die Stadt sogar engagierter verteidigten.

Apropos Klischee. Die Kultur als pluralisierende Brückenbauerin, Teilhabe als Gebot der Stunde – steht nicht auch das, so gut und richtig es klingt, ein wenig unter Gemeinplatz-Verdacht?

Partizipation schreibt sich ja im Prinzip jede Veranstaltung auf die Fahnen, bei der das Publikum mal eine vorgefertigte Frage beantworten oder ein Lied mitsingen darf.

Schindhelm meint es wirklich ernst. Das Kulturhauptstadt-Programm besteht zu gleichen Teilen aus kuratierten wie aus nichtkuratierten Beiträgen. Und zwar nicht nur hinsichtlich der Veranstaltungsmenge, sondern auch des Budgets. Von den 50 Millionen Euro, die als Programm-Mittel zur Verfügung stehen, bekommt jedes Segment genau 25.

Wie tolerant sind wir wirklich?

„Kontrolle an die Zivilgesellschaft abzugeben“, bedeute natürlich zu akzeptieren, „dass auch Leute teilnehmen, die vielleicht nicht alle auf derselben weltanschaulichen Welle liegen“, sagt Schindhelm.

„Wenn eine Zivilgesellschaft diesen Schritt nicht aushält, dann sehe ich für diese Zivilgesellschaft wirklich schwarz.“

Es stehen also auch jene schwierigen und ambivalenten Fragen im Raum, die Schindhelm dialektisch folgendermaßen zuspitzt: „Wie viel Bereitschaft zur Diversität haben wir wirklich? Wie weit wird die Diversität derjenigen, die keine Diversität wollen, ausgegrenzt?“

Weltoffenheit, meint er, „kann ja nicht bedeuten, zwar offen gegenüber der Welt zu sein, aber nicht gegenüber dem Nachbarn, der nicht weltoffen ist.“

Kunst steht für sich selbst

Annekatrin Klepsch, die Zweite Bürgermeisterin von Dresden und Beigeordnete für Kultur und Tourismus, formuliert es etwas gegenständlicher, aber im Kern ähnlich: „Menschen zusammenzubringen mit unterschiedlichen Positionen, die man dann auch aushalten muss“ – darum geht der Politikerin von der Partei Die Linke ebenfalls.

„Schwierige gesellschaftspolitische Fragen aufs Tableau zu heben und in einer sehr guten, konsequenten Moderation auszutragen, ohne dass man für alles Verständnis haben und alles akzeptieren muss, gehört zur Gemeinschaftsbildung einer Stadt“, sagt sie.

Man traut Kunst und Kultur also ziemlich viel zu in Dresden – ohne sie „platt funktionalisieren“ zu wollen, wie der Leiter des Dresdner Kulturhauptstadtbüros David Klein ergänzt.

Kunst könne zwar Perspektiven erweitern und Blickwinkel öffnen, aber nicht als „Krankenpflegerin der Gesellschaft“ betrachtet werden; sie stehe zuallererst einmal für sich selbst.

Ein guter Punkt – zumal produktive Irritationen und Horizont erweiternde Perspektivverschiebungen, als Kernkompetenzen der Kunst, unter Umständen ja sogar heilsamer wirken können als zweckorientierte Operationen am offenen Herzen.

Bei Schindhelms „neugierigem Tauschhandel“ hat das zumindest schon mal gut funktioniert: Biete indonesische Kunst gegen Dresdner Geschichten, die sich in persönliche Gegenstände eingeschrieben haben.

Falls es Dresden am Donnerstag in die zweite Kulturhauptstadt-Bewerbungsrunde schafft, wird man sehen, ob es auch im größeren Ausmaß für „Curious Deals“ bereit ist.

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