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Klone der Schöpfung. Geprobt wird ein Welt-Theater. Auch in Berlin gibt es Interesse an dem Tabori-Musical.

© Felix Guenschloss

Stanley Waldens Musical-Adaption der „Goldberg-Variationen“: Endlich wieder Licht

Der Komponist Stanley Walden hat aus George Taboris „Goldberg-Variationen“ ein Musical gemacht, das in Karlsruhe uraufgeführt wurde - und womöglich bald nach Berlin kommt.

Es ist eine der großen dramatischen Weltparabeln. Denn ums Epochale und wahrhaft Weltschöpferische geht's ja bei George Taboris Meisterkomödie „Goldberg-Variationen“. Das titelgemäß mit Bachs irdisch-himmlischer Musik einsetzende Stück spielt im Stadttheater Jerusalem, wo der Starregisseur Mister Jay alias „J“, was man auch als Abkürzung für hebräisch Jahwe verstehen mag, gerade eine Uraufführung probt, die, wie alles Theater, im dunklen Raum beginnt, mit der Aufforderung „Es werde Licht“. Das Ende vom Stück spielt dann als Theater im Theater: mit der Kreuzigung.

So verspinnen sich Altes und Neues Testament, Genesis und Golgatha, jüdische und christliche Geschichte, bis in die noch gegenwärtigere Vergangenheit. Denn der Theatergott Mister Jay schikaniert als Regieassistenten seinen treuen Knecht Goldberg, der freilich auch seinen Eigensinn hat und eine persönliche Vergangenheit. Er war in einem früheren Überleben in Auschwitz. Was seinen dort bekanntlich abwesenden Herrn bis heute nicht kümmert.

Lebendige Theatergeschichte

Vor jetzt 25 Jahren war Taboris theologische Farce im Wiener Akademietheater mit Gert Voss als Jay und Ignaz Kirchner als Goldberg, vom Autor selber inszeniert, ein unvergesslicher Erfolg. Buchstäblich Welt-Theater, das zum Tränenlachen vom eigenen Metier und einer verzweifelt hoffnungsvollen Misere erzählt: furchtbar komisch, weil säkular-religiöse Tragödie und Backstage-Comedy in einem. Und nun hat der 84 Jahre alte, in seinem Können und Witz sehr jung gebliebene amerikanische Komponist Stanley Walden aus den „Goldberg-Variationen“ ein Musical gemacht.

Walden, einst in Wien und bei vielen anderen Produktionen seines Freundes George Tabori als musikalischer Begleiter dabei, wurde durch sein Musical „Oh Calcutta!“, eine hippy-kulturelle (erstmalige) Nacktshow am Broadway, schon vor 45 Jahren ziemlich berühmt; in Berlin gründete er an der Hochschule der Künste, jetzt UdK, den ersten deutschen Musical-Studiengang und hat als emeritierter Professor dort eben wieder einen Workshop gemacht.

Lebendige Theatergeschichte. „Goldberg-Variationen“ wird gerade auch in Mailand neu gespielt, und Stanley Waldens Musical-Version ist am Badischen Staatstheater Karlsruhe zur Uraufführung gekommen und wird in Claus Peymanns letzter Saison am Berliner Ensemble womöglich als Gastspiel zu sehen sein. Sie beginnt auch höchst einladend. Vor einem sich langsam erhellenden Rundhorizont, der das Bild des himmlischen Universums zeigt, schrubbt Mrs. Mopp alias Mopsy, die Putzfrau des Theaters, den irdischen Bühnenboden. Hoch und niedrig, E- und U-Kultur paaren sich gleich, und Bachs Goldberg-Aria geht über in den ersten Walden-Song „Oh Jerusalem“. Mrs. Mopp erklärt dem Jerusalemer Regie-Theater von Herrn Jay so ihre ersten Zweifel („I'm on my knees / But I'm not prayin'“). Stanley Walden, der in seinen 21 englisch gesungenen, zwischen den gekürzten deutschen Tabori-Stücktext eingeflochtenen Musikszenen souverän Swing und Jazz, Rock und Gershwin-Anklänge variiert, bringt zu diesem „Jerusalem“-Auftakt Bachs Musik mit einem Hauch Gospel zusammen. Da ist sofort Atmosphäre im Raum, und die später noch in zahlreichen anderen Rollen brillierende Schauspielerin Florentine Krafft setzt als singend sinnierende Mopps-Putze mit einer virtuos groovenden Blues-Stimme ein.

Wenig Sinn für den tieferen dramatischen Zusammenhang

Leider gelingt danach nicht mehr alles so verheißungsvoll. Dabei ist die sechsköpfige Band, die hier unter Clemens Rynkowskis Leitung fast zwei Dutzend Instrumente spielt und mitunter einen Orchestersound zaubert, ganz fabelhaft. In den Choreografien von Doris Marlis singen und tanzen die acht Schauspieler/-innen plus noch mal acht freien Tänzer zudem gut. Doch entwickelt Christian Breys Personenregie in den aufwendig variantenreichen Bühnen- und Kostümbildern von Anette Hachmann über den äußeren Rahmen hinaus wenig Sinn für den taborisch tieferen dramatischen Zusammenhang.

Bibel und Babel, Übersteigerung und Realismus, Theologie und Theatersatire – der Regisseur als Gott, der Mensch sein Opfer, dieses oszillierende Geflecht wird kaum deutlich. Sascha Tuxhorn als schmaler Mr. Jay und der gewichtige Jens Koch als Goldberg haben hier keine erkennbare Beziehung, zudem gewinnt Jay als göttlicher Regiestar durch das Karlsruher Outfit eines Tennisplatzwarts schwerlich Kontur. Brey treibt seine Spieler viel zu sehr in outrierte Parodie-Posen und lässt abgründige Tabori-Pointen albern verkichern. Erst im zweiten Teil, bei Golgatha an der Schädelstätte, dürfen die beiden Hauptdarsteller mehr Kopf, Verstand und eigenes Können zeigen. Am Premierenende gab’s für alle Ovationen. Das lässt ahnen, was aus Tabori-Waldens „Goldberg“-Musical noch werden könnte. Es heißt, Berlins Komische Oper hat Interesse. Eine weitere Verheißung.

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