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Star-Ruhestätten: Schön ist es, aus der Welt zu sein

Pharaonengräber der Neuzeit: Die letzten Ruhestätten von Rockstars erfüllen das Versprechen des Pop auf ewige Jugend.

Am Dienstag wird Michael Jackson in Los Angeles beigesetzt. Die Zeremonie ist privat, nur für Familienmitglieder und engste Freunde. Die Trauerfeier auf Jacksons Neverland Ranch wurde wegen des erwarteten Ansturms abgesagt. Doch Jacksons Bruder Jermaine hat eine Umbettung des King of Pop angekündigt, auf das elf Quadratkilometer große Anwesen, auf dem Jacko bis 2005 lebte. Schon jetzt ist Neverland samt Vergnügungspark, Streichelzoo und Kino zur Pilgerstätte geworden. Jacksons Familie dürfte seine Villa zum Museum umfunktionieren. Es wäre die opulenteste Zurschaustellung eines toten Popstars. Viele Gräber legendärer PopGrößen sind Monumente des Ruhms, vergleichbar den Pharaonengräbern. An den letzten Ruhestätten der Stars erfüllt sich das Versprechen der Popkultur auf ewige Jugend. In den Bildnissen rund um die Gruft ist sie festgehalten, die strahlende Schönheit der Idole, die im kollektiven Bewusstsein fortexistiert. Aus gegebenem Anlass eine kleine Anthologie des Lebens nach dem Rock’n’Roll.

Elvis Presley, Memphis

Das Haus, das wie der Herrensitz einer Baumwollplantage anmutet, ist überraschend klein. 23 Zimmer hat es, jedes ließ Elvis individuell einrichten, nachdem er das weitläufige Anwesen 1957 erstanden hatte. Weitere Gebäude wurden angebaut, sein Vater beantwortete in der Garage die Fanpost. Noch heute, da Graceland als Elvis-Museum fungiert und jährlich 600 000 Besucher empfängt, kann man die durchlöcherten Wände bestaunen, die der vom Showbusiness zurückgezogene Star und Waffennarr mit seiner Entourage aus Leibwächtern und Polizisten beschoss. Der Leichnam des King of Rock’n’Roll wurde etwas abseits der Villa im sogenannten Meditationsgarten beigesetzt. Er liegt dort neben Mutter Gladys und Vater Vernon Presley, eine weitere Grabplatte erinnert an den tot geborenen Zwillingsbruder Jesse Garon. Aus unsichtbaren Lautsprechern weht Musik. Die Blumen sind immer frisch, ein Springbrunnen rauscht. Kai Müller

Jim Morrison, Paris

Abteilung sechs, zweite Reihe. Auf schnellstem Wege. Kein Blick für Guillaume Apollinaire, Honoré de Balzac und Gilbert Bécaud, vorbei an Sara Bernhardt, Georges Bizet und Maria Callas, nicht ablenken lassen von Frédéric Chopin, Eugène Delacroix und Gustave Doré, vorüberhasten an Max Ernst, Yves Montand und Georges Perec, nicht stehenbleiben bei Édith Piaf, Marcel Proust und Raymond Radiguet, wer zum Geier sind Gioacchino Rossini, Gertrude Stein und Oscar Wilde? Auf diesem Friedhof zählt nur einer: Jim. „Où est la tombe de Jim Morrison, s’il vous plait?“ – „Division six, deuxième ligne“, knurrt ein genervter Friedhofswärter. Fast rennend durchquere ich den Père-Lachaise, Tunnelblick, der Friedhof verschwimmt zum Steingebirge, Jims Grab: ein Gipfelkreuz. Das Glück des Findens: getrübt von der plötzlichen Frage, wonach ich eigentlich gesucht habe. Auf meinem Erinnerungsfoto sitzt ein langhaariger Junge auf einem grauen Grabstein, sein Lächeln ist ratlos. Der Tod macht ratlos. Jens Mühling

Rio Reiser, Fresenhagen

In den Hecken blühen Schafgarben und wilde Wicken, abends quaken die Frösche. Das Grab liegt im Garten im Schatten eines Ahorns, umrahmt von einem kniehohen weiß getünchten Zäunchen. Hier ruht Ralph Möbius, der 1996 46-jährig als Rio Reiser starb. Mit einer Gruppe selbsterklärter „Radieschenkommunisten“ hatte der Liedermacher in Nordfriesland an der dänischen Grenze die „Freie Republik Fresenhagen“ gegründet. Kein infantiles Neverland, sondern ein schönes altes Haus. „Alle Berliner sollen erst mal dahin gehen, wo sie hingehören, nämlich aufs Land, oder ins Sanatorium“, notierte der großstadtmüde Sänger in sein Tagebuch. Im Musikzimmer glänzt noch heute ein Flügel des Hoflieferanten seiner Majestät, wie gemacht für den König von Deutschland. An der Tür zum Sterbezimmer klebt ein Zettel. „Komme gleich wieder.“ In seiner Landkommune schrieb Rio Lieder, Gedichte. Und Aphorismen: „An die Deutschen: Deutschland Du bist nicht ganz dicht / aber ich liebe Dich.“ Die bronzene Totenmaske im Musikzimmer wirkt denn auch nicht wie die eines schrillen Popstars, sondern wie die eines großen Deutschen. Bodo Mrozek

John Lennon, New York City

Vom Dakota Building an der 72. Straße in New York, wo sie lebten, hatten es John Lennon, Yoko Ono und Sohn Sean nicht weit zu der Stelle im Central Park, an der sich ein Felshügel zwischen den Bäumen erhebt. Man ist da sehr plötzlich für sich und in einer idyllischen Märchenszenerie. Für Lennon war es seine „liebste Stelle“, wie er sagte. 1985, fünf Jahre nach seiner Ermordung, wurde ihm dort in Anlehnung an den Beatles-Song „Strawberry Fields Forever“ ein ein Hektar großes Areal gewidmet. Als Memorial für den Wahl-New-Yorker gestaltet, ist im Zentrum eine von Yoko Ono entworfene, aus schwarzen und weißen Mosaiksteinchen zusammengesetzte Kompassrose in den Boden eingelassen. Darauf steht: „Imagine“. So hieß auch Lennons berühmte Hymne auf den Weltfrieden. Oft ist das Mosaik mit Blumen übersät, Kerzen brennen, und Menschen treffen sich, um Lennon-Songs zu singen. Kai Müller

Kurt Cobain, heimatlos

Die Art, wie er seinem Leben ein Ende setzte, war brachial, der Schock groß. Am 5. April 1994 drückte sich der Grunge-Musiker eine Überdosis Heroin in die Adern und schoss sich mit einer Schrotflinte in den Kopf. Es folgte eine Selbstmordwelle mit mindestens 14 weiteren Toten. Als Junkie, der er war, hatte Cobain die düsteren Seiten seines Daseins nie verheimlicht, sich zum „negative creep“ ausgerufen und gesungen „I hate myself I want to die“. Cobain wurde eingeäschert, aber nie öffentlich beigesetzt.

Zunächst hieß es, dass Courtney Love die Asche an verschiedenen Stellen verstreut habe. Sie wollte keine Pilgerstätte, keine weitere Ausrede für verzweifelte Kids, sich den Tod als glanzvolle Alternative auszumalen. Bei einer öffentlichen Trauerfeier in Seattle hatte sie Cobains Abschiedsbrief verlesen und der Menge zugerufen: „Er ist so ein Arschloch. Ich möchte, dass ihr alle laut Arschloch sagt.“ Dann aber klagte Love vor einem Jahr, dass ihr bei einem Einbruch die Urne gestohlen worden sei, in der sie die Asche sowie eine Haarsträhne ihres Mannes für sich aufbewahrt habe. Versteckt in einer pinkfarbenen Bären-Tasche im Kleiderschrank. Die Meldung wurde später dementiert. Die Frage ist, was schlimmer ist: Kurt Cobain in den Händen nekrophiler Gangster zu wissen oder versteckt in einem pinkfarbenen Teddybär? Kai Müller

Herman Brood, Amsterdam

Frank Black alias Black Francis, ehemaliger Sänger der Pixies, läuft über den Zorgvlied Friedhof. Er sucht das Grab von Herman Brood, dem großen Rock’n’Roll-Junkie, der zugleich Heroin- und Alkohol- Junkie war, ein Leben lang, bis er nicht mehr konnte, nicht mehr wollte und am 11. Juli 2001 vom Amsterdamer Hilton Hotel in den Tod sprang. Inspiriert von der Kunst des holländischen Sängers und Malers hat Black einen Songzyklus zu Broods dramatischem Leben geschrieben: „Bluefinger“.

Er findet das Grab. „Respect – hij gaf licht“ und die Lebensdaten „5.11.1946 – 11.7.2001“ sind eingraviert in einen quadratischen Sockel, von dem ein riesiger Engel herabschaut auf ein kleines Urnengrab, umgrenzt von wadenhohen Obelisken. Ein paar Leute haben sich versammelt, Fans von Brood, Fans von Black. Während er seine Akustikgitarre aus dem Futteral zieht, schaut der pummelige amerikanische Musiker mit der schwarzen Sonnenbrille auf die Blumen und die anderen kleinen Dinge, die Verehrer von Brood hier abgelegt haben: Fotos, Briefchen, eine Bierflasche, Kettchen am ausgestreckten Arm des Engels, eine kleine weiße Gipsbüste, der Kopf von Brood. Daneben eine Flasche Grand Marnier. Black nimmt einen Schluck und singt. Frank singt für Herman, wie Bob einst für Jack gesungen hatte, an dessen Grab: Dylan für Kerouac. „Angels come to comfort you“ singt Black und zwei weitere Songs von „Bluefinger“. Und seinen Pixies-Hit: „Where Is My Mind“. When I do my suicide for you I hope you miss me, too! hatte Herman Brood fast zwanzig Jahre lang gesungen. Jetzt vermissen ihn so viele. Frank Black nimmt einen Schluck, packt die Gitarre wieder ein, schaut aufs Grab und geht. H.P. Daniels

Roy Black, Straßberg

Schön ist es, aus der Welt zu sein. Alle Jahre wieder, wenn sich am 9. Oktober der Todestag von Roy Black jährt, wird sein Grab in der schwäbischen Gemeinde Straßberg bei Augsburg zur Pilgerstätte. Fans legen Blumen und Trauergestecke nieder, einige haben sogar ein Miniaturmodell seiner Fischerhütte gebastelt. Von einer Bildplakette auf dem Grabstein schaut der Sänger zu, der 1991 an zu viel Alkohol, zu viel Schnulzen und Herzversagen gestorben war. Es ist, als ob er seinen Fans noch einmal, wie so oft im wirklichen Leben, zurufen wollte: „Danke, dass ihr mir die Treue haltet, ohne euch würde es mich nicht geben.“ Was zweifellos stimmt. Roy Black war eine Erfindung der Plattenmanager. Doch in Straßberg ist der Schlagerstar, der eigentlich ein Rock''n''Roller sein wollte, unter seinem tatsächlichem Namen beerdigt worden: Gerhard Höllerich. Auf dem schlichten Gedenkstein breitet Jesus die Arme zum Segen aus, davor stehen zwei Buchsbäumchen, Blumenvasen und Laternen mit ewigen Lichtern. Christian Schröder

Nico, Berlin

Es ist drückend heiß im Berliner Grunewald. Herzinfarktwetter, Gewitterstimmung. Ein paar Vögel piepsen, Mücken surren, ein Mistkäfer überquert den Waldweg – sonst regt sich hier überhaupt nichts. Ähnlich heiß muss es auch vor knapp 21 Jahren auf Ibiza gewesen sein, als Nico sich in der Mittagszeit auf ihr Fahrrad setzt. Wenig später liegt die 49-jährige, ehemalige Velvet-Underground-Sängerin tot am Straßenrand. Eine Gehirnblutung. Was für ein seltsamer Zufall, dass diese finstere Ikone des Cool ihr Ende in der gleißenden Sonne fand.

Jetzt hat sie wieder Schatten. Ihr Grab auf dem Friedhof Grunewald ist dicht umstanden von Heckenpflanzen und überwuchert von Efeu. Es ist ein unauffälliges Urnengrab mit einem schlichten schwarzen Marmorstein. Man könnte es glatt übersehen, lägen dort nicht gut zwei Dutzend Fan-Devotionalien: eine schwarze Rose, diverse Engelsfigürchen, Kerzen, Fotografien der Sängerin, ein Gedicht in Plastikfolie. Verglichen mit anderen Star-Gräbern ist das wenig, was wohl an der Abgeschiedenheit dieses 1879 angelegten Friedhofs liegt. Nico hatte ihn schon im Alter von 18 Jahren als letzte Ruhestätte für sich und ihre Mutter ausgesucht. So steht auf dem Grabstein „Margarete Päffgen 1910-1970“ und darunter „Nico Christa Päffgen 1939-1988“. Bei der Beerdigung wurde das Stück „Mütterlein“ von ihrem 71er-Album „Desertshore“ gespielt. Darin singt Nico: „Liebes kleines Mütterlein, nun darf ich endlich bei dir sein, die Sehnsucht und die Einsamkeit, erlösen sich in Seligkeit.“ Nadine Lange

Die Toten Hosen, Düsseldorf

Die Rockband um Sänger Campino ist zwar noch quicklebendig (siehe Seite 26), hat aber vorgesorgt. Auf dem Düsseldorfer Südfriedhof ist für die fünf Musiker und eventuellem Anhang eine Grabstelle für 17 Personen reserviert. Einzige Bedingung von Breiti: Die Gruft müsse im nördlichen Teil des Friedhofs liegen, um weit genug von Köln entfernt zu sein. Kai Müller

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