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Kultur: Staub und Hoffnung

Eine Begegnung mit der brasilianischen Songwriter-Legende Chico Buarque

Von Sandra Luzina

Die drei großen Leidenschaften von Chico Buarque sind: Fußball, Literatur, Musik. In eben dieser Reihenfolge. Seinem Auftritt im Berliner Haus der Kulturen der Welt sahen die Fans so gespannt entgegen wie dem ersten Spiel von Ronaldinho und Co. Mit Tickets für die WM hat man die brasilianische Singer-Songwriter-Legende nach Berlin gelockt. Hier absolvierte der Hobby-Fußballer erst mal ein Show-Turnier. Die brasilianische Mannschaft besiegte das deutsche Team mit 9:6.

Buarques Konzert war gleich einer der Höhepunkte der prominent besetzten Reihe „Música Popular Brasileira“. Auch seine Nichte Bebel Gilberto hat sich angekündigt – das Haus der Kulturen der Welt ist derzeit das Hauptquartier der brasilianischen Künstler. Als Chico Buarque gegen Mitternacht die Bühne betritt, bricht ein unbeschreiblicher Jubel los. Chico ist zurück. Es ist fast so etwas wie ein Comebackt – denn Buarque ist sieben Jahre lang nicht aufgetreten. In der Zwischenzeit hat er seinen dritten Roman „Budapest“ vollendet, der im Frankfurter S. Fischer gerade auf Deutsch erschienen ist. Und ein brandneues Album liegt auch vor: „Carioca“ (Biscoito F/Indigo) .

Gilberto Gil hat bei seinen beiden Berliner Konzerten mit großer Geste die ganze Welt umarmt. Gil tanzt — Buarque nicht. Zurückgenommen, fast ein wenig scheu wirkt der grauhaarige Sänger, der ein ähnliches Charisma wie der späte Leonard Cohen besitzt. Sanfte Klugheit und eine heitere Melancholie strahlt er aus – und sein elegisches Timbre macht süchtig. Schon bei der ersten beschwingten Bossa Nova-Ballade ist sie zu spüren: eine fast schmerzliche Intensität, gepaart mit einer unnachahmlichen stilistischen Eleganz. Dies ist kein Abend der überschäumenden Fröhlichkeit – dazu spielt die siebenköpfige Band auch viel zu sophisticated. Aber die Fieberkurve steigt!

Denn der 62-jährige Chico Buarque ist der Schwarm aller brasilianischen Frauen. Das Idol der Mütter – nun sind deren schöne Töchter gekommen, um ihn zu feiern. Wer einmal in seine blauen Augen geschaut hat, um den ist es geschehen. Und keiner hat so wunderbar die komplizierten Beziehungen von Mann und Frau besungen wie Buarque. Doch der Sohn des berühmten Historikers und Soziologen Sérgio Buarque de Holanda ist auch eine Symbolfigur des Widerstands. Seine Songs wurden während der Militärdiktatur zensiert und verboten. Buarque ist bekannt für seine sozialkritischen Inhalte – doch bei ihm wird daraus pure Poesie.

Neben Klassikern stehen Songs aus dem neuen Album auf dem Programm. „Carioca“ ist eine Hommage an seine Heimatstadt: „Rio de Janeiro durchlebt zur Zeit eine schwierige Phase. Es ist eine dekadente Stadt, verarmt, voller Probleme. Sie wird schlecht verwaltet – und der Fußball von Rio wird übrigens auch schlechter. Es ist ein guter Moment, diese Stadt zu besingen. Außerdem man darf nicht vergessen, dass sie immer noch die Wiege der brasilianischen Musik ist.“

In den Favelas ist heute eine andere Musik angesagt: Rap. Mit „Suburbio“ hat er sich an einem „Semi-Rap“ versucht. „Ich komme aus einer anderen Zeit“, meint Buarque und lächelt ironisch. „Das Format der Música Popular Brasileira kommt aus dem vergangenen Jahrhundert. Der Rap ist nahezu eine Verneinung der MPB. Aber ich mag diese Musik. Die Rapper kommen aus der Peripherie und sprechen über soziale Probleme – in einer sehr direkten Sprache.“ Der sprachbesessene Buarque stellt eine Brücke zwischen der Bossa-Nova-Vätern und der neuen Generation dar. Und wird von den Jungen ehrfürchtig verehrt. Das zeigte auch das Duett mit der Sängerin Mart’nália. Die umtänzelt Buarque und entlockt ihm am Ende ein scheues Lächeln.

Chico Buarque ist ein Paradox: Noch eine fröhliche Samba klingt bei ihm beseelt, auch wenn sie sich um Fußball dreht. Und seine Balladen rütteln auf und sind zugleich von einer zärtlichen Wehmut. Dass seine Leidenschaften in Berlin so wunderbar zusammen fließen, stimmt ihn heiter. „Oh, Francisco, unser lieber Freund. Deine Fußballschuhe gehen eine Straße aus Staub und Hoffnung hinunter“, dichtete einst Tom Jobim.

Buarque wünscht sich von der brasilianischen Mannschaft, dass sie ins WM-Finale kommt. Wer dann gegen seine Landsleute spielen soll? Natürlich Deutschland! Was sonst?

Die Konzertreihe „Música Popular Brasileira“ läuftt noch bis 8. Juli im Haus der Kulturen der Welt.

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