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Kultur: Staunen in Schlesien

Vor hundert Jahren begann man darüber nachzudenken, wie die Wahrnehmung von Kunst den Blick auf die Wirklichkeit verändert.Joachim Reck (Jahrgang 1968), der in Schlesien aufwuchs, bevor er nach Berlin zog, hatte an diesem Punkt noch einmal angesetzt und letzten Sommer in der Zwinger Galerie erste Ergebnisse gezeigt.

Vor hundert Jahren begann man darüber nachzudenken, wie die Wahrnehmung von Kunst den Blick auf die Wirklichkeit verändert.Joachim Reck (Jahrgang 1968), der in Schlesien aufwuchs, bevor er nach Berlin zog, hatte an diesem Punkt noch einmal angesetzt und letzten Sommer in der Zwinger Galerie erste Ergebnisse gezeigt.Er widmete sich der Dorfarchitektur in flimmernden Farbtupfern, steigerte die linienauflösende Wirkung pointillistischer Verfahren mit Rasterbildern Polkescher Prägung und sah zunächst ziemlich alt aus.Seine Premiere hatte Mängel, die dem Nachdenken nützten.Reck bezog seine Heuhaufen im Schlagschatten, die Fassaden im Sonnenlicht und seine Bilder von kleinen, leeren Plätzen auf Werke von Monet, Seurat und Hopper.

Diese Maler verliehen den Motiven vom Ländlichen großstädtische Nervosität: Distanz bei aller Faszination.Reck dagegen schlägt eine andere Einstellung vor.Er monumentalisiert die Architektur auf dem Lande.Spitzdachhäuser und Heuhaufen erscheinen wie aus dem Modellbaukasten im gleißenden 5000-Watt-Licht des Ateliers.Ein Maler muß sich sehr sicher sein, wenn er das Verengte in große Acrylbilder überträgt, keinen weiten Raum schafft, sondern nahe Wände mit kleinen, verschlossenen Fenstern verbarrkadiert.

Beim Blick auf die Bilder meint man sich stets zu nahe dran.Reck übernahm die Raster nicht sklavisch von Fotos, sondern stärkte damit das Motiv.Beim Heuhaufen verläuft die Rasterstruktur pyramidal und läßt ihn wie ein Monument erscheinen.Der Künstler betont nicht die Realität des Mediums, sondern nutzt das Raster als flexibles, lichtdurchlässiges Ordnungselement.Damit ist er vom Pointillismus ebenso weit entfernt wie von Sigmar Polke.Reck geht es um Perspektive.Baut man ein Schrebergartenhaus in den Dimensionen eines Palastes, zeigt sich die Idee von Größe aus der Perspektive der Märklineisenbahn im Keller.

Daß Joachim Reck so sicher auf Naivität besteht, verdankt sich der Anverwandlung seiner Kindheitsperspektive, als der kleine Junge die großen Häuser, hohen Wände und merkwürdig aufeinander geschichteten Heuhaufen anschaute und alles neu und seltsam war.Der Künstler schöpft aus dem unverlorenen Blick der Kindheit.Um das Staunen von einst in richtigem Licht darzustellen, verändert er die Verfahren der impressionistischen Vorgänger für seine Zwecke.Doch hat dies weniger mit Biographie, als vielmehr mit der Entwicklung von Bildern zu tun, die der Beliebigkeit entgehen wollen.Es gibt eine Mappe mit Fotos von Heuhaufen und - Simsalabim -, der Besucher war verzaubert.

Die Heuhaufen der schlesischen Bauern sind in Ballen, Kegeln, Kuben geschichtet.Mal gleichen sie Skulpturen von Minimalisten, mal Tempeln, mal heiligen Orten.Ihre Ordnung verdankt sich im Detail der Mähmaschine und insgesamt der Funktion vorübergehender Lagerung.Die Bauern wollen, daß es ordentlich aussieht und praktikabel ist.In dieser Ästhetik des Faktischen, die absichtslos Architektur und Malerei in eins setzt, hat Reck eine Aufgabe entdeckt.Er respektiert das Tagwerk der Landwirte ebenso wie das von Seurat und Polke, sucht beide Horizonte ineinanderzublenden und mit dem eigenen Blick der Kindheit zu verschwistern.

Wenn er nun Siebdrucke anbietet, dann hat er bereits begonnen das zu verabschieden, was seine Arbeit bemerkenswert machte.Denn es schien, als wolle er nicht alles, was ihm teuer ist, über einen Leisten schlagen.Mit Siebdruck ist das der Fall.Überdies stellt die Galerie in einem Begleittext heraus, es ginge dem jungen Reck weniger um Motive; er "thematisiert Malerei als solche".Das mag man nicht mehr hören, nicht mehr lesen und nicht mehr sehen.Malerei als solche ist leer, wenn sie nichts weiter als das ist.Daß Reck zunächst bei Zwinger, nun bei Koch und Kesslau sein Vorantasten vorstellen kann, zeigt nebenbei, wie neugierig manche Galerien geblieben sind, wenn sie so früh bei einem Maler einsteigen, der es ernst meint, weil er an etwas arbeitet, das größer ist als er selbst und wofür es keine Schablonen gibt.

Koch und Kesslau, Weinbergstraße 3, bis 22.Mai; Donnerstag bis Sonnabend 16 - 20 Uhr.

PETER HERBSTREUTH

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