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Baden gehen. Der Amsterdamer Architekt Mels Crouwel entwarf den avantgardistischen Anbau aus Kunststoffharz und der Synthetikfaser Twaron.

© Stedelijk / John Lewis Marshall

Stedelijk Museum: Der Wanneproppen

In Amsterdam wird das Stedelijk Museum nach acht Jahren wiedereröffnet – mit einem spektakulären Anbau.

Die gold geränderten Porzellanteller mit den geometrischen Formen darauf hängen ein wenig versteckt. Bei der Keramikkunst von John Knight mit den Grundrissen von Museumserweiterungsbauten – auch mit dem Zickzack des Jüdischen Museums Berlin – handelt es sich um eine der jüngsten Erwerbungen von Museumschefin Ann Goldstein. Und um eine humorvolle Anspielung in eigener Sache: Aufgepasst, hier kann schnell Bruch entstehen, ließe die Botschaft sich deuten, präsentiert die seit drei Jahren amtierende Direktorin die Teller doch zur Wiedereröffnung des Amsterdamer Stedelijk Museums. Goldstein kann sich Selbstironie leisten, legt sie in diesen Tagen doch vor allem einen kraftvollen Auftritt hin. Zum Festakt am heutigen Sonnabend kommt Königin Beatrix – die Rückkehr des Hauses in den Reigen der Amsterdamer Museen besitzt nationale Bedeutung.

Acht Jahre war die für moderne Kunst bedeutendste Institution der Niederlande geschlossen. Jahre voller Pleiten, Pech und Pannen: Für so lange Zeit sollte das holländische Pendant zum New Yorker Museum of Modern Art nicht von der Bildfläche verschwinden. Die größte Malewitsch-Sammlung außerhalb der Sowjetunion, das Ruhmesblatt des Stedelijk, geriet aus dem Blick. Der Ruf der Avantgarde-Adresse war allerdings bereits vorher angekratzt, wegen einer uninspirierten Ausstellungspolitik.

Zweifellos musste der 1895 erbaute Backsteinbau in unmittelbarer Nachbarschaft von Van-Gogh-Museum, Rijksmuseum und Concertgebouw erweitert und endlich mit Klimatechnik ausgestattet werden. Doch schon über den Entwurf geriet man in Streit, die Kosten explodierten. Der letzte Direktor im noch geöffneten Haus ging mit Verdruss, sein Nachfolger hütete eine Sammlung unter Verschluss, für die er an verschiedenen Orten in der Stadt immer wieder Schaufenster suchen musste, darunter auch die Nieuwe Kerk. Dann kam die Amerikanerin Ann Goldstein vom Museum of Contemporary Art in Los Angeles. Sie war Kummer gewohnt, das Haus in L. A. musste radikale Kürzungen hinnehmen. Mit ihr sollte es endlich werden. Aber nachdem sich alles zum Guten zu wenden schien, verhagelt die Stadtregierung die Laune: Der Etat für den künftigen Ausstellungsbetrieb wurde kräftig zusammengestrichen.

Nun steht der Annex, ein weißer Knaller, der die altertümliche Architektur in die Gegenwart katapultieren soll. Der Architekt Mels Crouwel nennt sein Werk selbst „Badewanne“. Ein gigantischer Trumm mit weit auskragendem Vordach aus glattem, glänzendem Kunststoffharz und der Synthetikfaser Twaron wurde als neuer Eingang vor die Hinterseite des Museums platziert. Das Museum dreht sich auf diese Weise um 180 Grad zum weitläufigen Museumsplein hin. Doch der bombastische Auftritt verliert sich in den Niederungen der unmittelbaren Umgebung. Der große Wurf wird flankiert von einer quer gelegten Rampe zur Tiefgarage, einem Supermarkt und einem Abluftturm für das Museum.

So gibt es nur einen einzigen unbehinderten Blick auf den gesamten Gebäudekomplex, schräg von der Seite. Dabei zeigt sich, was moderne Anbauten ihren historischen Hauptgebäuden antun können: Sie bewirken brutalstmögliche Verdrängung. Dass zeitgenössische Architektur derart auftrumpfen muss, gehört zu den Gesetzen des Museumsbetriebs. Signature-Architecture lautet das Zauberwort. Mit ihr versuchen die Städte (allen voran Bilbao mit dem Guggenheim von Frank Gehry bis hin zum Maxxi von Zaha Hadid in Rom) im internationalen Vergleich zu punkten und Publikum anzulocken. Das neue Stedelijk Museum erwartet selbstbewusst jährlich etwa eine halbe Million Besucher. Kultur gilt als Standortvorteil, gerade bei der Ansiedlung neuer Unternehmen, auch wenn am Ende beim laufenden Betrieb geknapst wird.

Nicht nur an solchen Sparbeschlüssen noch vor der Eröffnung zeigen sich die städtischen Prioritäten. Das futuristische Gebilde vor dem eigentlichen Stedelijk birgt hinter seiner gläsernen Front vor allem ein riesiges Restaurant und jede Menge Shopfläche. Die neuen Ausstellungssäle befinden sich abgedrängt im Unter- und Obergeschoss und sind umständlich über eine riesige Rolltreppe erreichbar, die durch eine gelbe Röhre führt – als wären sie eine lässliche Bedingung für die Erweiterung. Dennoch ist dem Architekten mit seinem Um- und Anbau für 127 Millionen Euro eine Museumsvergrößerung um fast die Hälfte gelungen, auf insgesamt 20 000 Quadratmeter.

Das Äußere protzt, im Inneren aber muss die Direktorin durch kluge Hängung überzeugen. Im ersten Saal, von dem aus sich das Haus in mehrere Flügel verzweigt, will ihr das allerdings nicht recht gelingen. Donald Judds Minimalskulpturen und Lawrence Weiners Wandschriften fesseln den Eintretenden nicht. Luc Tuymans großformatiges Porträt der Königin, eine anonyme Schenkung, wirkt wie eine übertriebene Ehrbezeugung. Oder ist es ironisch gemeint? Ihre Majestät mit fliederfarbenem Lidschatten und langer roter Robe erscheint auf dem Bild eher wie eine gealterte Operndiva. Auch die Eröffnungsschau in den neuen Wechselausstellungssälen zollt vor allem der Stadt Tribut mit einer Präsentation junger Amsterdamer Künstler, bei denen Ankäufe getätigt werden sollen. Die zunächst angekündigte Mike-Kelley-Ausstellung wurde in den Dezember verschoben.

Ann Goldstein versucht als Erstes, ihr Publikum vor Ort zurückzugewinnen. Vor allem die Lokalpolitiker will sie auf ihre Seite ziehen. Dass in den alten Gemäuern des Stedelijk, im nun hinteren Teil des Gebäudes, weit mehr steckt als nur die flotte Verkaufe von vorne, erweist sich mit der Dauerausstellung. Die von 1870 bis in die Gegenwart reichende Sammlung ist zwar klassisch chronologisch gehängt, aber mit geschickten, spannungsreichen Blickachsen zwischen den Räumen. Giacometti etwa winkt schon zu den Expressionisten herüber und lockt in den kubistischen Saal.

Ihre Unverwechselbarkeit gewinnt die Präsentation aber vor allem durch die niederländischen Einsprengsel im Fluss der internationalen Kunstgeschichte. Der Besucher macht Entdeckungen, etwa bei der Art brut, statt wie in allen Museen von Rang die Standards abzuhaken. Wo die Holländer groß waren und ihrerseits Weltkunst prägten, wie etwa Willem de Kooning Anfang der fünfziger Jahre bei den Abstrakten Expressionisten in New York, da werden sie auch gefeiert. Ein ganzer Saal gehört dem bedeutenden Maler, der sich auch als Bildhauer betätigte, wie man hier erfährt.

Die größte Überraschung erwartet den Besucher im Nordflügel, wo ein völlig neues Museum im Museum entstanden ist. Erstmals zeigt das Stedelijk seine exzellente Designsammlung, der größte Bestand des Hauses mit 130 000 Objekten, von dem jetzt gerade einmal drei Prozent gezeigt werden. Höchste Zeit also für die Rückkehr des Museums.

www.stedelijk.nl

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