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Heerscharen. Die Solisten Juliane Banse, Birgit Remmert, Tilman Lichdi und Michael Nagy, in der Mitte Dirigent Steven Sloane.

© MUTESOUVENIR | KAI BIENERT

Stefan Heuckes „Deutsche Messe“: Wenn dein Wille geschieht auch auf Erden

Berliner Erstaufführung: Stefan Heuckes „Deutsche Messe“ im Konzerthaus mit der Textübertragung von Norbert Lammert.

Wer wäre Martin Luther heute? Diese Frage stellt Monika Grütters an den Anfang ihrer Rede vor der Berliner Erstaufführung von Stefan Heuckes „Deutscher Messe“. In einem Punkt ist sich die Kulturstaatsministerin absolut sicher: Luther würde die Musikszene aufmischen. In der Tat steckt in dem Theologieprofessor, der vor 500 Jahren seine epochalen Thesen veröffentlichte, ein wacher Musikergeist, voller Demut und Leidenschaft. Unter Stirnrunzeln hätte er den Einleitungsworten gelauscht zu einer neuen Messe, die den lateinischen Text in einer Übertragung von Norbert Lammert zur Grundlage hat. Der Präsident des Bundestages wurde jüngst mit dem Jacob- Grimm-Preis ausgezeichnet, der Kulturpreis Deutsche Sprache ist eine seltene Ehrung für Politiker. Luther setzte aus Bildungsgründen stets auf Latein.

Gefördert aus Grütters’ Schatulle, fand sich eine Bochumer Trias zusammen, um eine abendfüllende Konzertmesse zu schaffen. Im Zentrum steht der Komponist Stefan Heucke, Jahrgang 58, ein überaus produktiver Musiker, vor allem im Revier geschätzt, aber auch als Composer in Residence in Bremerhaven gefragt. Die „Deutsche Messe“ ist sein Opus 80. Texte von Lammert, der in Bochum geboren wurde, hat Heucke auch schon einmal vertont. So fand eines zum anderen, das Deutsche Symphonie-Orchester gab offiziell den Auftrag für die Komposition und verpflichtete mit dem Bochumer Generalmusikdirektor Steven Sloane einen Heucke-Kenner als Dirigent. Schade eigentlich, dass dieses Pott-Pourri ohne die Unterstützung von Herbert Grönemeyer auskommen musste.

Bedeutungsschwangeres Drumherum

Der Katholik Lammert, als Bundestagspräsident zweiter Mann im Staate, Heucke, der komponierende Protestant, der Rundfunkchor Berlin, das DSO und ein Solistenquartett – derart üppig ausgestattet sollten die ökumenische Annäherung der Kirchen und ihr Beitrag für die kulturelle Identität gewürdigt sowie der reformatorische Geist beschworen werden. Ganz schön viel Staatsgottesdienst für eine säkulare Demokratie. Da muss man dem Komponisten beinahe dankbar sein, dass seine „Deutsche Messe“ so gründlich misslingt und das ganze bedeutungsschwangere Drumherum unter den grauen Wogen stumpf gedehnter Harmonien verschwindet. Verlassen ist Heuckes musikalisches Universum, in dem nie ein Lichtlein aufscheint und keine Stimme je zum Tragen kommt. Es will sich partout kein menschlicher Ton regen, obwohl es auf der Bühne von guten Musikern wimmelt, die hier arg unter ihren Möglichkeiten beschäftigt werden.

Heuckes in Marschgedonner vernarrte und dabei rhythmisch armselige Musiksprache kann vor allem mit dem Wort gar nichts anfangen. Man merkt es spätestens daran, wie die erfahrene Juliane Banse an ihrer Sopranpartie scheitert, die plötzlich Vokalisen fordert, als sei es ein Stück von Morricone. An keiner Stelle wird die neue deutsche Übertragung des Messtexts von der Musik erfasst oder ihr Sinn gar durch sie erweitert. Das ist umso betrüblicher, weil der Bundestagspräsident als Texter präzise und auch streitbar zu Werke geht. Die Phantasie des Komponisten berühren seine Worte nicht. Falls Heucke angesichts elementarer Glaubensfragen lieber unerkannt entkommen wollte, ist ihm zumindest das gelungen. Zurück bleibt Benommenheit, fern jenes Geistes, „der uns lebendig macht, und uns befähigt, zu erkennen und zu tun, was wir können und was wir sollen“, wie Lammert es treffend formuliert.

Von der Messe fernzubleiben, gilt in der katholischen Kirche noch immer als schwere Sünde. Es sei denn, man hat elementare Gründe vorzubringen. Heucke liefert sie gut 90 Minuten lang. Luther würde schäumen.

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