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Der Heimat beraubt. Stefan Zweig auf seiner ersten Brasilienreise 1936 (l.). Die „Schachnovelle“, sein berühmtester Text, erschien erstmals 1942 in Rio in dem Band „Drei Leidenschaften“ mit zwei weiteren Erzählungen aus dem Nachlass.

©  Stefan Zwei Zentrum Salzburg

Stefan Zweig im Literaturhaus Berlin: Flucht in die Verzweiflung

Das Literaturhaus Berlin widmet sich in einer Ausstellung Stefan Zweigs letzten Lebensjahren im brasilianischen Exil - als „Schachnovelle“ und „Die Welt von Gestern“ entstanden.

Wer zurzeit durchs Literaturhaus Berlin spaziert, stößt auf eingerollte Teppiche und Umzugskisten mit gerahmten Fotos. Es sind Zeugnisse aus dem rastlosen Leben eines Menschen, der brutal seiner Heimat beraubt wurde. Zum 75. Todestag von Stefan Zweig präsentiert das Literaturhaus die kleine, aber materialreiche Ausstellung „Ich gehöre nirgends mehr hin“ zum Spätwerk des österreichischen Autors. Im Mittelpunkt steht sein bekanntestes Buch: Die „Schachnovelle“. Darin verarbeitet Zweig die traumatische Flucht vor dem Nationalsozialismus und den Verlust seines kulturellen Zuhauses Europa, für dessen Einheit der Pazifist kämpfte wie wenig andere.

Zweig wird 1881 als Sohn eines jüdischen Textilunternehmers in Wien geboren. Nach dem ersten Weltkrieg zieht er nach Salzburg. Zwei Tage, nachdem seine Wohnung im Februar 1934 von Polizisten durchsucht wird, flieht er nach London. Zusammen mit seiner Frau Lotte siedelt er, nachdem auch in England eine Invasion der Nazis droht, nach New York über. Von dort emigriert das Paar weiter, diesmal nach Brasilien – ihr letztes Heimatprovisorium. „Endlich ein Ruhepunkt für Monate“, schreibt Zweig, als sie im September 1941 das Häuschen in der Kaiserstadt Petrópolis beziehen, „und die Koffer werden eben auf langes Niemehrwiedersehen verstaut.“ Am 22. Februar – einen Tag, nachdem Zweig drei Typoskripte der „Schachnovelle“ in die Post gibt – nehmen sie sich mit einer Überdosis Veronal das Leben.

Vielfach vernetzter Kulturvermittler

Neben seiner herausragenden Rolle als Schriftsteller beleuchtet die Ausstellung auch den vielfach vernetzten Kulturvermittler, Übersetzer und Biografen Zweig. In übereinandergestapelten, prominent platzierten Kartons kommen Teile seiner Autografensammlung zum Vorschein: Manuskripte und Handschriften berühmter Intellektueller, die Zweig über Jahrzehnte akribisch sammelte. Die Exponate stammen aus der Nationalbibliothek Wien. Sie gehörten Kollegen und Zeitgenossen Zweigs wie Thomas Mann, Maxim Gorki oder Franz Werfel, mit denen er in regem Kontakt stand.

Die Schachnovelle spielt – wo sonst? – an Bord eines Passagierdampfers. Der missmutige, unsympathische Schachweltmeister Czentovich trifft in der Geschichte auf den Weltbürger und Wiener Finanzanwalt Dr. B. Dieser war einst nach Hitlers Einmarsch in Österreich von der Gestapo festgenommen und in Isolationshaft gesteckt worden. In einem Anfall von Verzweiflung stahl er einem Gestapo-Mann ein Büchlein aus der Manteltasche: ein Sammelwerk von Meisterpartien der Schachgeschichte. Dr. B. hat die Partien im Buch wie ein Verrückter rauf und runter memoriert und schließlich gegen sich selbst gespielt – es war der einzige Ausweg aus der wahnsinnig machenden Folter des Nichtstuns, mit der ihn die Gestapo-Leute monatelang marterten. Ergebnis: Auf dem Schiff schlägt er schließlich den Schachweltmeister.

Die „Schachnovelle“, sein berühmtester Text, erschien erstmals 1942 in Rio in dem Band „Drei Leidenschaften“ mit zwei weiteren Erzählungen aus dem Nachlass.
Die „Schachnovelle“, sein berühmtester Text, erschien erstmals 1942 in Rio in dem Band „Drei Leidenschaften“ mit zwei weiteren Erzählungen aus dem Nachlass.

©  Stefan Zwei Zentrum Salzburg

In der Ausstellung liegt in einer Vitrine ein Prospekt des Linienschiffs Conte di Savoia aus, auf dem Zweig und seine Frau gereist sind. Die aufgeschlagene Seite zeigt den Rauchersalon: Ein länglicher, mit kleinen runden Tischen bestückter Raum, von dem sich Zweig wohl für seine Schachspielerszenerie inspirieren ließ. In unmittelbarer Nähe davon ist die Originalausgabe der „Hypermodernen Schachpartie“ des Russen Sergej Tartakower ausgebreitet. Das Lehrbuch, 1924 veröffentlicht, diente Zweig als Vorlage. Aus ihm kopierte er die Schachpartien, die die beiden Protagonisten an Bord ausfechten. Sorgfältig recherchierte Details wie diese sind ein Highlight der Ausstellung.

Am Rande Erwähnung findet – in Form der deutschen Filmadaption von 1960 oder exemplarischen Übersetzungen – die mächtige Wirkungsgeschichte der Novelle. Zweig, der von seinen Kollegen oft als seichter Massenliterat herabgewürdigt wurde, zählte nach dem Krieg zu den meistgelesenen Autoren – nicht zuletzt, weil seine Bücher bis heute als Schullektüre Verwendung finden. Hintergründe zur Rezeption von Zweigs Werk durch Schriftstellerkollegen, Feuilleton und Literaturwissenschaft fehlen hingegen völlig – einziger Wehrmutstropfen in der ansonsten sehr vielseitigen Ausstellung. 

Sinnsuche eine Flüchtlings

Zweigs Beziehung zu Brasilien, auch das ist Thema. Der Schriftsteller verfasst 1941 ein Buch mit dem Titel „Brasilien. Ein Land der Zukunft“, für das er von führenden brasilianischen Intellektuellen scharf angegangen wird. Zu einseitig sei seine Lobhudelei auf das Land, das ihn tief begeisterte, zu unkritisch stehe er dem diktatorisch regierenden Präsidenten Getúlio Vargas gegenüber. Diese Kritik hat den empfindsamen Zweig hart getroffen.

Seine letzten Lebensjahre im brasilianischen Exil hat zuletzt der Film „Von der Morgenröte“ (2016) von Maria Schrader wunderbar plastisch gezeigt. Es war die Zeit, in der Zweig ein weiteres Werk beendet: seine autobiografischen Aufzeichnungen „Die Welt von Gestern“. In diesen Memoiren flüchtet er sich in die Erinnerung an ein längst vergangenes Europa. Zweig, der den ersten Weltkrieg miterlebt hat und am zweiten zugrunde ging, widmet sich hier seinem längst vergangenen Treiben als junger Schriftsteller im Wien der Belle Époque. Das Buch ist aber alles andere als naiver Eskapismus, vielmehr Teil der Sinnsuche eines Flüchtlings. Eine Suche, die aus dem Exil fragt, wie es so weit kommen konnte. Das scheint heute gegenwärtiger denn je.

Literaturhaus Berlin, noch bis 24.9.

Ken Münster

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