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Grenzgänger. Sten Nadolny in seiner Wohnung in Berlin.

© dpa / picture alliance / Maurizio Gamb

Sten Nadolnys „Das Glück des Zauberers“: Durch das Netz, durch die Wand

Seltsam: In Sten Nadolnys Alterswerk „Das Glück des Zauberers“ erteilt ein Magier seiner Enkelin altkluge Ratschläge und sinniert über 3-D-Drucker.

Es gehört zum literarischen Charme von Stan Nadolnys Büchern, dass sie oft die Grenzen von realer Geschichte und fantastischen Möglichkeiten abschreiten. Ob in „Ein Gott der Frechheit“ der Götterbote Hermes die Gegenwart aufmischt oder in „Weitlings Sommerfrische“ ein pensionierter Richter eine Zeitreise antritt: Raum und Zeit scheinen für diesen Schriftsteller keine unüberwindbaren Größen zu sein. Mit einem leichten, oft ironischen Tonfall erzählt Nadolny erstaunlichste Dinge, und so verlieren die grausamsten Zeitläufte ihre vermeintlichen Zwangsläufigkeiten. Wer diese Romane liest, wird sich darüber Gedanken machen, dass alles auch anders hätte kommen können. Insofern ist Nadolny im besten Sinne ein literarischer Traumtänzer.

Der 1942 geborene Schriftsteller betrat 1980 die literarische Bühne: Damals gewann er den Bachmann-Preis mit einem Auszug aus seinem Roman „Die Entdeckung der Langsamkeit“, der zu einem internationalen Bestseller wurde. Angelehnt an das Leben des Polarforschers John Franklin beschreibt dieser den Werdegang eines Menschen, der langsamer ist als der Rest der Welt und gerade deshalb ein berühmter Kapitän und Entdecker wird. Das Preisgeld übrigens teilte Nadolny unter sämtlichen Teilnehmern auf, um, wie er sagte, „den Wettbewerb zu entbittern“. Eine sympathische Geste.

In seinem neuen Roman „Das Glück des Zauberers“ unternimmt er nun den Versuch, die traurig-komische Welt des Zauberers Pahroc zu erzählen. Dieser will als 106-Jähriger nicht nur Lebenserfahrungen, sondern auch seine Zauberkunst an die Enkelin Mathilda weitergeben. Pahroc blickt auf ein Jahrhundert der Kriege und Verbrechen zurück und schreibt Briefe, die von einem Überleben erzählen, das nur mit List zu meistern war. Ein Briefroman also, der keineswegs die Anleitung zu echten Zaubertricks enthält: „Bevor ich zum richtigen Fliegen komme, nochmals mein dringender Rat: Halte Deine Zauberkräfte geheim, genauer gesagt, halte immer geheim, dass Du es warst, die hier oder dort gezaubert hat! Mache da keine Ausnahmen, erzähle keinem noch so befreundeten Menschen davon, außer Du bist sicher, dass er Zauberer ist. Lass Dich nicht erwischen!“

Für wen ist dieser Text geschrieben?

Der Zauberer Pahroc wird weder das richtige Fliegen erklären noch das echte Unsichtbarwerden. Vielmehr geht es um eine Lebensschule und eine Weltsicht, zu der das Flunkern zur Entzauberung von Gegenwart und Vergangenheit beiträgt. Die großen Zumutungen wie etwa der Nationalsozialismus sind in der Gauklerperspektive natürlich viel besser zu ertragen – das haben wir in zahlreichen Filmen von Chaplin bis Benigni gelernt. Allerdings offenbart sich in diesen Passagen das Erzählproblem von Nadolnys Roman: Weder formal noch inhaltlich erfahren wir Neues über die Zeit des großen Diktators, und der naive Onkelton des Briefeschreibers, der freilich zu den Guten gehörte, ist angesichts des bekannten Grauens zuweilen kaum zu ertragen: „Auch ich konnte die Armhochreißer nicht leiden, und ich hatte Sorge, dass ihr Idol, der Mann mit dem rechteckigen Nasenbart, Kanzler werden könnte. Aber dazu kam es dann doch: Reichspräsident Hindenburg, inzwischen der hölzernen Statue vom Königsplatz auch im Inneren seines Kopfes ähnlicher, ernannte den Finsterling zum Regierungschef.“

Spätestens an dieser Stelle fragt man sich: Für wen ist dieser Text geschrieben? Handelt es sich um einen Roman für die Altersgruppe der jungen Adressatin Mathilda? Besonders altbacken und literarisch belanglos wird es, wenn es um die moderne Technik geht. „Ich würde gern Solarzellen erleben, die hundertmal besser Energie gewinnen als die heutigen, und Akkus, die viel leichter sind und viel mehr speichern können als jetzt. (...) In Deiner Zeit, Mathilda, wird das Leben leichter sein, unvorstellbar leicht für unsere heutigen Begriffe. Ich habe erst vor wenigen Jahren herausgefunden, wie das World Wide Web technisch funktioniert, und erst vor Kurzem einen 3-D-Drucker gesehen – unheimlich ist er mir immer noch, aber er fasziniert mich.“

Herzenswärme und Kinderstaunen gegen die böse Welt

Was für eine seltsame Figur! Einerseits erzählt sie davon, durch Wände gehen zu können. Andererseits ist sie vom Internet begeistert wie ein Kind, aber vielleicht wird man dazu wieder mit 106 Jahren. Pahroc hat sich in diversen Berufen behaupten müssen, um seine wachsende Familie zu ernähren. Er war Radiotechniker, Küster, Psychotherapeut. Aber die Zauberei blieb seine Leidenschaft – auch wenn sich die Frage stellt, ob die Zauberer-Biografie nicht selbst Hokuspokus und die Figur ein Hochstapler ist.

Doch sind seine altklugen Ratschläge ernst gemeint. Beliebig und deshalb schwer erträglich sind des Zauberers Sentenzen zur Liebe. Dass man auf die Stimme hören solle, dass jeder Mensch der Richtige sein könne, und ach, dass die „Liebe, wenn sie es wirklich ist, (…) vorgefasste Kriterien“ hinwegfege. Wenn ein Großvater, der aus einem anderen Jahrhundert kommt, derlei Weisheiten von sich gibt, wäre man auf die Reaktion der selbstbewussten Enkelin gespannt. Aber so ungebrochen wie hier sind sie bloß Kitsch. Die Welt ist böse – dagegen gilt es Herzenswärme und Kinderstaunen zu setzen. Sten Nadolny reduziert seinen literarischen Anspruch darauf, schalkhaft allgemeine Lebensweisheiten zu beschwören und als Zauberei zu verkaufen. Dieses Alterswerk des literarischen Retters der Langsamkeit ist selbst bei einer Lektüre im Schneckentempo leider eine Enttäuschung. Carsten Otte

Sten Nadolny: Das Glück des Zauberers, Roman, Piper, München 2017, 320 S., 22€.

Carsten Otte

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