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Kultur: Stich und Faden

Egal, wie häufig in der Kunstwelt gehäkelt, gestrickt oder gestickt wird: Das Klischee vom unbedarften Heimwerkeln werden die Handarbeiten nur selten los. Wenn es gut geht, spielt die Kunst mit diesem Klischee.

Egal, wie häufig in der Kunstwelt gehäkelt, gestrickt oder gestickt wird: Das Klischee vom unbedarften Heimwerkeln werden die Handarbeiten nur selten los. Wenn es gut geht, spielt die Kunst mit diesem Klischee. Heute Abend eröffnet eine Ausstellung, die neben dem Strich auch dem Faden huldigt: Die Hamburger Galerie Dörrie + Priess , die seit letztem Herbst ihre Künstler auch in einer Berliner Dependance präsentiert, zeigt unter dem Titel „Leichter Wind von Osten“ Stickbilder von Martin Löffke (Yorckstraße 89a; bis 4. März, Eröffnung 18 – 21 Uhr) . Der Hamburger Künstler bringt mit farbenfrohen Plattstichen Figuren, Texte und Blumen auf grobe Nessel-Leinwände (1400 – 4800 Euro). Himmelstürmende Ritter trotzen ihrer traurigen Gestalt, eine Badende schaut seltsam enttäuscht, während rührend deformierte Tiere so tun, als sei alles in Ordnung. Um die Stickereien herum malt Löffke Flächen, die den Bildern Tiefe geben, indem sie Landschaften andeuten – oder sind es vielleicht doch eher knallbunte Spielecken in Kindergärten? Durch die so ausbalancierte Leinwand und durch ihre Farbenfreude wirken die Arbeiten geradezu sommerlich. Bildtitel wie „Komisch – ich mag Briefmarken wieder unheimlich gerne“ bringen den verdrehten Witz auf den nicht existenten Punkt. Nicht zuletzt sorgen die Stickereien in ihrer unbekümmerten Ausführung für gute Laune, denn jeder Stich scheint zu sagen: Perfektion liegt nicht in der Beherrschung einer Technik. Tröstlich.

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Die 26-jährige Brasilianerin Silvia Marzall , die in Kürze ihr Studium an der Berliner Universität der Künste beenden wird, nimmt ihre Arbeit wörtlich und macht Hände zum Motiv ihrer Handarbeit. Die Konturen-Stickereien, die sie in der Galerie Schmidt (Max-Beer-Straße 13; bis 4. Februar) zeigt (220 – 520 Euro), zitieren Illustrationen aus Gebrauchsanweisungen. Marzall blendet allerdings in ihren Montage-Darstellungen die zu montierenden Gegenstände aus und konzentriert sich auf die Hände, wie sie greifen, hebeln, tun und machen. Sie verknüpft mit ihren Steppstichen Mensch und Technik, zeichnet Querschnitte von Köpfen, Körpern und Kabeln, die wie Arterien aussehen. Die Textilbilder wirken unfertig und selbstbewusst. Der Eindruck, dass sie nicht mehr als eine „gestickte Versuchsanordnung“ seien wollen, wird unterstützt durch die Trägermaterialien Nessel, Filz, leuchtender Arbeitswesten-Stoff, Plastik und Kunststoff. Der Betrachter verliert dabei manchmal den Faden. Aber das gilt ja fast immer für Gebrauchsanweisungen.

Daniel Völzke

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