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Kultur: Sticht der Trumpf?

Künstlerhaus Bethanien: Stephen Waddell im neuen SchauraumVON PETER HERBSTREUTHNun hat das Berliner Künstlerhaus Bethanien doch die Kurve genommen.Ab jetzt betreibt es den Schauraum "Kreutzer & Stutzig" in der Tucholskystraße 36 in den ehemaligen Räumen der Galerie Wohnmaschine und verstärkt damit die Flotte der Galerien und Kunstvereine im Bezirk Mitte.

Künstlerhaus Bethanien: Stephen Waddell im neuen SchauraumVON PETER HERBSTREUTHNun hat das Berliner Künstlerhaus Bethanien doch die Kurve genommen.Ab jetzt betreibt es den Schauraum "Kreutzer & Stutzig" in der Tucholskystraße 36 in den ehemaligen Räumen der Galerie Wohnmaschine und verstärkt damit die Flotte der Galerien und Kunstvereine im Bezirk Mitte.Als erster Künstler gastiert Stephen Waddell, Stipendiat der Stuttgarter Akademie Schloß Solitude, mit der zusammen das Künstlerhaus den Schauraum betreibt.Ob das Bethanien durch die Expansion aus der Kurve fliegt, ist noch offen.Die Leiter haben sich nach den Kürzungen öffentlicher Mittel lediglich ins Krisenmanagement eingearbeitet..Als Rettungsboje hatte das Künstlerhaus bereits letzten Herbst auf dem Art Forum eine Werbekoje eingerichtet - mit einem waagrecht von der Wand abstehenden Künstler (Johannes Lorbeer) als Mauerfeger in grellem Overall. Anfang 1997 noch sprachen die Macher des Künstlerhauses von einer drohenden Schließung.Davor hatten sie schon gewarnt, als das Unternehmen Philip Morris mit einem fünfstelligen Betrag beisprang.Tollkühn spielte man die letzte Karte aus: Entweder bewilligt der Senat die Projektmittel, oder die Gesellschaft muß Vergleich anmelden, um einen Bankrott zu vermeiden.Das Geld vom Senat kam nicht.Und Bethanien expandiert. Das Haus zeigt keine Leuchttürme etablierter Kunst, dafür Ausstellungen von Künstlern, die Zukunft haben.Sie sind seine Trümpfe.Bei kurzsichtigen Kulturpolitikern stechen sie freilich nicht.Förderungen an der Produktionsbasis sind unspektakulär.Der Subventionsmaßstab orientiert sich an Besucherzahlen und Medienresonanz.Deshalb steht das Künstlerhaus seit einigen Jahren immer mal wieder vor dem Aus.Damit zahlt das einstige Berliner Flaggschiff für junge Kunst auch den Preis der fetten Jahre, als man reichlich Personal eingestellt hatte.Würden entbehrliche Kräfte entlassen, um Kosten zu drosseln, wäre die GmbH außerstande, Abfindungen zu bezahlen.Heute, da Kapitäne mit wendigen Booten gefragt sind, erscheint das Bethanien wie ein Kahn, der so schwer an sich selbst trägt, daß er kaum andere tragen kann. Würde er abgewrackt, wer würde ihn vermissen? Zunächst die Kulturabteilungen Australiens, Finnlands, Neuseelands, der Niederlande, Norwegens, Rußlands, Schwedens, der Schweiz, Taiwans, der Ukraine.Sie entsenden Stipendiaten und bezahlen einen Teil der Atelier- und Betriebskosten.Der Senat könnte sagen: Wer in die Stadt kommt, wird dafür nicht mehr bezahlt; wir lassen es darauf ankommen, ob die totale Kostenübernahme zu Lasten der Länder machbar ist, und orientieren uns am renommierten New Yorker PS 1 Stipendium.Damit wären die üblichen Gesetze der Gastfreundschaft außer Kraft gesetzt.Und Berlin würde mit Weltoffenheit kleinkarierte Geschäfte machen.Denn die Künstler kommen nicht mit leeren Händen.Und es sind keine Leichtgewichte mehr, die das KHB zusätzlich zu den Länderstipendiaten selbst beruft. Kein Künstlerhaus in Deutschland verspricht so hohen Aufmerksamkeitswert, daß auch Fehlschläge ins Gewicht fallen.Deshalb will das Stuttgarter Künstlerhaus Solitude den Schauraum in der Tucholsky-/Ecke Auguststraße mit dem Bethanien - hier haben seit Gründung 1974 über 400 Künstler aus 30 Ländern gearbeitet - gemeinsam betreiben.Die Idee: je mehr Kooperationspartner, desto komplizierter die Schließung. Ende dieses Jahres wird das renovierte Gebäude der Kunst-Werke wiedereröffnet.Seine Macher werden alles daran setzen, um den Komplex aus Ausstellungsräumen, Café, Ateliers, Apartments als Vorbild-Forum zeitgenössischer Kunst zu etablieren.Bislang wurde Kunst-Werke kurzgehalten - doch ihre Expansion dürfte bei den Zuwendungen neue Prioritäten setzen.Um im Verteilungskampf nicht unterzugehen, setzt das Künstlerhaus auf vernetzende Expansion und langfristige Länderverträge.Der Schauraum soll mit Sponsorenhilfe als Infobox und Vorposten im amüsantesten Kunstviertel der Stadt die Flaggen der beiden Künstlerhäuser zeigen und bringt gegenüber anderen mittleren Institutionen (NBK, NGBK, Haus am Waldsee) eine weitere Differenz ins Spiel, die der Identität des Hauses dient. All dies verschärft die Konkurrenz.Und es ist offen, wer versenkt wird.Gewiß ist nur, daß allein in Städten, wo der Mittelbau gesund gedeihen kann, das Klima vital bleibt.Daß erst Budgetkürzungen einige aus ihrer Routine geweckt haben, war eine erfreuliche Nebenwirkung.Künstlerhäuser erfüllen aber nur dann ihre Aufgabe, wenn sie fördern, was Strahlkraft erst gewinnen soll.Sie brauchen Risikokapital.Und sie verfehlen ihren Auftrag, wenn sie auf Besucherzahlen spekulieren. Der neue Schauraum ist ein Zugeständnis an die Politik des direkten Erfolgs.Deshalb wird man auf die Eröffnung mit einem lachenden und einem weinenden Auge anstoßen: willkommen in Mitte. Kreutzer & Stutzig, Tucholskystr.36, bis 9.Mai; Mittwoch-Freitag 15-19 Uhr, Sonnabend 12-17 Uhr.

PETER HERBSTREUTH

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