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Kultur: Stilblütenmöbel

Bloß keine Müdigkeit vorschützen auf der Suche nach heißer Ware. Und nicht hinsetzen!

Bloß keine Müdigkeit vorschützen auf der Suche nach heißer Ware. Und nicht hinsetzen! In der Galerie Kunstagenten könnte das gefährlich werden. Erstens für die Kunst: Wer auf den von Thorsten Brinkmann an die Wand montierten Ledersesseln Platz nehmen wollte, würde die Sperrmüll-Assemblage aus rotbraunem Ledersofa und quadratischen Sitzpolstern von der Wand reißen (14 500 Euro). Zweitens riskiert der Besucher ein gebrochenes Steißbein, wenn er sich auf jenen verkohlten Stuhl-Torso mit bloß noch drei Beinen setzt, den Brinkmann aus einer verbrannten Imbissbude gezogen hat und den er demnächst konservatorisch behandeln will (Preis auf Anfrage). Brinkmann betreibt Installationskunst im Geiste des Duchamp’schen Readymades. Er selbst tritt auf performativen Fotos in Erscheinung. Immer maskiert, weil ihm Brotkästen oder Lampenschirme wie Helme auf dem Kopf sitzen. Manchmal scheint der ganze Mann zum Stilblütenmöbel zu erstarren (bis 29.4., Linienstraße 155).

Zwanzig Stühle stehen säuberlich gereiht bei Schürmann Berlin , auf Lehnen und Sitzflächen sind Texte eingraviert. Zeilen, die mal mit dem lesenden Gegenüber flirten – „Du zu mir/Ich zu Dir“ –, mal einen fast beschwörenden Gestus annehmen: „Dir ist klar: Ich bin es“. Klar wird in dieser Arbeit des Konzeptualisten Thomas Locher : Es geht weniger ums Mobiliar als um Sprache und ihre Macht. Die politische Dimension ist mitgedacht. Da hilft kein Aussitzen, denn man kann – weil Locher es so will – nicht weiter als bis zum Schaufenster, hinter dem der Aachener Wilhelm Schürmann Unverkäufliches aus seiner Privatsammlung zeigt (bis 26.5., Weydingerstraße 10).

Geometrisch konstruierte Illusion ist der Stuhl, mit dem Jan Mancuska in einer Gruppenausstellung bei Magnus Müller Fragen aufwirft (Preis auf Anfrage). Der „Stuhl“ besteht aus einem flächigen, aus Hölzern zusammengesetzten Bild an der Wand und einem „Stuhlschatten“, den ein Beamer auf den Boden der Galerie projiziert, obwohl der Schatten scheinbar aus dem Bild ragt. Mancuska hat das Projektionsbild so manipuliert, dass sich der Schattenriss zeitweise bewegt und zu „atmen“ scheint – und deutet damit an, dass es eine Hierarchie der Täuschungen gibt. Der eine Fake ist besser gefälscht und wirkt damit echter als der andere.

Um die Politik der Bilder und mediale Manipulation dreht es sich in dieser ambitionierten Schau, in der neben Mancuska auch Liam Gillick und Olafur Eliasson ausstellen (bis 26.5., Weydingerstraße 10). Im Titel „The Re-distribution of the Sensible" klingt schon die Komplexität des Begleitschreibens von Kurator Warren Neidich an. Im Vorübergehen kann man das nicht lesen. Also doch: besser hinsetzen.

Jens Hinrichsen

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