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Kultur: Stille Kämpfe, einsames Sterben Eine Ausstellung über Aids in der NGBK

Links ein Plakat mit Pärchen, die sich küssen, darunter ein Männerpaar. Rechts eine Leinwand mit echtem Sperma.

Links ein Plakat mit Pärchen, die sich küssen, darunter ein Männerpaar. Rechts eine Leinwand mit echtem Sperma. Gran Furys Plakat und Martin von Ostrowskis Gemälde stammen aus den achtziger Jahren. Aufsehen erregten damals jedoch weder Kuss noch Sperma. Seit den sechziger Jahren ist die künstlerische Verwendung von Körperflüssigkeiten kaum noch spektakulär, die Schwulenszene prägt den öffentlichen Raum stärker als früher. Provokant dagegen: Bei dem Sperma handelt es sich um Ejakulat eines HIV-Infizierten, und auf dem Plakat prangen die Worte: „Kissing doesn’t kill“. Beide wollen der Krankheit Aids das Stigma nehmen, die Betroffenen entdiskriminieren. Die Leute sollen hinsehen.

Genau das verlangt auch die Ausstellung „Love Aids Riot Sex“ in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK). Der jetzt eröffnete Teil I widmet sich dem ersten Aids-Jahrzehnt zwischen 1987 und 1995. Ab kommendem Januar sollen die nachfolgenden Jahre beleuchtet werden. Bereits 1988 hatte sich das NGBK-Ausstellungsteam „Realismusstudio“ mit den sozialen Implikationen von HIV und Aids beschäftigt. Erstmals zeigten die Ausstellungsmacher offensiv Gesichter. In jenen Jahren breitete sich die Krankheit rasant aus. Angst ging um, Homosexuelle, Prostituierte und Drogensüchtige wurden stigmatisiert, die Diagnose Aids war ein Tabu.

25 Jahre später ist das Anliegen gleich geblieben. „Love Aids Riot Sex I“ zeigt die damalige gesellschaftliche Haltung. Die beiden Fotografen Nan Goldin und Aron Neubert porträtieren schonungslos die Patienten: ihre leeren Blicke, abgemagerten Körper, blutunterlaufenen Augen. Die Bilder sind ein Ausdruck von Hilflosigkeit, ein Versuch, jemanden festzuhalten, der nicht mehr zu halten ist. Auf fast allen Bildern sind die Kranken allein zu sehen, kein Freund, kein Angehöriger steht an ihrer Seite. In den 80er Jahren war Aids nicht nur ein aussichtsloser, sondern auch ein einsamer Kampf.

Piotr Nathan verarbeitete diese Ausgeschlossenheit 1991 in einer Installation, die in beiden Teilen der Ausstellung zu sehen sein wird. Ursprünglich formten Keramikscherben einen Urinfleck seines an HIV verstorbenen Freundes nach. Die Bruchstücke wurden nun hinter eine Wand gekehrt, versteckt wie die Krankheit. Wie sieht das Leben Aids-Kranker heute aus? Die Medikamente haben sich verbessert, aber ein Heilmittel gibt es nicht. Aktionen wie der Welt-Aids-Tag und das Engagement Prominenter haben die Krankheit öffentlich gemacht.

Trotzdem infizieren sich in Deutschland 2500 bis 3000 Menschen neu pro Jahr. Können sie wirklich offen über ihre Erkrankung reden? Im zweiten Teil von „Love Aids Riot Sex“, dreißig Jahre nach dem Ausbrechen der Epidemie, werden Nathans Scherben erneut zu sehen sein. Nur werden sie ihre ursprüngliche Anordnung auch dann nicht wieder gewonnen haben. Stella Marie Hombach

Neue Gesellschaft für bildende Kunst, Oranienstr. 25, bis 5.1.; So bis Mi 12 – 19 Uhr, Do bis Sa 12 – 20 Uhr

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