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Meister der Kunstpause: Helmut Schmidt.

© dpa

STILLE Zeit (5): Verstehen braucht die Pause

Stille Nacht und die Folgen: Die Feiertage zwischen den Jahren mögen von Festen und anderen Turbulenzen heimgesucht werden, man nennt sie trotzdem die stille Zeit. Bis Silvester erkunden wir deshalb an dieser Stelle das Phänomen der Stille. Diesmal: die Kunstpause.

Wir sehnen uns nach ihr, obwohl sie unerträglich werden kann. Wir vertreiben sie und werden doch immer nur bedürftig nach ihr. Unser Verhältnis zur Stille ist zutiefst ambivalent. Vielleicht, weil wir ahnen, dass es sie gar nicht gibt. Vor knapp zwanzig Jahren haben Wissenschaftler herausgefunden, dass die Erde unaufhörlich brummt. Die Wellen der Ozeane und die Turbulenzen in der Atmosphäre verwandeln unseren Planeten in einen gewaltigen Klangkörper. Wir können ihn nicht hören, weil er unterhalb unseres schmalen Hörfensters vor sich hin brummt. Doch von der Vorstellung, Stille in der Natur zu finden, müssen wir uns verabschieden.

Stille ist Kultur, ein von Komponisten und Autoren geschaffener Raum, der von Musikern, Schauspielern und Rednern beherrscht wird. Ihnen verdankt sich auch der Begriff der Kunstpause, der ursprünglich auf den wirkungsvollen Umgang mit der Stille etwa in einem Vortrag verwies. Leider benutzt man dieses wunderbare Wort kaum noch, und wenn, dann mit einem genervten Unterton. Die Kunst ist verschwunden, das Gekünstelte übrig geblieben. Die Rhetorik der Stille wird vom Sturzbach des Immerweitertönens hinweggerissen. Die Vertreter der öffentlichen Rede senken ihre Stimme am liebsten gar nicht mehr, weil sie keinen Zentimeter Raum freigeben wollen – nicht für Nachfragen, nicht für Erwiderungen. Damit nehmen sie aber auch ihren eigenen Worten jeglichen Nachhall. Denn das Verstehen braucht die Pause, eine kunstvoll gesetzte Stille. Bleibt sie aus, verlieren wir die Orientierung – und fallen dem Pessimismus anheim.

Ohne Stille kein Bewusstsein

Wie der Philosoph Theodor Lessing, dessen 1908 gegründeter Anti-Lärm-Verein beklagte, dass Lärm sich in „jene allmenschlichen Neigungen“ einreiht, „die die beständige Übertäubung des stummen, bewusst denkenden Geistes unterhalten, die den fortwährenden Rauschzustand des Gesellschaftslebens fortschreiben“. Ohne Stille kein Bewusstsein. Inmitten des medialen Grundrauschens stehen wir vor einer Herausforderung, die wir ohne den Beistand großer Pausenkünstler wie Helmut Schmidt meistern müssen. Der äußerte sich gerne zu beinahe jedem Thema, seine Autorität verdankte sich zu einem nicht geringen Teil der Beherrschung von Stille. Klavierspielen schien dabei hilfreich zu sein.

Welche Macht die vom Aussterben bedrohte Kunstpause hat, zeigt der neue StarWars-Film „Die letzten Jedi“. Er enthält eine Szene, in der die Tonspur für zehn Sekunden komplett still ist, obwohl die Bilder auf der Leinwand weiterlaufen. Die radikalste Methode, Aufmerksamkeit zu erringen – platziert von jenen, die den endlosen Sounderguss ins Kino brachten. Die amerikanische Multiplex-Kette AMC klärt ihre Besucher vorsorglich über den Schockeffekt auf: „Dies wurde vom Regisseur absichtlich so gemacht, um einen kreativen Effekt zu erzielen.“

Bisher erschienen: „Stille Nacht“ und die Stille des Schnees (24.12.), die Stille in der Poesie (27.12.), das Stillleben (28.12.), Hören lernen in Venedig (29.12.)

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