zum Hauptinhalt

Kultur: Stimmbeben

Hör-Ausstellung: Dichter in Tondokumenten

Als Ingeborg Bachmann am 13. November 1961 im Berliner Kongresszentrum ihr Gedicht „Exil“ las, wurde das Publikum Zeuge einer Selbstauslieferung. Mit stockender Stimme trug die 35-Jährige ihre Worte vor, sich von Wort zu Wort hangelnd, nur in der Färbung der Vokale lag so etwas wie Bodenhaftung. Die Fernsehaufzeichnung fügt der Stimme ein Gesicht mit bebenden Augenlidern hinzu, eine Redundanz. Allein in der Stimme liegt die Verfassung der Autorin bloß, die Stimme ist die Signatur der Seele.

Die Ausstellung „Anna Blume trifft Zuckmayer“ im Rahmen des Berliner Poesiefestivals stellt eine reiche Auswahl solcher akustischer Zeugnisse vor. Mehr als 60 Dichter kommen zu Wort. Die Kuratoren Stefan Bertschi und Ingo Starz gingen dabei weder chronologisch noch hagiographisch vor. Vor allem wollten sie keiner „Romantisierung“ Vorschub leisten. Wo der Schriftsteller seine Stimme erhebe, glauben sie, sei er Mitglied der Gesellschaft, nicht vereinzeltes Künstler-Ich. Die Ausstellung stellt die Stimme deshalb in eine „Sprechsituation“, sei es die „Lesung“, die „Politische Rede“, „das Interview“ oder der „Radioessay“.

Die „Sprechsituation“ bekommt in der Ausstellung jeweils ein Gehäuse – einen begehbaren weißen Kubus aus Styropor, in dem die Dokumente per tragbarem Kassettengerät gehört werden können. Das Konterfei des jeweiligen Autors ist in Schwarz-Weiß-Aufnahmen zu sehen – deutlich abgesetzt vom allgegenwärtigen Porträt des Schriftstellers als Star. Erfahrbar wird auch die Kraft der Stimme als Instrument der Meinungsbildung, sei es in Thomas Manns Rede an die Deutschen von 1942 oder der Kommentar von Niklaus Meienberg zum Fall der Stadt Srebrenica 1993. Stilistisch brillant und mit jener Art Trauer in der Stimme, der die Aufregung schon lange abhanden gekommen ist, rückt der Schweizer Autor die Gräuel in Bosnien unmittelbar an den Zuhörer heran. Im Fall von Martin Walsers Rede in der Paulskirche in Frankfurt zeigt sich allerdings auch die destruktive Wirkung einer Stimme. Mehr als das geschriebene Wort allein es vermocht hätte, war es der sich ereifernde Tonfall Walsers, der zur öffentlichen Erregung führte.

Salon im Café Einstein, Kurfürstenstraße, bis 25. 6., täglich 11–19 Uhr.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false