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Kultur: Stirb nie!

Agent des Zeitgeistes: Werner Greve erklärt die gesellschaftliche Bedeutung von James Bond.

Wir leben in postheroischen Zeiten. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist das Konzept des Helden in die Krise geraten. Militärischer Ruhm gilt in modernen Zivilgesellschaften als anrüchig, Fliegerasse und Frontkämpfer haben als Identifikationsfiguren ausgedient. Doch einen Held hat die westliche Welt immer noch: James Bond. Seit fünfzig Jahren rettet der Geheimagent im Auftrag ihrer Majestät immer wieder die Welt vor dem Untergang. Er jagte Dr. No, Goldfinger und Octopussy, kämpfte gegen Kommunisten, Waffenhändler, Diktatoren oder die „G.O.F.T.E.R“ (Geheimorganisation für Terrorismus, Erpressung und Rache). Der 23. Bond-Film „Skyfall“, der unter anderem in Südafrika, Indien, China und der Türkei gedreht wurde, kommt am 1. November in die deutschen Kinos.

James Bond sei „nicht einfach nur ein populärer Held, sondern ein Held im emphatischeren Sinne des Wortes – wie Siegfried oder Achilles es einst waren“, konstatiert Werner Greve in seinem Buch über den „Agenten des Zeitgeistes“, das pünktlich zu dessen 50-jährigen Leinwandjubiläum erscheint. Zu dieser archaischen Form des Heldentums gehört, dass Bond im Dienst höherer Ideale agiert, sich dabei auf seine eigene Willenskraft verlässt und keine Skrupel kennt. Als er in „GoldenEye“ (1995) gefragt wird: „Können alle Martinis die Schreie der Getöteten übertönen?“, zuckt er nur mit den Achseln. Bond ist kein Grübler, das unterscheidet ihn von den gebrochenen Helden aus Filmen wie der „Bourne“- oder der „Stirb langsam“-Serie.

Greve, der an der Universität Hildesheim Psychologie lehrt, ist bekennender Bond-Fan und versucht trotzdem, das Phänomen mit wissenschaftlicher Distanz zu betrachten. Seine Begeisterung für das Thema entstand, als er Ende der siebziger Jahre in einem Kino am Berliner Kurfürstendamm alle bis dahin entstandenen Bond-Filme in chronologischer Reihenfolge sah. Überraschenderweise habe sich damals bei ihm „keine Langeweile, nicht einmal Ermüdung“ eingestellt. Von Bond, davon ist er überzeugt, lässt sich etwas lernen. Die Filme seien „nicht nur in den offensichtlichen (Mode, Technik, Politik), sondern auch in den weniger offensichtlichen Punkten sozialen Miteinanders höchstsensible Messinstrumente des Zeitgeistes“.

James Bond ist ein Kind des Kalten Krieges. Erfunden wurde er von dem britischen Schriftsteller Ian Fleming, der im Zweiten Weltkrieg für den Geheimdienst gearbeitet hatte und von 1953 bis zu einem Tod 1964 zwölf Bond-Romane schrieb. Dabei legte er großen Wert auf die möglichst präzise Beschreibung der Dinge, die den Geheimagenten umgeben, seine Getränke, Zigaretten, Kleidungsstücke, Autos und Waffen. Dieser Oberflächenrealismus gilt als „Fleming-Effekt“ und bildete die Grundlage für das Product Placement der Filme. Schon bald nachdem der Produzent Albert R. Broccoli im Herbst 1962 „James Bond jagt Dr. No“ ins Kino gebracht hatte, begann eine „Bondomanie“. 1965 lag unter neun von zehn amerikanischen Weihnachtsbäumen mindestens ein Bond-Accessoire. Bond gehört zu den stärksten Marken des 20. und 21. Jahrhunderts. Broccoli schätzte, dass weltweit jeder zweite Mensch wenigstens einen Bond-Film gesehen habe. Bis heute sollen die Filme mehr als vier Milliarden Dollar eingespielt haben.

Bond ist ein Hedonist, der Luxus sein Lebenselixier. Das Product Placement wurde oft kritisiert („Buy another day“), doch für Greve gehört es zur Identität der Filme: „Es macht Bond glaubhaft, realistisch, gegenwärtig.“ Denn wenn es all das, was der Agent trägt und trinkt, womit er fährt und feuert, tatsächlich gibt, dann muss es ihn selber wohl auch geben. Für Greve ist Bond ein Meister des „successful aging“, des erfolgreichen Alterns. Seine Anpassungsfähigkeit zeigt sich am Wandel der Gegner, gegen die er anzutreten hat. Anfangs entspricht das Gut/Böse-Schema noch den Fronten des Kalten Kriegs. „Dr. No“ ist ein Halbchinese, die Drahtzieher in „Liebesgrüße aus Moskau“ haben KGB-Kontakte, „Goldfinger“ kollaboriert mit fernöstlichen Kommunisten, um die Atombombe zu bekommen.

Später geht die Bedrohung von größenwahnsinnigen Privatpersonen aus, allen voran von Ernst Stavro Blofeld, der von „Feuerball“ bis „Diamantenfieber“ gleich in vier Filmen als Bösewicht auftritt und dessen Erkennungszeichen eine weiße Katze ist. Die Entspannungspolitik erreicht ihren Höhepunkt, als Bond in „In tödlicher Mission“ mit dem Sowjetgeneral Gogol kooperiert und in „Octopussy“ sogar mit einem Leninorden ausgezeichnet wird. Nachdem US-Präsident Nixon 1972 einen „Krieg gegen die Drogen“ erklärt hatte, ermittelt Bond in „Leben und sterben lassen“ gegen einen Drogenbaron. Nach dem Zerfall des Ostblocks wird das organisierte Verbrechen zum Hauptgegner. Zuletzt hatte es Bond in „Ein Quantum Trost“ (2008) mit Schurken zu tun, die mit dem knapp werdenden Rohstoff Wasser spekulieren.

Den schematischen Aufbau von Ian Flemings Bond-Geschichten hat Umberto Eco bereits in den sechziger Jahren beschrieben. „Das Vergnügen des Lesers besteht darin, an einem Spiel teilzunehmen, dessen Figuren und Regeln – und sogar dessen Ausgang – er kennt; er bezieht sein Vergnügen lediglich aus dem Verfolgen der minimalen Variationen, durch die der Sieger sein Ziel erreicht.“ Auch die Filme folgen einem stereotypen Handlungsaufbau, Werner Greve spricht von einer „Bond-Formel“. Dazu gehört eine Sequenz vor den Filmtiteln, die mit der anschließenden Handlung nicht zwingend etwas zu tun haben muss, Bonds Briefing durch den Vorgesetzten M (der seit 1995 eine Frau ist), der Opfertod eines Mitstreiters, Bonds Flirt mit verschiedenen Frauen, schließlich der Showdown zwischen Bond und dem Bösewicht. Klar ist: Der Schuft muss sterben, denn Bond besitzt die Lizenz zum Töten. In der letzten Szene bekommt der Held dann seine erotische Belohnung. Greve kennt sich aus im Bond-Universum, er hat sogar Grafiken angefertigt, die die Anzahl der Toten oder von Bonds sexuellen Kontakte in den Filmen darstellen. Getrübt wird das Lesevergnügen allerdings durch Redundanzen und eine Sprache, die mit Vokabeln wie „strukturelle Invarianzen“ oder „zeitgenössische Adaptivität“ ihre akademischen Muskeln spielen lässt.

In Gestalt von Daniel Craig hat James Bond inzwischen seine sechste Inkarnation gefunden. Es wird nicht die letzte sein. In „Casino Royal“, dem ersten 007-Roman von 1953, rät ein Kollege dem Agenten: „Umgeben Sie sich mit menschlichen Wesen, mein lieber James. Es ist leichter für sie zu kämpfen als für Prinzipien. Aber enttäuschen Sie mich nicht: Werden Sie selbst nie menschlich.“ James Bond entstammt, wie Siegfried oder Achill, eher der Sphäre der Götter als der Welt der Menschen. Deshalb ist er unsterblich.







– Werner Greve:
James Bond 007. Agent des Zeitgeistes. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2012. 175 Seiten, 19,95 Euro.

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