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Kultur: Stirb und werde nimmermehr

Gerrit Bartels trauert dem Berliner Plattenladen „Freak Out“ nach

Leere Ladenräume sehen extrem traurig aus. Sie strahlen eine melancholische Verlorenheit aus, und da ist es eigentlich egal, ob darin vorher Drogerieartikel oder Tonträger verkauft wurden. Dass es in den Räumen eines ehemaligen Plattenladens noch einmal trauriger ausschaut liegt daran, dass mit seiner Schließung auch Tonträger wie Vinylplatten und CDs ihrem Aussterben ein Stückchen näher gekommen sind. Im Fall von „Freak Out“ könnte man zudem auf den Gedanken kommen, dass hier die typische Prenzlauer-Berg-Gentrifizierung eine Rolle gespielt hat; genau dieser aber hatte „Freak Out“-Begründer und Besitzer Bodo Parlow vorher schon Rechnung getragen, als er 2004 von der inzwischen komplett durchsanierten Rykestraße, in der er „Freak Out“ Anfang der neunziger Jahre geöffnet hatte, in die in manchen Abschnitten weiterhin recht schmuddelige Prenzlauer Allee gewechselt war.

Aufs Land sei er gezogen, heißt es nun im Kiez, deshalb die Ladenaufgabe; doch dass „Freak Out“ in den vergangenen Jahren richtig gebrummt und dem kulturellen Wandel die Stirn geboten hätte, kann man leider auch nicht sagen. Durchschnittskunde war der vereinzelte, mittelalte Platten- und Indienerd, die Horden jugendlicher Prenzlauer-Berg-Hostel-Touristen ignorierte den Laden weitgehend. Und Parlow war als Plattenladenbesitzer schon speziell, Mit seinen Vorlieben und seiner Persönlichkeit, seiner Knarzigkeit und Eigenwilligkeit hätte er eine gute Figur in Nick Hornbys Roman „High Fidelity“ gemacht. Parlow verkaufte bevorzugt Indierock, auf CD, aber auch auf Vinyl, dazu gab es eine Menge gebrauchter Platten und CDs, zumeist ebenfalls aus dem Indiebereich; sein Geschäftsmodell zu verändern, noch mehr Vinyl beispielsweise, auch aus dem Electronica-Dance-Bereich, das kam Parlow nicht in den Sinn, da war er stur.

Wer nicht mag, was ich mag, der kann mir gestohlen bleiben, das war seine Devise. Und wer die Frechheit beging, ihn beispielsweise nach dem neuen Album von Limp Bizkit (New Metal, also Schrott für ihn) oder Coldplay (Säusel-Pop, s. o.) zu fragen, der wurde mit einem tötenden Blick und einer Woche Gesprächsentzug bestraft. Wer aber regelmäßig und brav die neuen Alben von Bands wie The Sea & Cake, Deer Hunter und Veronica Falls oder Musikern wie Will Oldham oder Jay Reatard erwarb, der konnte von ihm schon einmal mit strahlendem Lächeln und den Worten begrüßt werden: „Ich weiß genau, was du haben willst: Die neue Modest Mouse!“ Und dann legte er die auf und mitten hinein ging es in die indiemusikologische Fachsimpelei.

„Freak Out“ ist jetzt Geschichte, wie so viele seiner Art. Und das neue Modest-Mouse-Album, so es denn bald einmal erscheinen sollte, gibt es bei iTunes sowieso billiger und bequemer. Nur Geschichten lassen sich über so einen Einkauf nicht mehr erzählen.

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