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Kultur: Stölzls heißer Herbst: Berlins Kultursenator in der Klemme

An meiner Schule gab es ein geflügeltes Wort: "Denken. Melden.

An meiner Schule gab es ein geflügeltes Wort: "Denken. Melden. Sprechen." Eine durchaus zweckdienliche Kommunikationsregel, die jedoch in der Berliner Opernszene derzeit außer Kraft gesetzt zu sein scheint. In einem fort melden sich die Protagonisten der hauptstädtischen Musiklandschaft zu Wort, sprechen in die Mikrofone der Journalisten und überlassen es dem Publikum, sich seinen Teil zu denken. Jeder hat etwas zu der Frage zu sagen, ob die Berliner Opernhäuser nun zusammengelegt und Daniel Barenboim Berliner Generalmusikdirektor, Intendant, Senior President oder was immer werden soll. Nur zwei Leute schweigen fein still: Maestro Barenboim - weil er entweder ein gerissener Taktierer ist oder in der Sache tatsächlich keine Meinung hat - und Christoph Stölzl. Während seine Künstler ihr Sommertheater veranstalten, hockt der Kultursenator im Urlaubsquartier und - ja, was eigentlich? Wahrscheinlich verdrängt er die peinsame Personalfrage und grübelt lieber darüber nach, wie er den Theaterchefs beibringt, dass sie 2001 weitere fünf Prozent ihrer Etats einsparen müssen.

Noch hat Stölzl den Betroffenen nichts erzählt, aber er hat eine Liste im Senat eingereicht: Danach sinken die Zuwendungen für die Deutsche Oper um 3,66 Millionen Mark auf 76,88 Millionen, der Zuschuss der Staatsoper wird um 3,33 Millionen auf 79,76 Mio. heruntergefahren. Die Komische Oper soll 2,81 Mio. abgeben und erhielte dann doch 58,2 Mio., das Deutsche Theater wird um 1,77 Mio. auf 36,2 Mio. reduziert. Castorfs Volksbühne verliert Subventionen in Höhe von 1,27 Mio. und könnte dann noch über einen Jahreszuschuss von 24,81 Mio. verfügen, dem Maxim-Gorki-Theater bleiben nach Abzug von 760 000 Mark noch 16,24 Mio., dem Konzerthaus gehen 951 000 Mark verloren (Etat 2001: 21,2 Mio.).

Ans Licht gebracht hat das jetzt ein Mann, der die parlamentarische Sommerpause dazu nutzt, um erst nachzudenken, dann nachzurechnen und sich schließlich zu Wort zu melden: Klaus Wowereit, Fraktionsvorsitzender der SPD im Abgeordnetenhaus, Berliner Chefhaushälter der Sozialdemokraten und seit einiger Zeit auch höchst aktiver Kulturpolitiker. Nicht, dass Wowereit Stölzl Böses wollte, schließlich sitzen beide im großen Koalitionsboot - doch den SPD-Mann ärgert es, dass dem neuen Kultursenator bei den Etatberatungen des Senats ein "Anfängerfehler" unterlaufen ist, der sich fatal auswirken könnte.

Stölzl hat sich nämlich von den Senatorenkollegen über den Tisch ziehen lassen - sagt Wowereit. Die im Juli verkündete frohe Botschaft, das Kulturressort werde von Einsparungen ausgenommen, hat einen Pferdefuß. Obwohl 2001 wieder 750 Millionen Mark angesetzt ist, fehlen Stölzl de facto 20 Millionen. In Haushaltsjahr 2000 war Stölzls Etat durch eine Finanzspritze der Lotto-Stiftung gerettet worden. 20 Millionen Mark hatte der Lotto-Beirat der Kulturverwaltung überwiesen. Damit wurden die größten Löcher gestopft. Doch so eine "Feuerwehraktion" wird es kein zweites Mal geben, da ist sich Wowereit sicher. Schließlich sitzt er selber im Lotto-Beirat: "Dadurch, dass 2001 auf Anordnung des Senates 60 Prozent der Lotto-Mittel für Projekte aus dem Bereich Jugend und Sport gebunden sind, steht im kommenden Jahr für die Kultur sowieso weniger Geld zur Verfügung. Und das ist nicht für die großen Institutionen bestimmt."

Mit der jetzt bekannt gewordenen Sparliste brächte Stölzl 14,5 Millionen Mark zusammen. Doch die betroffenen Theater sind nach Wowereits Einschätzung schlicht nicht in der Lage, diese Summen einzubringen. Schließlich müssen sie aus eigener Kraft schon die Tarifsteigerungen ihrer Angestellten ausgleichen - das bedeutet für 2001 viereinhalb Millionen an dauerhaften Zusatzkosten. 180 Stellen sollen daraum in den Staatstheatern abgebaut werden. Doch selbst, wenn es den Häusern mit Hilfe des neu aufgelegten Abfindungsfonds tatsächlich gelänge, bis zum 1.1.2001 alle Stellen freizubekommen, die sie als entbehrlich eingestuft haben, brächte das höchstens 10,7 Millionen Mark, rechnet Wowereit vor.

"Wir müssen jetzt unbedingt Ruhe in die Theater bringen, damit sie sich auf die Strukturreformen konzentrieren können", fordert der SPD-Mann. Da wirkt die neue Streichliste absolut kontraproduktiv: "Sie bringt nur wieder neue Aufregung in die Institutionen." Denn keiner der Verwaltungsfachleute wird unter den geänderten Finanzbedingungen einen ausgeglichenen Haushalt 2001 vorlegen können. Wowereit aber hat keine Lust, als Vorsitzender des für Etatfragen zuständigen Unterausschusses Theater im Abgeordnetenhaus wieder dieselbe Show zu veranstalten wie bei den Haushaltsberatungen 2000, als die Intendanten einzeln vorgeladen wurden, um ihre Defizite zu rechtfertigen. "Darum muss Stölzls Anfängerfehler im Senat auch vom Senat korrigiert werden."

Auf Stölzl wartet ein heißer Herbst. Denn alles hängt mit allem zusammen: Die Geschwindigkeit, mit der die Verschlankung der Opern vorangetrieben werden kann, hängt von der zukünftigen Organisationsform der Musiktheater ab. Der Erfolg einer Fusion wie auch dreier weiterhin autonomer Häuser wird von Personen gemacht. Um die Wahl der führenden Köpfe aber tobt derzeit ein Kampf, der nicht durch Sachargumente bestimmt wird, sondern durch den ganz privaten Wunsch des Regierenden Bürgermeisters, Daniel Barenboim als Opern-Supermann zu installieren - obwohl der genialische Künstler bislang durch alles andere als durch spannende Programmgestaltung glänzte. Die derzeitige Lähmung der künstlerischen Arbeit an den Häusern wie auch die Neustrukturierung der Institutionen vermag jedoch nur ein echter Kulturvisionär zu meistern.

Da wird wohl einer, der es gern allen recht macht, sehr bald jede Menge unpopulärer Entscheidungen treffen müssen: "Senator Stölzl bitte denken, melden, sprechen!"

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