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Kultur: Stoibern oder Zeit zu gehen

Über die Kunst der Abdankung

Der Schluss, das Ende von allem Anfang, ist für eine Gesellschaft, die das Vorwärtsschreiten zu einem Fetisch macht, etwas Lästiges, Unangenehmes, Unbedeutendes. Als Kinogänger erlebt man es sinnlich: Die Eingänge unserer Lichtspieltheater sind pompös ausgestattet, der Ausgang erfolgt oft über die Hintertreppe.

Wer innehält, wer stoppt oder bremst, verpasst den Zug der Zeit. Also geht die Kultur der Endlichkeit ihrem eigenen Ende entgegen. Die Pausenlosigkeit ist das Ideal nicht nur in der Ökonomie. Das „Non-stop“ wurde zum Signum der verschärften Moderne. So kultivieren wir die Illusionen des unaufhörlichen Fortgangs, die „Un-schlüssigkeit“ ist das postmoderne Programm.

Für eine Kunst der Abdankung existieren auch in der Politik nur wenig Vorbilder. In der Bundesrepublik hat von Adenauer bis Schröder noch kein Kanzler freiwillig Abschied genommen. Abschiede von Mächtigen erleben wir nur im Zusammenhang mit Niederlagen. Das macht sie – nicht nur für Edmund Stoiber – wenig attraktiv. Und das ist auch der Grund, warum das, was den Wortsinn des Begriffs „abdanken“ ausmacht, nämlich „das Dank sagen“ für geleistete Dienste, nur selten geschieht. Bereits 1689 beschwerte sich der Barockdichter Lohenstein in seinem „ Arminius“-Roman über die Unfähigkeit der Mächtigen zum Rückzug: „die freiwillige ... abdankung sey bey grossen fürsten ein unbekanntes wunderwerk.“

Alexander und Margarete Mitscherlich haben in ihrem Buch über „Die Unfähigkeit zu trauern“ auf die Folgen des Ausbleibens und des Scheiterns von Abschieden hingewiesen. Blockiert, schreiben sie, werden durchs Nicht-Schlussmachen viele seelische Entwicklungen. Speziell betrifft dies die Möglichkeiten, nach dem Abschied wieder offene und befriedigende zwischenmenschliche Beziehungen eingehen zu können. Den Mitscherlichs ging es dabei um die Konsequenzen, die es nicht nur für Einzelpersonen, sondern für ganze Gesellschaften – konkret: die deutsche – bedeutet, wenn Abschied nicht zugelassen, nicht gelebt wird, sondern beiseitegedrängt wird. Ein Thema für die Deutschen, das etwa vor sechzehn Jahren wieder aktuell wurde. Blühende Abschiedslandschaften sind ja immer noch selten.

Es ist nun mal so: Wer nicht fertig wird, macht sich fertig – und wird fertiggemacht. Paul Valéry erinnert in diesem Zusammenhang an Menschen, die bei einem Autounfall sterben, weil sie ihren Regenschirm nicht loslassen können. Man muss rechtzeitig loslassen und Schluss machen, damit andere anfangen können und damit man selbst wieder anfangen kann. Wenn dann schließlich ein Stoiber und viele andere, die das Thema ebenso angeht, nach ihren Abschieden etwas Neues beginnen und dabei allen Versuchungen widerstehen, schlechte Bücher zu schreiben anstatt gute zu lesen, dann stoßen sie vielleicht auch auf den schönen Satz von Thomas Mann: „Nur was einen Anfang hat und ein Ende, ist interessant und erregt Sympathie.“ Auch darum erringen Mächtige Sympathie meist erst ohne Macht.

Der Autor lebt als Zeitforscher in München. Soeben erschien von ihm „Alles Espresso“, Hirzel Verlag 2007.

Karlheinz A. Geissler

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