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Mut zum Hut. Der reife Neil Young 2013 bei einem Konzert in Locarno.

© picture alliance / dpa

"Storytone" und "Basement Tapes": Neil Young und Bob Dylan retten noch einmal den Rock

Neil Young veröffentlicht sein 36. Album „Storytone“. Und Bob Dylan holt sämtliche „Basement Tapes“ aus dem Archiv – nach 47 Jahren.

Klimaerwärmung, Ebola, IS-Terror. Gibt es jemanden, der die Welt noch retten könnte? Vielleicht ist es dieser zottelige Alte, der mit zerknitterter Stimme und E-Gitarre tapfer weiter ankämpft gegen den alltäglichen Wahnsinn. „Who’s gonna stand up and save the earth? / Who’s gonna say that she’s had enough?“, fragt Neil Young in „Who’s Gonna Stand Up“, dem bemerkenswertesten Song seines neuen Albums „Storytone“ (Warner). Die Antwort darauf gibt er gleich selbst, begleitet von einem mächtigen Chor: „This all starts with you and me.“ Fracking beenden, die Flüsse säubern, keine fossilen Brennstoffe mehr verbrauchen. Das vom Sänger skizzierte Soforthilfeprogramm ist lang. Wer das schaffen soll? Wer, wenn nicht wir?!

Eine ähnliche Agenda hatte Neil Young schon vor zwei Jahren in der bittersüßen Ballade „Walk Like A Giant“ bearbeitet, dem 17-minütigen Höhepunkt des mit seiner Band Crazy Horse aufgenommenen Doppelalbums „Psychedelic Pill“. Nur dass das damals die resignative Rückschau eines Althippies war, der konstatierte, viel zu wenig erreicht zu haben: „We were ready to save the world / But then the weather changed“. Untermalt wurde die Abrechnung mit der eigenen Generation vom metallischen Mahlstrom der E-Gitarren, einem meisterhaften Schreddern, Sirren und Sägen.

Apokalyptisches Thema mit lieblicher Begleitung

Diesmal aber, bei „Who’s Gonna Stand Up“, wird Youngs immer rauer werdende Stimme von Streichern emporgetragen, und im Finale jubilieren Bläser. „Storytone“ entstand mit einem 92-köpfigen Orchester. Mag die Welt auch untergehen, der letzte Tanz muss trotzdem glanzvoll sein. Von einer Text/Musik-Schere zwischen dem apokalyptischen Thema und die lieblichen Begleitung könnte man sprechen oder, mit einem musikologischen Terminus, von kontrapunktischer Kompositionstechnik.

Als besondere Pointe folgt auf den Protestsong gegen die Machenschaften der Ölindustrie, den Young auf seiner Website Umweltaktivisten kostenlos in drei Versionen zur Nutzung überlässt, sogleich das Bekenntnis eines Autonarren. „I want to drive my car / I gotta find some fuel“, raunt Young da zu rollenden Bluesakkorden. Schon die Hymne „Long May You Run“, die der Sänger 1976 mit seinem Kompagnon Stephen Stills aufnahm, war eine Liebeserklärung an die motorisierte Fortbewegung. Legendär ist seine Flotte chromblitzender Oldtimer, die Young mit Hybridmotoren umweltschonend nachrüstete. Das Cover von „Storytone“, seinem 36. Album seit 1968, zeigt das dilettantische Aquarell eines Heckflossen-Lincolns aus dem Jahr 1959, daneben die Silhouette des Besitzers.

Von Verliebten heißt es, dass ihr Himmel voller Geigen hinge. Möglicherweise klingt „Storytone“ so himmelhochjauchzend, weil Neil Young eine neue Lebensgefährtin gefunden haben soll. Nach 36 Jahren Ehe hat er sich von seiner Frau Pegi getrennt, am 19. Dezember treffen sie sich vor dem Scheidungsgericht. Mit der Backgroundsängerin, der er Songs wie „Such a Woman“ widmete, hat der Musiker zwei Kinder. Doch in seiner 2012 erschienenen Autobiografie „Ein Hippie-Traum“ kam sie nur noch als Nebenfigur vor. Inzwischen trifft sich Neil Young, 68, regelmäßig mit der Schauspielerin Daryl Hannah, 53. Klatschmagazine berichten, dass sie sich händchenhaltend auf der Straße gezeigt hätten. Und während der Produktion der neuen Platte habe Hannah jedes Stück per Skype kommentiert.

Versunken in Nostalgie

„Storytone“ erzählt vom Abschiednehmen und Neuanfangen. Der Liebesbilanzblues „Like You Used To Do“, musikalisch eine öde Mischung aus Bigbandsound und Mundharmonikamelancholie, fasst das Scheitern einer Beziehung in die bitteren Zeilen: „I got my problems / But they mostly show up with you.“ Die karge Ballade „I’m Glad I Found You“, eines der schönsten Lieder, beschreibt himmlische Gefühle: „When you took my hand / We walked away to the promised land“. Und „Say Hello To Chicago“ ist nicht bloß eine Referenz an den Chicago-Blues, sondern auch an ein „stylish girl“, das der Sänger dort getroffen haben will. Hannah stammt aus Chicago.

„Storytone“ gehört ins obere Mittelfeld von Neil Youngs Werk: ein größtenteils gelungenes, aber nicht herausragendes Album. Am Ende versinkt es in Nostalgie. Manchmal ist zu viel Glück schlecht für die Kunst.

Bob Dylans "Basement Tapes" gingen in die Musikgeschichte ein

Der junge Bob Dylan 1967 in Woodstock/New York.
Der junge Bob Dylan 1967 in Woodstock/New York.

© Elliot Landy/Sony

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in den Höhlen von Qumran, am Toten Meer, hunderte Schriftrollen entdeckt. Es handelte sich um sehr alte Bibeltexte und Apokryphen, die bis heute die Wissenschaftler beschäftigen. 1967 zog sich Bob Dylan mit seinen Tour-Musikern, die als The Band berühmt werden sollten, aufs Land zurück, bei Woodstock/New York. Dort nahmen sie rund 140 Songs auf, die als „Basement Tapes“ in die Musikgeschichte eingingen und die Exegeten antrieben, ohne dass man sie je vollständig hätte hören können.

Harte Dylan-Fans sind natürlich im Besitz von Raubpressungen, die mehr Fragen brachten als Antworten; überdies sehr teuer, miese Qualität, Rauschen und Ruinen. Es waren die ersten Bootlegs überhaupt. Die unstillbare Neugier auf das legendenumrankte Dylan-Material produzierte eine neue Kulturtechnik: Plattenpiraterie. Um den illegalen Handel zu stoppen, brachte Columbia Records 1975 eine Art Best Of Basement heraus, 24 Songs, mit Klassikern wie „I Shall Be Released“, „This Wheel’s On Fire“ oder „You Ain’t Going Nowhere“ und neuen Kompositionen von The Band.

Die „Basement Tapes“ sind die Qumran-Rollen des Rock. Wilde Improvisationen, geniale Zufallskompositionen, absurde Poesie, Melodien aus dem „alten, unheimlichen Amerika“, wie Greil Marcus es in „Basement Blues“ formuliert, seinem Buch über den mysteriösen Songschatz. Jetzt liegen die Kellerlieder zum ersten Mal in Gänze vor, nach 47 Jahren (The Basement Tapes Complete: The Bootleg Series Vol. 11, Box-Set mit sechs 6 CDs und Fotobuch, Sony, ca. 85 €).

Jung und experimentierlustig

Garth Hudson hat die Spulen ins digitale Zeitalter transponiert, ohne ihren kratzigen Charakter zu zerstören. Vor allem die Bonus-CD scheppert immer noch wie mit einem Kindermikrofon im Waschzuber aufgezeichnet. Hudson prägte die Musik von Bob Dylan und The Band mit seiner elektrischen Orgel und ihrem bohrend-atavistischen Klang. Er und Robbie Robertson sind die letzten Überlebenden der Band. Richard Manuel starb 1986, Rick Danco 1999 und Levon Helm 2012. Martin Scorsese drehte 1978 den Abschiedsabend der Band: „The Last Waltz“. Einen schöneren Rockmusikfilm gab’s nie wieder, auch keinen traurigeren.

Hier aber, auf den „Basement Tapes“, sind sie jung und experimentierlustig, wenn auch ein wenig erschöpft nach langen Tourneen mit Dylan, der sich radikal gewandelt hatte vom Folk-Singer zum aggro Rockpoeten. Die Landpartie von 1967 ging über Monate. Das Album „Nashville Skyline“ (1969) war da bloß ein kleiner Auszug. Bob und seine Freunde probierten alles durch, was die Country-Musik hergab, wie Johnny Cashs „Folsom Prison Blues“, aber auch Gospelig-Souliges wie „People, Get Ready“ von Curtis Mayfield und Traditionals wie „Bonnie Ship The Diamond“. Die erdrückende Mehrzahl besteht aus Dylan-Kompositionen – die sich von Anfang an dadurch auszeichneten, dass sie wie Traditionals klangen. Dylans Talent, die Wurzeln des amerikanischen Kontinents anzugraben, ist einzigartig.

Ein Dokument der Krise

Er ist Chronist und Archivar, Camouflage-Künstler, schwer zu fassen schon damals, als er im Keller verschwand. Wobei Basement einfach nur ein Wort für das Arbeiten im Privaten ist, im Atelier. Auch hier ein Pionier: Die Beatles, die Rolling Stones und viele andere große Bands haben sein Beispiel übernommen und sich in Klausur begeben. Große Nummern und große Albernheiten kommen aus dem Keller, der auch ein Wohnzimmer sein konnte. Die „Basement Tapes“ sind ein Dokument der Krise. Ein Künstler nimmt sich Zeit und Raum, um zu sehen, wohin die Reise weiter geht. Mit schnarrender Stimme, schleppendem Rhythmus – und dann wieder glockenhell, swingend, durchdringend.

Jetzt ist der Mythos entziffert durch das schiere Material in seiner Fülle. Die Dylan-Apokryphen enthalten Alltägliches, Allerheiligstes, Schlampiges, Rumpeliges, Meisterliches, Quatsch und Seele. Und Unerhörtes wie „I’m Not There“. Man macht die Kellertür auf und trifft auf bärtige Männer um die 25, die locker intensiv mit musikalischen Juwelen herumspielen und nicht im Traum daran denken, das Zeug zu veröffentlichen. Im nächsten Jahr übrigens kommt ein neues Studioalbum von Bob Dylan: „Shadows Of The Night“.

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