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Kultur: Straße des ersten Films

Gemeinsam sind wir stärker, nicht nur gegen Hollywood: das erste deutsch-französische Filmtreffen in Lyon

Politiker lieben erste Adressen. Lyon ist, französisch-zentralistisch gesehen, zwar eher ein zweitbester Ort; auch das Podium, auf dem sich die beiden Kulturminister Jean-Jacques Aillagon und Christina Weiss soeben begegneten, steht nicht etwa in einem der Prachtbauten im Zentrum, sondern unter dem Dach eines Hangars im Osten der Stadt. Und doch, die Adresse – „rue du premier film“ – könnte gar nicht feiner sein.

Denn in dieser Traumvisitenkartenheimat jedes Cineasten, der „Straße des ersten Films“, steht der zum Museumskino umgebaute „Hangar“ und erste Set der Filmgeschichte: Hier drehte Louis Lumière, Erfinder des „Cinématographe“, sein erstes 50-Sekunden-Werk „La sortie de l’usine“. Und hier, hochsymbolisch, fand jetzt das erste deutsch-französische Filmtreffen statt – nach der Gründung der Masterclass für junge Produzenten und einem Koproduktionsabkommen das dritte Projekt der von Kanzler Schröder und Staatspräsident Chirac vor drei Jahren ins Leben gerufenen Deutsch-Französischen Filmakademie.

Ein großer Rahmen. Und doch der erste Anlauf nur in ein neues Arbeitsverhältnis, der da rund 200 Politiker, Produzenten, Verleiher, Förderer und Filmkünstler aus beiden Ländern versammelte. Immerhin einer im Lichte bilateraler Kino-Erfolge: Jean-Pierre Jeunets „Amélie“ und François Ozons „8Frauen“ faszinierten Millionen in Deutschland, andererseits hat Wolfgang Beckers Wunder von Berlin namens „Good Bye, Lenin!“ in Frankreich schon die Millionenmarke überschritten – und endlich redet man dort wieder gerne über deutsches Kino. Einen Tusch darauf, aber nur kurz. Der Rest ist eher vorsichtige Aufbruchstimmung.

Zunächst: Nicht nur die Filmfördersysteme, sondern auch das Bewusstsein der beiden Nationen für die Bedeutung des jeweils einheimischen Films sind spürbar verschieden, um nicht zu sagen: inkompatibel. Frankreich kämpft mit Verve für die „exception culturelle“ – jene Formel, mit der auch der Film vor dem restriktionsfreien Welthandel, sprich: der totalen Hollywood-Dominanz, geschützt werden soll.

„Es geht nicht um Tourismus, sondern um Krieg“ – so martialisch drückt es der Regisseur Jean-Jacques Beineix aus. Wobei die französischen Filmindustriellen solchen Fundamentalismus zwar sachte belächeln, strukturell aber teilen. Schließlich fußen alle staatlichen Instrumentarien auf einer gezielten Bewahrung dessen, was der verstorbene Präsident der staatlichen Filmagentur Unifrance, Daniel Toscan du Plantier, einmal die „mythische Ehe zwischen Film und Staat“ genannt hat: hohe Zwangsabgaben der TV-Sender für die französische Kinofilmproduktion, Sendeverbot von Spielfilmen am Kinostarttag Mittwoch und am Wochenende, Verpflichtung der Multiplexe zur Programmierung französischer Filme und und und. Durch diesen politischen Willen schützt Frankreich seine Filmindustrie und drängt die Amerikaner auf im Weltmaßstab erstaunlich geringe 60 Prozent Marktanteil zurück. Stolz auf die guten Filme, die dank solch massiven Rückhalts entstehen, sind ihre Macher sozusagen nebenbei.

In der Hollywood-Kolonie Deutschland dagegen sind überwiegend „Subventionsakrobaten“ am Werk, wie es Bavaria-Geschäftsführer Thilo Kleine formuliert – Produzenten und Verleiher, die sich im Förderdschungel bestmöglichst zu behaupten suchen. Wobei das Sein des Föderalstaates und eines in seiner Gestaltungsmacht strukturell begrenzten Kulturministeriums das Bewusstsein bestimmt: Der deutsche Film nimmt – beim Fördergeld wie beim Marktanteil – eben, was er kriegt. Wobei er derzeit mit exportfähigen Produkten und nachdrängenden Talenten, die auch international die erfolgreichen lokal grundierten Geschichten erzählen, auch ohne Protektionsapparat blendend dasteht. Um es mit Stephan Hutter vom Prokino-Verleih („Amélie“) zu sagen: „Wir sind fitter in Deutschland, wir mussten immer kämpfen.“

Doch wozu ein Fitnesswettbewerb gegen Amerika, wenn man genug hausgemachte Sorgen hat? Etwa beim deutsch-französischen Koproduktionsabkommen: Nicht nur ist der „mini-traité“ mit drei Millionen Euro pro Jahr arg bescheiden ausgestattet, er begünstigt bislang auch die mehrheitlich mit französischem Geld produzierten Filme. Hier sollen die Regularien zumindest gedehnt werden. Und einig sind sich Franzosen und Deutsche auch im Ärger über die „desaströs“ geringe Bereitschaft europäischer Fernsehsender, europäische Kinofilme zu kaufen und sie dann auch zur Prime-Time zu senden. Dieses Desinteresse mindert das Wissen der Europäer voneinander – und den Produzenten und Verleihern bricht nach dem Kinoauftritt ihrer Filme damit eine wichtige Einnahmequelle weg. Freilich verhallten diese Klagen in Lyon: Abgesehen von Arte war kein großer Fernsehsender zugegen.

Doch auch bei Arte selbst, der vom französischen Staat und vom deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen getragenen Parade-Institution, ist offenbar nicht alles zum Besten bestellt. Zwar tut der Sender als Koproduzent viel fürs französische und deutsche Kino, aber bei der Förderung von jährlich sechs großen europäischen Produktionen ließ die Auswahlkommission diesmal Deutschland und Frankreich ganz draußen: Michel Reilhac von Arte: „Wir verständigen uns schnell über andere Länder, aber begeistern uns nicht für die Filme des Nachbarn.“

Ein offenes Wort, sinnfällig dafür, dass der Weg zur filmpolitischen Achse Deutschland–Frankreich noch weit werden mag.

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