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Gutes Geschäft. Barack und Michelle Obama (hier bei der Enthüllung der Porträts des früheren First Couples im Februar) wollen für ihre Produktionen Kontakte im Weißen Haus nutzen. Dieser Schritt wird in den Medien auch kritisch gesehen.

© Jim Bourg/Reuters

Streamingdienste weiter auf Erfolgskurs: Der Netflix-Deal mit den Obamas ist wegweisend

Netflix hat einen Deal mit den Obamas geschlossen, Streamingdienste boomen. Auch Disney mischt bald mit. Kino und Fernsehen spüren die Folgen.

Von Andreas Busche

Die Mehrheit der Amerikaner hat sich ja damit abgefunden, dass Politik und Unterhaltung heute nahezu ununterscheidbar sind. Sie haben Ronald Reagan kommen und gehen sehen und den Terminator als kalifornischen Gouverneur schadlos überstanden. Und selbst wenn Donald Trump den wohl geringsten Sachverstand aller bisherigen Amtsinhaber besitzt, können sich nicht einmal die liberalen Medien seinen unbestrittenen Entertainer-Qualitäten entziehen.

Insofern sorgt die Nachricht, dass ein Ex-Präsident ausnahmsweise den umgekehrten Weg nimmt, vom höchsten politischen Amt in die Niederungen der Unterhaltung, zwar für Stirnrunzeln, aber auch für keine nachhaltigen Erschütterungen. Es ist bezeichnend für das aktuelle politische Klima, in dem Regierungserklärungen via Twitter verkündet werden, dass sich einige Kommentatoren von dem Millionen-Deal zwischen Barack und Michelle Obama und dem Streaminganbieter Netflix ein politisches Korrektiv für die aus dem Ruder gelaufene Regierungsarbeit erhoffen.

Eigentlich also business as usual, zumindest in der Politik. Für Netflix hingegen bedeutet der vor einigen Wochen geschlossene Vertrag mit Obamas Produktionsfirma Higher Ground, der diverse Serienformate, Dokumentarfilme- und reihen sowie Langfilme beinhaltet, die nächste Stufe ihrer Expansionsbestrebungen. 2018 ist ein wegweisendes Jahr für den Streamingdienst. 80 Milliarden Dollar hat Netflix-Chef Reed Hastings zur Verfügung gestellt, um den Anteil der Eigenproduktionen auf 50 Prozent zu erhöhen. Man will künftig weniger vom „Content“ anderer abhängig sein. Eine kluge Entscheidung, die mit der Ankündigung von Disney zusammenfällt, 2019 ebenfalls eine Streamingplattform zu starten.

Netflix hat die Nachricht ganz richtig als Kampfansage verstanden. Der Marktwert von Netflix beziffert sich schon jetzt auf 90 Prozent des Disney-Marktwerts, aber das eingleisige Geschäftsmodell mit dem binge watching hat Wachstumsgrenzen. Dennoch ist der Netflix-Erfolg beispiellos, bedenkt man, dass die Firma Ende der 90er Jahre damit begann, DVDs per Post zu verleihen und so den Tod der Videotheken beschleunigte.

Auf Disruption folgt Konsolidierung

Seitdem hat Netflix die Unterhaltungsindustrie schneller umgekrempelt als jedes andere Unternehmen zuvor. Man hat erst die Schwäche des Fernsehens ausgenutzt und fordert nun die unbewegliche Kinobranche heraus, wie der Streit mit dem Filmfestival Cannes zeigt. Die Versprechen von Netflix lauten: ständige Verfügbarkeit und endloser Nachschub, ohne lästige Unterbrechung. Auf diese Weise hat der Streaminganbieter innerhalb weniger Jahre nicht nur die Seh-, sondern auch die Konsumgewohnheiten einer ganzen Generation geprägt. Doch wie so viele Innovatoren denkt auch Netflix letztlich traditionell. Auf die große Disruption folgt stets die Konsolidierung.

Gerade hat der amerikanische Kabelanbieter Comcast Netflix in seine Abo-Pakete aufgenommen, jetzt macht der Streamingdienst, der bislang unabhängig von klassischen Vertriebsstrukturen operierte, dem Fernsehen auf dessen ureigenem Terrain Konkurrenz. Das lineare Kabelfernsehen hat in den USA schon länger mit Abo-Schwund zu kämpfen, bei den 20- bis 30-Jährigen sind die Zuschauerzahlen in den letzten sieben Jahren um 40 Prozent gesunken. Marktdominanz erreicht man heute über direkte Kundenbindung, wie Netflix es vorgemacht hat. Der allseits befürchtete Niedergang des Kinos wäre hier nicht mehr als ein Kollateralschaden.

Netflix hat in den vergangenen Jahren mit Risikokapital eine Unmenge an Material angehäuft, um sich seine Vormachtstellung zu sichern. Doch 2018 ist das Jahr, in dem Reed Hastings seine Strategie den neuen Marktgegebenheiten anpassen muss. Es gibt Anzeichen, dass man bereits in die Phase der Konsolidierung eingetreten ist. Denn längst wird Netflix nicht mehr ausschließlich als Abspielstätte für Serien und Filme wahrgenommen. 2018 wurden bereits ein gutes Dutzend Serien abgesetzt, darunter der Kritikerhit „Unbreakable Kimmy Schmidt“. Netflix macht sich endlich seine dubiosen Nutzer-Algorithmen zunutze und mistet das immer unübersichtlichere Programm aus. Nutzerzahlen veröffentlicht der Streamingdienst weiterhin nicht.

Der Markt ist hart umkämpft

Mitten im Frühjahrsputz beendete die Talkshow-Legende David Letterman gerade ein sechsteiliges Netflix-Gastspiel, Ende Mai startete die Talkshow der Komikerin Michelle Wolf, die zuletzt mit ihrer Rede beim White House Correspondents Association Dinner die Republikaner und Fox News gegen sich aufbrachte. „The Break with Michelle Wolf“ wird im wöchentlichen Turnus veröffentlicht, ungewöhnlich für die Erfinder des binge watching. Politische Comedy avancierte unter Trump zum Quotenbringer. Viele Zuschauer beziehen ihre Informationen heute statt aus  Nachrichtensendungen von den Talk-Moderatoren Stephen Colbert, John Oliver und Trevor Noah. Kein Wunder, dass Netflix da mitmischen will. Der Obama-Deal passt perfekt ins neue Programmschema, das sich wieder am breiten Angebot von Fernsehsendern zu orientieren scheint.

Deutsche Netflix-Kunden betrifft diese Entwicklung momentan noch nicht. Aber wie so oft dürfte Amerika als Testmarkt fungieren. Hierzulande ärgert man sich weiterhin über den schwer manövrierbaren Programmwust (amerikanische Online-Magazine haben eigens Netflix-Rubriken mit einer Vorschau auf Highlights eingeführt) und klaffende Lücken im Angebot. Ab 2020, wenn der Deal mit dem Familienunternehmen Disney ausläuft, wird man zudem auf „Stars Wars“-, Marvel- und Pixar-Filme verzichten müssen. Das Traditionsstudio 20th Century Fox, das unter anderem die „X-Men“Filme und die Serien „Die Simpsons“ und „Homeland“ produziert, hat sich der Maus-Konzern ebenfalls gerade für 60 Milliarden Dollar einverleibt, Teil des Pakets ist die oscar-verwöhnte Produktionsfirma Fox Searchlight. Momentan wartet Disney noch auf grünes Licht aus dem Justizministerium, aber nicht einmal das neue, höhere last minute-Gebot von Comcast für den Fox-Konzern dürfte am Verkauf an Disney noch etwas ändern - zumal inzwischen auch der Merger von AT&T und Time Warner juristisch durchgewunken wurde. Das Interesse Disneys an Fox ist ebenfalls eine Reaktion auf Netflix, der Markt ist hart umkämpft. Inhalte sind im Streamingzeitalter mittlerweile Gold wert, und nach den letzten Studio-Übernahmen stehen kaum noch Filmrechte zu Normalpreisen zum Verkauf. Alles läuft auf einen Showdown zwischen den Unterhaltungshegemonen Netflix und Disney hinaus.

Netflix hat die Kunden auf seiner Seite

Vorerst aber hat Netflix bei seiner Expansionsstrategie noch mit spezifisch europäischen Problemen zu kämpfen. Und die EU-Bürokratie, das zeigte gerade der Facebook-Ausschuss mit Mark Zuckerberg, sieht die Errungenschaften der digitalen Märkte nicht ganz so locker wie die neuen transnationalen Player. Erst im Frühjahr hebelte der Europäische Gerichtshof das Geoblocking für Streaminganbieter aus, was das Geschäftsmodell von Netflix empfindlich trifft. Und im Mai verdonnerte das EU-Gericht Netflix zu Einzahlungen in den deutschen Filmförderfonds, aus dem man sich zuvor bedient hatte. So gab es etwa 200 000 Euro vom Medienboard Berlin-Brandenburg für den Science-Fiction-Film „Mute“.

Am sichtbarsten sind die Herausforderungen für Netflix aber im Konflikt mit den Filmstudios. Reed Hastings und sein chief of content Ted Sarandos reagierten überempfindlich, als sie im Mai ihre Filme aus Cannes abzogen, weil Festivalchef Thierry Frémaux keine Netflix-Produktionen im Wettbewerb zeigte. An dem Streit zeigt sich aber auch, dass Netflix die Kunden auf seiner Seite hat. Veröffentlichungsfenster zwischen Kinostart und Online-Vertrieb muten zunehmend anachronistisch an. Gleichzeitig ist Netflix berüchtigt dafür, zukünftige Klassiker in der schieren Masse des Angebots zu „versenken“ – zuletzt Alex Garlands Sci-Fi-Mystery-Film „Auslöschung“.

Die Quittung gab es auf dem Filmmarkt in Cannes, wo viele Produzenten den Verlockungen der Netflix-Millionen widerstanden. Im Streamingzeitalter ist die Aussicht auf einen Kinostart eben doch noch etwas Besonderes. Disney wird von den Fehlern des Konkurrenten lernen. Aber auch Netflix steckt den kleinen Imageschaden weg. Immerhin haben sie mit Barack und Michelle Obama gerade zwei strahlende Werbeträger eingekauft.

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