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Chris Dercon, dem künftigen Chef der Berliner Volksbühne.

© Kai-Uwe Heinrich

Streit um die Berliner Volksbühne: Chris Dercon und die Kontrolleure

Kaum kommt ein neuer Senat, gelten alte Verträge nichts mehr? Eine intervenierende Kulturpolitik ist gefährlich. Inhalte sollte sie den Machern überlassen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christiane Peitz

Er habe noch kein Konzept vorgelegt, kritisiert Kulturpolitikerin Sabine Bangert (Grüne) den designierten Volksbühnen-Chef Chris Dercon. Im wieder aufflammenden Theaterstreit über die Castorf-Nachfolge empört sich Bangert darüber, dass „wir aus der Presse erfahren müssen“, dass Dercon ein mobiles Theater auf dem Tempelhofer Feld plant.

Was für ein Unsinn. Dercon gab im April 2015 bekannt, dass er einen Hangar des Ex-Flughafens bespielen will. Bei eben jener Pressekonferenz, auf der er mit dem Regierenden Michael Müller auch sein Team und Leitlinien für das Haus am Rosa-Luxemburg-Platz vorstellte: Boris Charmatz, Romuald Karmakar, Alexander Kluge, Mette Ingvartsen und Susanne Kennedy heißen seine Mitstreiter, Marietta Piekenbrock wird Programmdirektorin, das Ensemble will er erhalten, Eigenproduktionen und Repertoire präsentieren, kein Festivaltheater. Geheimhaltung klingt anders.

Man erschrickt darüber, wie Teile der rot-rot-grünen Koalition Kulturpolitik definieren. Will man jetzt über Inhalte mitentscheiden? Sollen Spielpläne und Jahresprogramme vorgelegt werden, wenn sich jemand für einen Intendantenposten bewirbt oder der Doppelhaushalt zur Entscheidung ansteht? Die Kultur wird nur dann auskömmlich ausgestattet, wenn ihre Vorhaben das Wohlwollen der Behörde genießen? Das wären iranische Verhältnisse.

Seit klar ist, dass der Dercon-Skeptiker Klaus Lederer Kultursenator wird, kursieren finstere Vorstellungen von einer kontrollierenden, intervenierenden Kulturpolitik – die Lederer selbst zum Glück nicht vertritt. Da heißt es etwa, dass Dercons Vertrag noch gar nicht unterschrieben sein könne, sonst wüsste die Öffentlichkeit ja Genaueres über seine Pläne. Fakt ist: Der Fünf-Jahres-Vertrag ab 2017/18 wurde 2015 unterzeichnet, für die Vorbereitungszeit haben die Haushälter 2,24 Millionen Euro bewilligt, eine Erhöhung des Jahresbudgets ab 2017 um 5 Millionen auf 22 Millionen Euro wurde zugesagt. Wäre doch gelacht, ließe sich davon nicht auch Tempelhof finanzieren, selbst wenn es mit den Lottogeldern für das Amphitheater Francis Kérés nichts wird.

Verträge dürfen nicht von den Ensembles abhängen

Große Namen, große Erwartungen, große Ungeduld: Auch bei Neil MacGregor und dem Humboldt-Forum wird gedrängelt. Und klar, politische Beschlüsse können rückgängig gemacht werden durch neue politische Beschlüsse, siehe Einheitsdenkmal. Aber jedes Gedankenspiel, dass Verträge Kulturschaffender von deren inhaltlichen Vorstellungen und – Stichwort Staatsballett – am besten auch von der Zustimmung des Ensembles abhängen sollten, ist bei aller Offenheit fatal.

Die Gestaltungsfreiheit von Künstlern und Intendanten ist eine Selbstverständlichkeit in der Demokratie. Natürlich gestaltet die Kulturpolitik dennoch, setzt Rahmen, bewilligt Etats, trifft Personalentscheidungen. Und führt Gespräche, vorher, nachher, das soll sie, das muss sie.

Aber sie gewährt Budgets ohne Kenntnis von Spielplänen, setzt unabhängige Gremien ein, wenn es um Projektförderung geht. Und beruft einen Theaterchef, einen Museumsdirektor oder Choreografen wie Sasha Waltz und Johannes Öhman eben nicht, weil deren Pläne genehm sind, sondern weil ihre bisherige Arbeit geschätzt wird. Weil ihr Name Programm ist. Wird die Hoffnung enttäuscht, die mit dem Namen verknüpft ist, gibt’s keine Vertragsverlängerung. So sollte man es auch bei Dercon, Waltz und Öhman halten.

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