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Kultur: Strohfeuer der Wut

Seit ihrer Entstehung, mitten in den Tagen des Terreur der französischen Revolution, wird Luigi Cherubinis "Médée" gemieden. Als habe jede Generation dieser Konfrontation mit der Wahrheit aus dem Wege gehen wollen: Dass niemand sein Glück machen kann, indem er seine Vergangenheit einfach beiseite schiebt, dass keine Gesellschaft auf Frieden hoffen kann, die nicht alle ihre Teile einbezieht.

Seit ihrer Entstehung, mitten in den Tagen des Terreur der französischen Revolution, wird Luigi Cherubinis "Médée" gemieden. Als habe jede Generation dieser Konfrontation mit der Wahrheit aus dem Wege gehen wollen: Dass niemand sein Glück machen kann, indem er seine Vergangenheit einfach beiseite schiebt, dass keine Gesellschaft auf Frieden hoffen kann, die nicht alle ihre Teile einbezieht. Und, dass diejenigen sich rächen, die in die Ausweglosigkeit getrieben werden. Selten ist diese Konsequenz in der Kunst so klar formuliert worden, und wohl nirgends ist das Bild der griechischen Klassik, der Stoff und Dramenform entlehnt sind, schwärzer, wilder, blutrünstiger gezeichnet worden.

Die Geschichte ist bekannt: als Tragödie von Jason und Medea. Doch den Bühnenzauber, mit dem die Barockoper die verlassene Priesterin zur Hexe stilisiert hat, wirft Cherubini über Bord. Er macht die verzweifelte Frau zur Heldin und Sympathieträgerin der Oper, trotz all ihrer Bluttaten, dem Mord an Jasons neuer Gemahlin Dircé wie an den beiden eigenen Kindern. Bis zur Selbstentwürdigung der Figur zählt Cherubini ihre Versuche auf, die Katastrophe zu vermeiden: die Duette mit Jason, in denen gekittet werden soll, was längst in Scherben liegt, das Anbiedern an den Herrscher Kreon, den Vater Dircés. Und, immer, der Kampf mit der eigenen Schwäche, Liebe und Wut.

Und das mit einer Musik, die das Tor weit aufstößt ins neue, 19. Jahrhundert. Zwar baut Cherubini noch auf den Opernregeln der Wiener Klassik auf, doch er sprengt die überkommene Form: von innen her mit schneidenden Harmoniewechseln und einer unablässigen Getriebenheit, von außen, indem der Wechsel zwischen gesprochenem Dialog, Melodram und Gesang dem Stück eine unerhörte expressive Kantigkeit verleiht. Singen, schreien, reden, diskutieren - Medea schöpft alle Mittel aus, um das verlorene Glück noch zu retten.

Ein geniales Werk, dem an der Deutschen Oper eine triumphale Wiederauferstehung von Herzen zu wünschen gewesen wäre. Denn mehr als 150 Jahre lang wurde "Médée" wenn überhaupt, dann nur in einer entstellten italianisierten Version mit durchkomponierten Rezitativen in Szene gesetzt - die erste Wiederaufführung an einem großen Opernhaus in der einzig gültigen Originalversion schreibt in jedem Fall ein Kapitel Operngeschichte. Dass dieses Kapitel so wenig ruhmvoll, ja über weite Strecken kläglich ausfällt, wirft ein trübes Licht auf die Deutsche Oper und die Personalpolitik ihres Intendanten Udo Zimmermann.

Mit dem Italiener Gabriele Ferro hatte man einen Cherubini-Experten ans Pult geholt. Besser wäre jedoch ein Vollblutmusiker gewesen, der die schnörkellose Klassizität der "Médée" in ihrer schroffen Kantigkeit herausgearbeitet hätte, um dem Stück, wenn schon kein romantisierendes Pathos, so doch eine vibrierende Unrast zu verleiehen. Aber Ferro scheut sich, der Musik Raum und Gewicht zu geben, dirigiert ein klassizistisches Flachrelief in grauem Mezzoforte - und ein Orchester, das zwischen Geschäftigkeit und Schlampigkeit hin- und herpendelt.

Die Szene hatte Zimmermann dem Ehepaar Ursel und Karl-Ernst Herrmann anvertraut, die in Berlin zuletzt mit einer feinfühligen Inszenierung von Händels "Semele" an der Staatsoper vertreten waren. Dass die Herrmanns mit "Médée" offenbar so gar nichts anfangen konnten, erstaunt also. Mehr noch wundert es freilich, dass es an der Deutschen Oper offenbar keinen Produktionsdramaturgen gibt, der dem Ausstatterehepaar hilfreich unter die Arme hätte greifen können. Die Herrmanns sorgen für eine hübsche, dekorative Bebilderung der Geschichte; wo sie mehr versuchen, landen sie prompt beim Kitsch. Schon zur Ouvertüre tollt ein schwarzweißer Harlekin herum und relativiert den dramatischen Furor der Musik. Und wenn hinter der Bühne die vergiftetete Dircé stirbt, lodern ihre stehengelassenen Pumps plötzlich in Flammen auf - das alles ist schrecklich banal.

Weit fataler als die Aneinanderreihung szenischer Verlegenheitslösungen im schwarzen Dreiecksraum ist allerdings die Hilflosigkeit gegenüber der Großform des Werkes. Wenn die Musik schweigt, müssen die Darsteller ihre Dialoge mit einem grotesk übertriebenen, pseudo-historischen Comedie-Française-Pathos aufpumpen - statt Cherubinis radikale Reduktion der "Médée" auf den zwischenmenschlichen, bürgerlichen Konflikt eines zerrütteten Paares zu fokussieren oder den Kulturkonflikt zwischen der Barbarin Medea und den "zivilisierten" Korinthern zu zeigen, schieben die Herrmanns das Werk in die Rumpelkammer der Theatergeschichte ab.

Die Sänger stehen dabei auf verlorenem Posten. Wüsste man nicht aus Frank Castorfs Basler "Otello", dass die georgische Sopranistin Iano Tamar eine kluge Darstellerin sein kann, man hätte ihr permanentes Hyperagieren schlicht für balkanischen Provinztheaterstil gehalten. Dabei ist Tamar eine gute Medea: keine überformatige Diva nach Art ihrer Rollenvorgängerinnen Maria Callas oder Leyla Gencer, sondern eine Frau mit menschlichem Normalmaß, aus deren warmtönigem Timbre man die Erinnerung an bessere Tage heraushört, die ihre muskuläre, barbarische Gewalt nur wider Willen einsetzt. Der gespreizte Widerling Jason, den Donald Kaasch mit kaltem, durchdringenden Tenor gibt, die unschuldig-naive Dircé (Victoria Loukianetz mit gesunder Blondinenstimme), der knarzig dröhnende Kreon (Frode Olsen) bilden ein in sich stimmiges Ensemble, das bessere Rahmenbedingungen verdient hätte.

Und jemand, der mit den Sängern Französisch übt, findet sich vielleicht auch noch.

Jörg Königsdorf

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