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Kultur: Stufenglück ins Nirgendwo

Adolf Muschg hält seine erste „Treppenrede“ in der Berliner Akademie der Künste

Es war beinahe alles wie in den letzten Jahren, und nichts hätte gespenstischer sein können. Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Künste feierte am Sonnabend das Ende ihrer Mitgliederversammlung mit einer Langen Nacht, und da die würdigen älteren Damen und Herren ihr Chill Out nach anstrengendem, ungewohntem Disputieren so unverwechselbar wie anspruchsvoll begehen, drängte das Publikum wieder in Scharen herbei. Menschentrauben standen noch vor dem Eingang, als der neue Präsident Adolf Muschg die Stufen im Foyer hinaufstieg, um die von Walter Jens eingeführte Treppenrede zu halten – der einzige Punkt des Abends, der als programmatisch verstanden werden konnte. Muschgs Vorgänger György Konrád hatte sich der Aufgabe stets mit Ironie gewidmet und war vor deutlichen Worten nicht zurückgeschreckt: 1999 etwa sprach er sich gegen das Nato-Bombardement Jugoslawiens wegen des Kosovo aus.

Die Erwartungen an Muschg waren also hoch, zumal die Akademie vor großen Veränderungen steht. Im nächsten Jahr wird sie allein von der Bundesregierung finanziert, und das Haus am Pariser Platz soll endlich bezogen werden. Sorgen vor zu großer Staatsnähe lässt offenbar weniger der vom Bund aufgestockte Etat als der Umzug des Akademiepräsidiums in die exponierte Lage am Brandenburger Tor entstehen. Die Akademie ist verunsichert, sie muss ihre Aufgaben neu bestimmen. Ihr früherer Präsident Günter Grass hat bereits beklagt, sie habe „ihre kritische Funktion in der Gesellschaft“ verloren, und daran ist sicher nicht nur die kräftezehrende Vereinigung der Schwesterinstitutionen in Ost und West schuld.

Adolf Muschg empfand die Erwartungen offenbar als eine furchtbare Bürde und wich ihnen aus. Die Treppenrede habe ihm schweißtreibende Träume verursacht, gestand er gleich zu Beginn. Der „Treppenobsession“ wehrte der Schriftsteller, indem er einen lässigen Spaziergang durch seinen Zettelkasten unternahm, der neben Goethe-Zitaten in reicher Zahl auch die Jakobsleiter aus dem 1. Buch Mose verzeichnet. Aus nahe liegenden Gründen fehlte nur jene Treppe, auf der die Opfer der Azteken den Priestern entgegenschritten, die ihnen das Herz aus dem Leib rissen. In der elegant mit Kulturgeschichte gesättigten Rede kam dann aber doch noch zur Sprache, was die Künstler im Innersten bewegt: Dass die Mitglieder der ersten Akademie im Frühmittelalter Unterschlupf beim Perserkönig suchten, weil dieser ihnen die unerlässliche „Diskursfreiheit“ zusicherte. Und dass der Neubau am Pariser Platz eine wunderbare Treppe besitze – die jedoch nirgendwohin führe. Sie ende vor einer Wand des Hotel Adlon, an das der Senat jenen Teil des Akademiegrundstücks verkauft habe. Muschg wollte diese funktionslose Einrichtung als ein dialektisches Bild für die Autonomie der Akademie verstehen. Doch ganz schien er seiner Interpretation nicht zu trauen, denn dann folgte der erstaunliche Satz: „Wir können uns auf einen Umzug gar nicht lang genug freuen.“

Was denn nun? Alles in Butter beziehungsweise Autonomie oder lieber den Spatz in der Hand am Hanseatenweg als die Taube auf dem Dach am Pariser Platz? Muschg baute solcher Kritik vor: „Wer über eine Treppe nicht reden kann, kann auch nicht über eine Akademie reden.“ Nun, über eine Treppe kann Muschg reden, recht lange sogar. Wer hätte das je bezweifeln wollen? Ob der Präsident freilich über eine Akademie reden kann oder gar für sie, ihr Orientierung gebend, wie es sein Amt erwarten lässt, ist noch immer unsicher. So unsicher wie das Selbstverständnis der Institution.

Mit Lesungen von Imre Kertész, Peter Härtling und Cees Noteboom, mit Musik von Josef Tal und Hanns Eisler, Tanz von Michaela Isabel Fünfhausen, einem Gespräch zur Architektur mit Jürgen Sawade, Filmen von Loriot und anderen nahm der Abend dann seinen unterhaltsamen Lauf. Es war beinahe alles wie in den letzten Jahren. Aber ein Trost ist das nicht.

Siehe auch Seite 9 .

Jörg Plath

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