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Kultur: Stunde des Komödianten

„Geheime Melodie“: Zu seinem 75. Geburtstag legt John le Carré seinen zwanzigsten Roman vor

Das Schlamassel beginnt mit einem Auftrag des britischen Geheimdiensts. Der polyglotte Salvo alias Bruno Salvador, Sohn eines irischen Missionars und einer kongolesischen Häuptlingstochter, soll eine geheime Konferenz eines internationalen Syndikats mit kongolesischen Vertretern nicht nur dolmetschen, sondern den afrikanischen Gästen noch die Worte in jenen Momenten ablauschen, in denen sie sich unbeobachtet fühlen.

„Geheime Melodie“, John Le Carrés neuer Roman, handelt von einem aktuellen Konfliktherd mit unseliger Vergangenheit: vom Kongo, dem heutigen Zaire. Und er begründet zugleich, augenzwinkernd, ein neues Subgenre: den Abhör-Roman. Sein Erzähler (und am Ende sein „Held“) ist der Simultandolmetscher Salvador, Spezialist für entlegene afrikanische Sprachen, gelegentlich auch Honorarkraft on Her Majesty’s Secret Service.

Nur widerstrebend will er begreifen, was in der Londoner City ausgeheckt wurde und von einer Söldnertruppe mit Unterstützung des britischen Geheimdiensts umgesetzt werden soll: ein Umsturzplan für den östlichen Kongo, um ungehinderten Zugriff auf die Bodenschätze zu gewinnen. All dies vor dem Hintergrund von innerafrikanischen Machtkämpfen und ethnischen Konflikten bis hin zum Massenmord: Afrika als Schatzhaus und Totenhaus – mit mehr als einer Anspielung auf Joseph Conrads „Herz der Finsternis“.

John le Carrés zwanzigster Roman, der pünktlich zu seinem 75. Geburtstag am morgigen Donnerstag erscheint, zählt nicht zu seinen großen politischen Romanen wie „Der Spion, der aus der Kälte kam“ (1963), die mehrbändige Kalte-Kriegs-Saga um George Smiley aus den Siebzigerjahren oder „Die Libelle“ (1983), ein Thriller, in dem die israelische Luftwaffe Beirut bombardiert und die Palästinenser Terroranschläge planen, am Ende gar in Deutschland. Es handelt sich auch nicht um die Fusion von Agentenroman und Autobiografie wie in „Ein blendender Spion“ (1986), den Philip Roth den „besten englischen Roman seit 1945“ nannte.

„Geheime Melodie“ ist, wie schon John Le Carrés letzten Bücher, auf routinierte Meisterschaft gestimmt. Immerhin schafft es Le Carré, der bürgerlich David Cornwell heißt, alle zwei Jahre mit geringen Niveauschwankungen einen neuen Roman vorzulegen. Die labyrinthischen, aber schlüssigen Plots, sein Gefühl für das richtige Timing und den Wechsel der Perspektiven bestechen wie die pointierten Dialoge oder die Art, wie Figuren durch ihre Sprache charakterisiert werden – mit vielen satirischen Glanzlichtern vor allem beim britischen Personal.

All dies ruht auf einem Grundriss moralisch-politischer Schlüsselfragen, die sich in 45 Jahren kaum verändert haben. Dabei steht die Frage nach der Loyalität des Einzelnen im Zentrum, und nach seiner Entscheidung in den unvermeidlichen Loyalitätskonflikten: Was zählt – mein Land, meine Partei oder mein Freund?. Das könnte auf Dauer monoton werden, fände le Carré nicht immer neue, brisante Schauplätze: die black spots der neuen Weltunordnung, die er mit genauen Recherchen erkundet (für den vorletzten Roman war er gar in Bielefeld!) und in klarsichtige politische Analysen einbindet.

Salvo ist nun hin- und hergerissen zwischen angeborener Naivität und wachsender Einsicht, zwischen afrikanischer Herkunft und britischer Erziehung. Nicht zuletzt zwischen seiner sehr englischen Karrierefrau und der kongolesischen Krankenschwester, die ihn nicht nur bezaubern, sondern auf den rechten Weg bringen wird. Auch eine Prise Sentimentalität gehört zu le Carré.

Von alldem erfärt der Leser aber nur als Mithörer des Abhörers, und es ist brillant, wie le Carré diese artifizielle Situation mit Leben füllt. Eingebettet ist die Szene in die Bekenntnisse, die Salvo rückblickend „in völliger Muße und Zurückgezogenheit“ in der britischen Abschiebehaft zu Papier bringt. War nicht auch Thomas Mann schon gute 75 Jahre alt, als er seinem Hochstapler Felix Krull in ähnlicher Situation die Feder führte? Immerhin wissen wir aus erster Hand, dass der junge David Cornwell den Autor des „Felix Krull“ bewundert hat und ihm, als Germanistikstudent in Bern, Anfang der Fünfzigerjahre sogar seine Aufwartung machte.

„Geheime Melodie“ führt eine Wendung ins Komödiantische fort, mit der le Carré seit dem „Schneider von Panama“ immer bewusster an Graham Greene erinnert. Sie sollte nicht als Verharmlosung der angesprochenen Probleme verstanden werden. Es ist wohl nur die andere Seite der Verbitterung, die etwa den jüngst verfilmten „Ewigen Gärtner“ prägt, vielleicht eine – leserfreundliche – Form von Resignation. Bisweilen kann ja nur die Komik der schlimmsten Wendung der Dinge gerecht werden.

John le Carré : Geheime Melodie. Roman. Aus dem Englischen von Sabine Roth und Regina Rawlinson. List Verlag, Berlin 2006. 415 Seiten, 22 €.

Jochen Vogt

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