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Kultur: Sturz in die Tiefe

Die Galerie Coma zeigt neue Videoarbeiten des amerikanischen Experimentalfilmers Reynold Reynolds

Visionen vom Ende der Welt projiziert der amerikanische Experimentalfilmer Reynold Reynolds an die Wand. Er setzt Urängste in Szene, seine Heldinnen und Helden verbrennen, ertrinken oder stürzen in die Tiefe. Seine Filme lassen Traumata der Zivilisation lebendig werden und verwandeln den Menschen zum Staubkorn in einem mächtigen Universum. In seiner neuen, zweiteiligen Arbeit regiert die Zeit als absolute Herrscherin. Die Filminstallation „Secret Machine“, in der Galerie Coma auf zwei gegenüberliegenden Wänden zu sehen, zeigt, wie die körperlichen Funktionen einer jungen Frau getestet werden: In einem Laboratorium untersucht eine Wissenschaftlerin ihre Sehkraft, Sensibilität und Laufstärke. Manche Szenen sind befremdlich bis an die Schmerzgrenze. Im zweiten Raum finden die Besucher mit „Secret Life“ das andere Extrem – eine Existenz jenseits der Vernunft. Auf Einzelbilder verlangsamt, windet sich dieselbe Frau lianengleich im Rhythmus der Schlingpflanzen, die ihre Wohnung zu überwuchern drohen.

In „Secret Machine“ wird die Zeit mechanisch von einer Uhr bestimmt, in „Secret Life“ vom Zyklus der Pflanzen. So hintergründig die Fantasien in diesen Filmen wirken, so harmlos sieht es am Set aus, wo Reynolds Filme entstehen. Sein Studio befindet sich in der Kopenhagener Straße. Zwar geht der Blick direkt auf den einstigen Todesstreifen. Das Atelier aber gleicht der Werkstatt eines harmlosen Modelleisenbahnbauers. Die Kulissen sind auf engem Raum um eine Achse geordnet, so dass die Kamera sie am Stahlarm umkreisen kann. Meist filmt Reynolds nur eine einzige Person. „Beziehungen sind die seltenen Höhepunkte im Leben“, meint er lakonisch, „normalerweise nehmen die Menschen kaum Kontakt zueinander auf.“

Der gertenschlanke Amerikaner scheint in seinem Retrohemd selbst aus der Zeit gefallen zu sein. In dem empfindlichen Zug um den Mund halten Lachen und Enttäuschung eine komplizierte Balance. Während er spricht, zieht er sein Knie eng an die Brust. Doch hinter der sicheren Barrikade gestikulieren die Arme lebhaft. Reynolds’ Filme gewinnen ihre Faszination aus dem Paradox: der Gleichzeitigkeit von Untergang und Lebenshunger, Schönheit und Zerstörung, Kälte und Sinnlichkeit. Seine Kamera schaut dabei distanziert auf die Katastrophe wie vom Rande der Welt. Der Künstler, 1966 in Alaska geboren, hat dort bei seinen Großeltern die Kindheit verbracht, ohne Elektrizität oder fließendes Wasser. „Ich dachte damals“, erinnert er sich, „dass die Menschen nur ein winziger Teil des Gesamtbildes sind.“

Zunächst studierte Reynolds Physik, später besuchte er Kurse am Filmdepartement der Universität von Colorado, das damals von Stan Brakhage geleitet wurde. Der legendäre Begründer des amerikanischen Avantgardekinos nutzte den Film wie ein Maler die Leinwand. Aus dieser Tradition erklärt sich auch die ungewöhnliche Qualität von Reynolds’ Filmen. Er dreht auf 16-Millimeter-Material, und in seinem Atelier steht auf dem Regal eine Arriflex, der Klassiker unter den Filmkameras. Seine Bilder sind von weicher, organischer Anmutung, altmodisch in den Farben – zeitlos nennt es der Künstler. Die Filme erscheinen auf DVD in fünffacher Auflage, die neuen Arbeiten kosten je 25 000 Euro. Bei Coma hängen einzelne, wunderschöne Filmsequenzen als schmale Leuchtstreifen am Eingang zum Vorführraum. Die Düsseldorfer Sammlerin Julia Stoschek besitzt inzwischen zwei Arbeiten des Amerikaners. Bekannt wurde Reynold Reynolds mit dem Film „Burn“, der 2006 bei der 4.Berlin-Biennale zu sehen war. Gemeinsam mit seinem damaligen Partner Patrick Jolley hat er ein Haus in Flammen aufgehen lassen: Seine Bewohner ignorieren das Feuer auch dann noch, als sie selbst darin verlodern.

Bei der Frage nach seinen eigenen Ängsten verschränkt der Künstler beide Arme vor dem Knie. Doppelter Palisadenzaun. „Ich habe eigentlich die meiste Zeit meines Lebens damit verbracht, vor dem Leben selbst Angst zu haben.“ Doch die Furcht bildet bei Reynold Reynolds den fruchtbaren Nährboden, auf dem seine Kunst gedeiht. In der Katastrophe liegt sein Potenzial, die Bedrohung entfaltet eine schauerliche Faszination. „Secret Life“ und „Secret Machine“: bislang besteht der Zyklus aus zwei Teilen. Ein dritter wird folgen, doch das Szenario ist noch geheim.

Galerie Coma, Leipziger Str. 36; bis 14.11., Di.–Sa. 11–18 Uhr.

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