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Subventionen für Kunst-Szene: Es geht nur mit frischem Geld

Gegen Populismus und Sozialneid: Die Bedingungen für die freie Szene in Berlin verschlechtern sich Jahr für Jahr. Das stellt die Künstler vor weitere Herausforderungen. Wie sich die freie Szene in Berlin neu organisiert.

Von allem zu viel? Die Hälfte reicht auch? Selbstreproduzierende Gleichmacherei allerorten? Seit Wochen wird eine neue Sau durchs kulturelle Deutschland getrieben: das Buch "Der Kulturinfarkt", das einen angeblichen Überdruss an den Produkten der Hochkultur und eine verkrustete Subventionsmentalität diagnostiziert. Zugleich beantragt die Piratenpartei im Abgeordnetenhaus die Streichung der Subventionen für die Deutsche Oper – und damit deren Schließung.

Der Vorstoß wurde zwar abgelehnt, aber offenbar formiert sich hier ein Angriff auf das weltweit beneidete System der Kulturförderung in Deutschland, ein Vorstoß, Kunst marktliberal umzukrempeln nach niederländischem Vorbild. Was sagen diejenigen dazu, die von der Diskussion profitieren könnten: die Vertreter der freien Szene in Berlin?

Die sprechen seit Neuestem mit einer Stimme. Mitte März hat sich die "Koalition der freien Szene" gebildet, der fast 70 Gruppen, Einzelpersonen und Häuser angehören. Dass das zeitgleich mit Erscheinen des "Kulturinfarkt" geschah, ist reiner Zufall. Anlass war, dass die Ausschüsse im Parlament gerade die Verhandlungen über den Doppelhaushalt 2012/2013 führen, der im Sommer beschlossen werden soll. Es geht dieser Koalition um viel, nicht nur darum, verstärkt wahr- und ernst genommen zu werden, sondern, natürlich, auch um mehr Geld. Und um eine Debatte, wie Kulturförderung in Berlin überhaupt in Zukunft aussehen soll.

"Berlin ist bei auswärtigen Gästen erfolgreich, vor allem wegen der vitalen Kulturszene. Es tut aber zu wenig, um diese Szene zu unterstützen", sagt Folkert Uhde vom Radialsystem, wo die Fäden der Koalition zusammenlaufen. Und Kulturmacher Christophe Knoch, auch er eine treibende Kraft bei der Gründung der Koalition: "Dass der Senat ein Leuchtturm-Projekt wie das BMW Guggenheim Lab willkommen heißt, ist symptomatisch. Dort soll über die Zukunft von Stadt nachgedacht werden, während es in Berlin Dutzende von kaum geförderten Einzelinitiativen gibt, die genau das tun."

Für die freie Szene in Berlin wird es eng

Die Bedingungen für die Szene verschlechtern sich von Jahr zu Jahr, Mieten und Lebenshaltungskosten steigen rasant, die Zeiten, zu denen man Ateliers oder Proberäume für drei Euro pro Quadratmeter mieten konnte, sind vorbei, die Freiräume verschwinden. Es wird eng. Kürzlich hat der Kulturausschuss Zuschüsse für die Ku'damm-Bühnen und das Schlossparktheater beschlossen, an allen Evaluierungsgremien und Jurys vorbei. Als dann auch noch Jürgen Flimm mehrere Hunderttausend Euro aus dem Hauptstadtkulturfonds für die Staatsopern-Aufführung von Luigi Nonos "Al gran sole carico d'amore" im Kraftwerk Mitte abzweigte, war das der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. "Die einen evaluieren sich zu Tode, die anderen müssen sich für gar nichts rechtfertigen", sagt Folkert Uhde, "so kann es nicht weitergehen. Das System wird in absehbarer Zeit gegen die Wand laufen." Es fehlt an Durchlässigkeit

Die Koalitionäre fordern: Neudenken, Umbau, Anpassung der Förderstrukturen an die Realitäten der Gegenwart – ja. Anderen etwas wegnehmen – nein. Die Autoren des "Kulturinfarkt" kämpfen, so viel ist klar, nicht für die Sache der freien Szene. Deren Vertreter distanzieren sich vehement sowohl von dem Buch als auch von der Forderung nach Schließung großer Häuser. "Das Buch ist unglaublich gefährlich, und die Forderung der Piratenpartei ist populistisch und zielt nur darauf ab, in die Presse zu kommen", sagt Ignaz Schick, Sprecher von "Dach/Musik", einem soeben gegründeten Interessenverband von freischaffenden Berliner Musikern und Klangkünstlern. Andreas Altenhof von der Neuköllner Oper, die 1,1 Millionen Euro jährlich vom Land erhält, weiß aus seiner Zeit als Leiter des Kurt-Weill-Festivals in Dessau, dass die zentrale "Kulturinfarkt"-Aussage ("Die Hälfte reicht auch") in Ostdeutschland, wo Theater reihenweise schließen oder fusionieren müssen, nur als blanker Hohn empfunden werden kann. "Es ist sehr ärgerlich, wenn die Autoren dieses Buches von ihrem Thron der Theorie so etwas herunterblasen."

Also will die Koalition der Freien keine Umverteilungs- und Neiddebatte führen. "Reformen können nur mit frischem Geld erfolgen", sagt Jochen Sandig, Mitbegründer des Radialsystems. Zum Beispiel aus der geplanten Touristensteuer, von der mindestens die Hälfte an die freie Szene fließen soll, wie die Koalition fordert. Die Definition, was freie Szene ist und was nicht, ist allerdings nicht einfach. Wenn man als Kriterium das auftragsgebundene Arbeiten im Gegensatz zur Festanstellung festlegt, dann würden, wie Sandig sagt, 95 Prozent aller Künstler in Berlin zur freien Szene gehören. Nur vergleichsweise wenige, wie etwa die Mitglieder der großen Orchester oder die Tänzer des Staatsballetts, hätten einen festen Arbeitsvertrag. "Die freie Szene ist keine Minderheit, sondern die Mehrheit", sagt Sandig.

Jetzt muss es auch darum gehen, die neu gefundene Einigkeit zu festigen, auch über die aktuellen Haushaltsverhandlungen hinaus. Einen kleinen Erfolg gibt es schon: Ende März hat der Kulturausschuss die Mittel für freie Projekte um 1,5 Millionen Euro angehoben. Allerdings gleicht das nicht mal die zwei Millionen aus, die dem Etat verloren gingen, als das Renaissance-Theater in die feste Förderung übernommen wurde. Insgesamt fordert die Koalition eine wesentlich substanziellere Aufstockung für freie Gruppen, von 20 auf 40 Millionen Euro. Der Schlüssel zur Zukunft liegt für die Koalitionäre in der Kooperation, im Miteinander von freien und festen Strukturen. Das passiert ja schon: Die Volksbühne etwa hat nur noch ein Ensemble von zwölf Schauspielern und ist dadurch flexibel, mit freien Gruppen zusammenzuarbeiten. Verflüssigung von Strukturen ist das Zauberwort.

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