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Muzamil (Mustafa Shehata) sucht seinen Weg.

© Missingfilms

Sudanesisches Filmdrama „Mit 20 wirst du sterben“: Wenn die Staubkörner tanzen

Amjad Abu Alalas Regiedebüt „Mit 20 wirst du sterben“ ist ein sensibles Coming-of-Age-Drama um einen jungen Mann zwischen Koranstudium und Kinoliebe.

Ein Tierkadaver, über den sich ein Geier hergemacht hat, liegt halb verrottet im Sand. Das unheilvolle Zeichen aber entgeht dem Blick der festlich gekleideten Gesellschaft, die im Hintergrund des Bildes vorbeizieht. Die Prozession ist auf dem Weg zum religiösen Führer des Dorfes, der Anlass stimmt fröhlich: ein neugeborenes Kind soll gesegnet werden.

Sakina, die Mutter, überreicht dem heiligen Mann den kleinen Muzamil, während ein Derwisch im rituellen Tanz die Lebensjahre aufzählt. Als er bei der Zahl 20 bewusstlos zu Boden fällt scheint das Schicksal des Jungen besiegelt.

„Sohn des Todes“ rufen ihn die anderen Kinder

Die Prophezeiung, die sich der Film von Amjad Abu Alala zum Titel nimmt, hängt wie ein bleischweres Gewicht über der Familie. Der Vater sieht sich der Last nicht gewachsen und geht zum Arbeiten nach Addis-Abeda, Sakina bleibt mit dem Kind zurück. Angst und Hoffnungslosigkeit prägen die mütterliche Erziehung. Während die anderen Kinder Fußball spielen, versteckt sich der „Sohn des Todes“, wie Muzamil spöttisch genannt wird, hinter den steinigen Mauern des Hauses.

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Einmal wird er in Vorwegnahme seiner Beerdigung von Gleichaltrigen mit Asche eingerieben und in eine Kiste gesteckt. Als der Imam ihm rät, er solle Lesen lernen, winkt Sakina ab: „Das Wissen hilft bei seinem kurzen Leben eh nicht.“ Doch dann knüpft sie an den Glauben die leise Hoffnung auf ein Umstimmen der Propheten und schickt Muzamil zum Koranstudium in die Moschee.

Der Filmemacher Amjad Abu Alala, in den Vereinigten Arabischen Emiraten als Sohn sudanesischer Eltern aufgewachsen und ausgebildet, gehört zu den Mitgründern des 2014 ins Leben gerufenen Sudan Independent Filmfestival in Khartoum, eine der wenigen Initiativen zur Wiederbelebung der stillgelegten Filmkultur.

Seit dem Militärputsch durch den islamisch-fundamentalistischen Diktator Umar al-Baschir 1989 ist das Kino im Sudan faktisch weder als Abspiel- noch als Produktionsort existent. „Mit 20 wirst du sterben“, 2019 unter schwierigen Bedingungen während der Revolution gegen al-Baschir in einer stark vom Sufismus geprägten Region gedreht, ist erst der achte lange Spielfilm, der im Sudan überhaupt produziert wurde – nach zwanzig Jahren.

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Abu Alalas, auf einer Kurzgeschichte des sudanesischen Schriftstellers Hammour Ziada basierende Debütfilm, nimmt die auf die Straßen getragenen Spannungen zwischen Tradition und Moderne auf zurückhaltende Weise auf. Dabei ist die Geschichte in einer eher hermetischen, fast schon insularen Gemeinschaft angesiedelt. Das in der Provinz Al-Jazirah gelegene Dorf ist von Wüste umgeben.

Als Muzamil (Mustafa Shehata) 19 Jahre alt ist kennt er als einziger im Dorf die beiden Versionen des Koran. Frieden im Glauben findet der fleißige junge Mann nicht. Stattdessen öffnet ihm die Bekanntschaft mit Sulaiman eine unbekannte Welt. Der im Ort als Saufkopf verachtete Außenseiter ist weit herumgekommen, hat in Kario, Paris, Berlin und Südafrika gelebt und den Alltag auf den Straßen gefilmt. In seiner Behausung, die vollgestopft ist mit Fotografien, Schallplatten, Radioapparaten und Filmprojektoren, lernt Muzamil auch das Kino kennen.

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Dabei sieht er auch Aufnahmen von Khartum, auf denen die Menschen tanzen. Im Kampf mit der verbliebenen Zeit wird Muzamil zwischen der Moschee und den weltlichen Verführungen, die Sulaiman predigt, hin- und hergerissen.

„Mit 20 wirst du sterben“ ist ein Film der lebendigen Kontraste. Dem gleißend hellen Sonnenlicht, das die farbenprächtigen Gewänder zum Leuchten bringt, stehen die finsteren Innenräume von Muzamils Elternhaus gegenüber, die an eine Grabkammer oder an einen Kerker erinnern. Für jeden überstandenen Tag im Leben des Sohnes zeichnet die Mutter einen Strich an die Wände, die ein immer verrückteres Bild ergeben.

Neben traumartigen Momenten zieht sich das Kino als emanzipatives Moment durch den Film. Einmal fällt das Tageslicht wie der Lichtkegel eines Filmprojektors durch ein winziges Fenster und bringt Staubkörner zum Tanzen. Fiktionen und Rituale wiederum sind Kulturtechniken, die sich auch das Kino zu eigen macht. Abu Alalas macht die Bezüge zwischen Alltagsmythologie und Kino produktiv, ohne sie zu überlasten.

Esther Buss

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